Für uns war das „Räucherhaus“, auf dessen Wiesen wir die Zelte ein letztes Mal aufschlugen, ebenfalls ein wunderschöner Platz. An drei Seiten von Wald begrenzt eilt der Blick nach vorn über die Wiesen und hinunter zu dem See mit seinen schilfbewachsenen Ufern und Wasserarmen Und ganz in der Nähe rauscht auch noch ein Wasserfall. Das stimmt friedlich und ist Balsam fürs Gemüt. Ein wenig Wehmut schleicht sich bei diesem sanften Anblick aber auch ein, denn morgen, am späten Nachmittag, wird die Beaver auf dem See landen und uns abholen. Die Pferde werden wir früh am Tag noch einmal satteln, aber danach geht er hier, am südlichsten der drei in einander übergehende Tanya Lakes, unwiderruflich zu Ende, der kurze Traum vom Tweedsmuir Park. Aus diesem See entspringt auch der Takia River, der nach zwanzig Meilen seine Wasser dem Dean-Fluss übergibt. Und unweit dieser Mündung liegen mit den „Salmon House Falls“ auch die einstigen Fischgründe der Indianer dieser Region. Ihren Namen verdankten die Fälle den vom Wasser ausgespülten Felshöhlen, in deren ruhigem Wasser sich die Lachse ausruhen, ehe sie den Fall überwinden. Der Weg nach dort ist allerdings beschwerlich und führt über sehr zerklüftetes Terrain, so dass unsere Zeit dafür nicht mehr ausreicht.
War es überhaupt wichtig, dass der „White Man“ eine Landroute zum Pacific zu finden suchte, wenn es schon andere Einwohner gab, die hier seit der Zeiten der Gletscher zu Hause waren? War es richtig, dass sie Mackenzie und seinen Leuten als Gastgeber dienten, sie verpflegten und ihnen den Weg zur Küste zeigten? Mit dem weißen Mann, der ihnen den Namen „Indians“ gab und sich damit geographisch um „eine halbe Welt“ irrte, kamen praktische Handelsgüter, aber auch die Pocken, Geschlechtskrankheiten und Alkohol in das Land, das ihnen größtenteils auch noch genommen wurde. Wenn die ersten Schritte der Europäer noch eine Art Blick ins Paradies waren, begannen sie mit ihrem Betreten dieses auch gleich zu zerstören, als sie in eine intakte Wildnis massiv eingriffen? Erst wurden die Büffel, dann die Bieber fast ausgerottet, und auch mit den Eingeborenen, von denen viele durch die fehlenden Büffel ihre Lebensgrundlage verloren, wurde nicht zimperlich verfahren, ehe Holzschlag und seine Abfahrtwege, Stromleitungen oder Allrad-Trucks ihre Spuren hinterließen. Gut, dass der Mensch gelernt hat umzudenken. und nun versucht, beides in Einklang zu bringen, die Erhaltung der Natur und seine eigenen Interessen. Für die Indianer ist der Mackenzie-Trail, auch Grease Trail oder West Road genannt, keine Errungenschaft des „Weißen Mannes“, sondern ein „Non-Event“, denn letztlich ist es ihr Pfad, der einer ihrer uralten Verbindungen im Trailnetz des kanadischen Westen war. Dass man sich darauf besann, solche Gebiete zu schützen und auch die Ureinwohner daran teilhaben zu lassen, muss als kluge und mutige Entscheidung gelten, doch wenn die Besucher der Nationalparks nicht begreifen sollten, dass die Natur nicht allein auf diese beschränkt ist, dann hätten wir verloren.
Nach einem ersten „Ankunfts-Kaffee“ hatten wir alle mitgeholfen, das Smoke House häuslich einzurichten und auch Joyse’s Küche wieder entstehen zu lassen. Paul kümmerte sich danach um die Pferde, David und ich um neues Feuerholz. Der Verbrauch muss stets ersetzt werden, und bei der Auswahl war David nur auf verdorrte und umgestürzte Bäume bedacht, deren gesägte Klötzer von Ferdl gehackt und John gestapelt wurden. Anschließend erledigte jeder seinen eigenen Kram. Für mich hieß das Packsäcke holen, einen geeigneten Zeltplatz auf der Wiese aussuchen und unsere gelb-blaue Bleibe aufzubauen. Und als die kleine Behausung gerade so steht, kommen auch schon die Pferde, fegen zwischen den Zelten entlang und galoppieren zielstrebig durch eine kleine Schlucht zu ihrer Wiese unten am See. Die, die sich „ohne“ nachts zu weit vom Lager entfernen, sind zwar an den Vorderbeinen „gekoppelt“ und können nur kleinere Schritte machen, aber sie haben längst eine Technik entwickelt, die sie nur wenig langsamer sein lässt. Sie erlaubt ihnen sogar den kürzeren Weg über zwei kleine Gräben zu nehmen, die sie ganz locker springen. Nur der vierjährige Fuchs, der erstmals dabei ist und Säge, Äxte und Benzin trug, der hat den Dreh mit den Vorderbeinen noch nicht raus und hoppelt wie ein Schaukelpferd hinterher. Er hat heute aber auch alle Zeit der Welt, nur Paul hatte es eilig, den sein Nachbar noch vor dem Abendessen mit dem Wasserflugzeug abholte, denn bis Montagfrüh hat er frei und will zu seiner Familie. Für alle anderen wird es ein langer, schöner Sommerabend am Feuer. Für uns Gäste ist es zwar der letzte hier draußen, doch ganz zu Ende ist weder diese Geschichte, noch unsere Reise.
