Der Ritt zurück zum Camp führte über einen kleinen Umweg, und dort wird, nach einem schnellen, allerletzten Kaffee, der Duffel Bag reisefertig gemacht. Die Zelte bleiben stehen, denn in zwei Tagen bringt das Buschflugzeug neue Reiter nach hier. Unser Sack ist schnell gepackt und verschnürt, und so stiefeln wir durchs hohe Gras hinunter zum See, um uns von den Pferden zu verabschieden. Escort grast vorn an der Wiese, mein Schimmel schläft ziemlich weit hinten am Ufer. Dem Schwarzen streiche ich nur einige Male zum Dank wortlos über den Hals, dann gehe ich weiter. Ich weiß, dass Sabine jetzt mit ihm allein sein möchte, denn für mich gilt das auch. Als ich näher komme, steht Richard auf. Ich streichle seinen Hals, graule ihn zwischen den Ohren, dann nehme ich seinen Kopf in beide Hände. Und während ich leise mit ihm spreche, schauen seine großen, dunklen Augen aus, als würde er jedes Wort verstehen. Er war mir ein treuer, zuverlässiger Kamerad gewesen, nicht hübsch oder auffallend, aber ein ganz tolles Pferd, das mir ans Herz gewachsen war. Und ich bin froh, jetzt mit ihm ganz allein zu sein. Eigentlich bin ich eher ein „harter Hund“, doch der Abschied von diesem Pferd geht mir unglaublich nahe. Ich habe ihm aber alles gesagt, was ich ihm sagen wollte, und nach einer letzten Umarmung und „Lebewohl“ gehe ich schnurstracks zurück zum Zelt. Im Moment möchte ich mit niemandem sprechen, nur einige Augenblicke allein sein. Und als ich um die Ecke in die kleine Schlucht einbiege, lehnt David an einer verwitterten Fichte. Er hatte das Ganze wohl beobachtet. Er sagt aber kein Wort, nickte mir nur unmerklich zu …
Wenig später hören wir die Beaver kommen. Sie hat den typischen Sound dieser kleinen Maschinen, hart, tief und kernig. Das Buschflugzeug mit den Wasserkuven zieht einen Halbkreis über dem See und setzt weit draußen auf. Und während wir unsere geschulterten Packsäcke Richtung Anlegestelle – ein paar Bretter im Gras – tragen, kommt die Maschine auch schon durchs Schilf getuckert, dreht bei und schaukelt lautlos zum Rand des Wasserarmes. David packt das kurze Seil, das an der Tragfläche baumelt, und hält es fest, bis der Pilot sie vertäut hat. Die Stimmung ist jetzt auch bei den vier Kanadiern gedrückt, denn wir hatten Menschen kennen gelernt, die uns mehr gegeben hatten als ein wunderschönes Naturerlebnis. Und ich glaube auch heute noch – einige Jahre später – dass wir auf unseren Reisen nie zuvor oder danach Menschen trafen, von denen uns der Abschied ähnlich schwer fiel, wie von Joyce und David. Den Pferden wünschten wir, dann mit Engländern im Sattel, einen guten und sicheren Weg zurück. Dass der Chef persönlich am Steuerknüppel saß beruhigte die, die erstmals in eine kleine Maschine einstiegen. Aber diesen Buschfliegern kann man sich getrost ohne Wenn und Aber anvertrauen. Sie können fliegen, am technischen Zustand gibt es keinerlei Zweifel und die Maschinen sind ihr Broterwerb und ihre eigene Lebensversicherung. Vor Jahresfrist im afrikanischen Tansania waren die Gefühle schon etwas anders. Auch jener Pilot war gut, doch waren das auch die Finanzen der Firma? Damals ging jedenfalls alles glatt, und der Flug entlang eines wolkenlosen Kilimanjaros war ebenso beeindruckend, wie die große Safari. Seither sind mir diese kleinen Maschinen äußerst sympathisch. Ganz besonders aber, wenn es sich um nordamerikanische Wasserflugzeuge handelt, mit einheimischen oder englischen Piloten.
Vor dem Einsteigen werden noch einige Kartons für Davids Nachschub ausgeladen, und dann geht alles sehr schnell. Ein letzter Händedruck, das Versprechen „wir kommen wieder“, ein kurzes Winken des Piloten und der Siebensitzer dreht ab zum offenen See. Dort gewinnt er über dem hellgrün schimmernden Wasser schnell an Höhe und zeigt uns rechterhand, dass sich hinter dem Ufer weite Waldflächen ausbreiten, während gegenüber schneebedeckte Berge den Horizont säumen. Minuten später ist unter uns nichts als Wald, nur einige Flüsse heben sich glänzend ab. Hier und dort leuchtet auch ein hellgrünes Tal zu uns herauf, und die Holzeinschläge gleichen kompakten Feldern, runden und viereckigen. Die Wege, die von ihnen wegführen, ähneln ungeglätteten Wollfäden, die sich irgendwo unter uns verliert. Und als es durch die Rainbow Mountains geht, sitze ich auch auf der richtigen Seite, denn die von der Sonne angestrahlten Felsen leuchten jetzt in ihrer ganzen Pracht, und dass der Pilot wegen der Aufwinde nahe am Hang entlang fliegt, macht das Ganze noch attraktiver. So nahe über dieses bunte Gebirge zu fliegen ist grandios, und das der Pilot – Absicht, Zufall oder kundenfreundlicher Service – noch zusätzlich eine scharfe Kurve fliegt und anschließend eine „Acht“, ist besonders schön. Ersteres erfreut die rechts sitzenden Passagiere, die nun in den Genuss der ganzen Farbenpracht kommen, während die Acht einer Grizzlyfamilie galt, die der Pilot entdeckt hatte. Die insgesamt etwa vierzig Minuten vergingen im wahrsten Sinne wie im Flug, und als die Maschine auf unserem Heimatsee, dem Anahim Lake, aufsetzt, hat es weder geholpert noch gespritzt, man merkt rein gar nichts. Die restlichen Meter bis zum Bootssteg von Eagles Nest dauern keine zwei Minuten, und damit ist das Abenteuer Trailritt zu Ende.