Am nächsten Morgen ist Samstag, und wieder meint es die Sonne mit uns gut, als wir zu dem nahem Wasserfall gehen, wo uns David den Lachsfang mit dem Speer zeigen wollte. Es ist aber ganz gut, dass die großen Fische noch nicht da sind, denn ob an der Angel oder am Speer, ich muss das nicht unbedingt sehen. Auf dem kurzen und schönen Heimweg können wir an den vielen leckeren Huckle- und Salmon Berries nicht so einfach vorbeigehen, und nehmen uns für die letzteren, eine Art große Himbeere, leicht säuerlich und sehr wohlschmeckend, ein paar Minuten Zeit, um sie in den Lederhut zu pflücken, bis Willie und Rio ein Stückchen voraus ein furchtbares Spektakel beginnen. Der Grund war ein Schwarzbär, der vor ihnen auf einen Baum geflüchtet war. Er war einer der jüngeren und gehörte noch nicht zu den ausgepufften Revierbesitzern, die den Weg so schnell nicht räumen wenn sie angekläfft werden. Als wir seinen Baum alle weit genug hinter uns hatten pfiff David die Hunde zurück, und im Wald wurde es wieder still.
Am frühen Mittag steigen wir letztmals in die Sättel und reiten hinüber zur anderen Seite des Sees um die Hütte zu besuchen, die Davids Großvater Lester noch gebaut hat, und die in sehr gutem Zustand ist. Genutzt wird sie als Jagdhütte und Zuflucht für Wanderer, die auf dem langen Trail durch den Park unterwegs sind. Und zwei von diesen eisernen „Hikers“ schultern gerade ihre schweren Rucksäcke zum Weitermarsch, als wir den Holzbohlenbau erreichen. Das junge Pärchen, das vor mehr als einer Woche in Bella Coola aufgebrochen war um Mackenzies Spuren zu folgen, hatte hier übernachtet, weil es seine Kleidung trocknen musste. Der Grund war ein ganz einfacher gewesen, denn gestern Abend hatte ihnen, im wahrsten Sinne des Wortes, das Wasser bis zum Halse gestanden, als sie einen Fluss durchqueren mussten. Von David bekommen sie zu dieser Gegend noch einige Ratschläge und Informationen, dann wünschen sie uns einen schönen Tag und verschwinden im Wald.
Diese Hütte nützt David auch noch selbst, wenn er im Herbst mit Jägern hier unterwegs ist. Auch das gehört zu seinem Geschäft „Guiding and Packing in dritter Generation“. Hütte und benachbarter Schuppen schützen so manch „altes Ding“, das noch immer gute Dienste verrichtet. Dem riesigen eisernen Ofen mit „Wasserpfanne“, großer Backröhre und einem Ofenrohr, das direkt zum Dach strebt sieht man an, welch große Wärme er ausstrahlen kann, wenn er richtig befeuert wird. Mich erinnert er an ein ähnliches Stück, das in meinen Kindertagen bei meinen Großeltern in der Küche des Bauernhofes stand, eigentlich die gleiche Version, nur mit einem anderen Herstellernamen an der kippbaren Backofentür. Auch andernorts war das oft so, dass mir Wagen und Geräte begegneten, die auch mein Großvater noch verwendete, oder mit denen ich in ganz jungen Jahren noch selbst gearbeitet habe. Im Wagenschuppen hatten auch ein Korbwagen und ein „vornehmer“ Landauer ihren Platz, da hingen die gleichen Pferdegeschirre, und die Mähmaschine oder der Selbstbinder verkündeten lediglich ein anderes Fabrikat als die, die ich in Kanada an „Historischen Orten“ oder in Freilichtmuseen sah. Auch die Heurechen und Heuwender mit Doppeldeichsel, in der ein einzelnes Pferd agierte, sahen hier nicht anders aus als die, auf deren eisernem Sitz ich Platz nahm, wenn im Sommer nach der Schule jede Hand gebraucht wurde. Dazu gehörten auch die Leiterwagen für die Heu- und Getreideernte, die sich durch Austausch der Aufbauten zum Kastenwagen wandelten, wenn Kartoffel, Rüben oder Möhren vom Feld abgefahren werden mussten. Auch die „selbstgehenden“ Ackerpflüge waren mir längst bekannt. Diese hatten statt einer einzigen „festen“ Pflugschar, zweimal zwei drehbare, damit auch in der Gegenrichtung gepflügt werden konnte. Für mich als helfender Bub hatten sie neben dem Vorteil, dass man sie unterwegs nicht festhalten musste, auch einen Nachteil, sie waren sehr schwer. Und für mich, als 13- oder 14-jährigem Knirps kam das Problem dort, wo am Feldrand gewendet wurde, um die nächsten fünfzig Zentimeter in entgegengesetzter Richtung umzupflügen. Ich musste unter die Handgriffe des Pfluges kriechen, um das schwere Gerät mit den Schultern anheben und um 180 Grad drehen zu können. Derartiges gab es hier in der Blockhütte natürlich nicht, dafür aber Ambos, Hufeisen, Sense, Dengelzeug, Pech, Faden und Sattlernadeln, Äxte, Eimer, Siebe, Bandsäge, Gummistiefel, Decken, Seile, Rucksäcke, Lederriemen und Kleinkram, der an der Wand oder unter dem Dach hing.
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