Die nächste Stunde gehört jedem selbst, und nach gründlicher „Wäsche und Rasur“ wartet die Dame des Hauses mit kaltem Bier und einem zünftigem Abendessen auf uns, und in Salzburg oder Tirol hätte auch nichts Besseres auf dem Tisch stehen können. Nur der Wein, mit dem wir anschließend unsere schöne Tour feiern, war kein Grüner Veltiner, sondern kalifornischer Roter. Bei der einen Flasche ist es natürlich nicht geblieben, aber sehr spät wurde es auch nicht, denn unsere vier kanadischen Mitstreiter mussten am nächsten Morgen zeitig aufbrechen, denn der Weg bis Calgary ist weit, und am Folgetag rief wieder die Arbeit. Und somit war der neue Tag auch für uns noch sehr jung, als wir den beiden Paaren nachwinkten und uns dann selbst an den gedeckten Frühstückstisch setzten. Was dann aber kam, klingt nicht nur ziemlich verrückt, es war es auch, und die Idee dazu wurde urplötzlich aus dem Nichts beim Frühstück geboren. Lady Enubi fand Sabines Wunschgedanken großartig und goss sofort Öl ins Feuer: „Spontane Dinge sind immer die besten. Tun Sie’s doch einfach. Die Dorseys werden das nie wieder vergessen!“ So schön es wäre, aber auf Anhieb kann ich mich mit „jenem“ Gedanken nicht anfreunden, denn er kostet einen zusätzlichen Tag, und umsonst geht es auch nicht. Andererseits, so meine Gedanken, verdient hätten es Joyce und David, und erneut fliegen? Das wäre ein Superding, und ein paar Reservetage haben ich ja auch noch in unsere Reise „eingebaut“. Da würde einer doch nicht wehtun? Diese Denkweise ging aber schon viel zu weit und war gefährlich, denn die Schlussfolgerung daraus folgt auf den Fuß, ein schnelles „Kostentelefonat“. Und mit dessen Beantwortung ist die Verrücktheit auch schon besiegelt: Die Hausherrin von Eagles Nest packt uns einen handfesten Frühstückskorb, fügt zwei Flaschen Chardonnay im Eiskübel hinzu, und dann fliegen wir zwei mit einer dreisitzigen Cessna zurück zum Tanya Lake!
Der Flug wird wieder ein wunderschöner, denn der junge Bursche am Steuerknüppel kennt unsere Geschichte und wählt einen anderen Weg. Prima, denn so sehen wir noch ein bisschen mehr von dieser Gegend. Runter muss er aber an der gleichen Stelle, und das „scheucht“ die Dorseys, deren frisch gewaschene Wäsche im Winde flattert, regelrecht auf. Wir können sehen, wie sie flott und diskutierend zum Bootssteg marschieren, denn angesagt war für heute niemand. Unsere Maschine tuckert auf den letzten Metern wieder durch das Schilf und dreht dann bei. Und genau in diesem Moment erkennt mich Joyce, denn während Sabine mit dem Frühstückskorb hinten sitzt, war mein Platz neben dem Piloten. Sie schlägt die Hände vors Gesicht, dann David auf die Schulter, zeigt auf die Maschine, sagt irgendetwas, und ist richtig aufgeregt. David sagt gar nichts, wischt sich nur mit dem Taschentuch übers Gesicht. Als sie aber den Frühstückskorb entdecken, wussten sie worum es ging, denn beim gestrigen Abschied hatte ich David versprochen: „Wenn ich wiederkomme, dann habe ich auch Wein dabei“. Nur, dass das so schnell gehen würde, hat mich selbst auch überrascht. Wie dem auch sei, Sabines Idee finden die beiden „unglaublich“, und freuen sich auch so, und unser kleines Dankeschön wird der Auftakt zu einem wunderschönen Sonntag. Am späten Abend kommt der Pilot zurück, holt uns ab und fliegt noch einmal durch die von der Abendsonne angestrahlten Regenbogenberge. Was für ein Glücksgefühl! Und als sich die kleine Propellermaschine in ihrer Anflugschleife über Eagles Nest ziemlich steil in die Kurve legt, schlägt das Herz noch einmal höher, aus purer Freude am Erlebnis, nicht aus Angst. Und als sich die Maschine wieder in die Lüfte schraubt und unsern Blicken entschwindet sind wir uns auch einig darüber, dass es eine Superidee war, und das „Budget“, das werden wir schon irgendwie wieder in Ordnung bekommen.
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