Der Havens Gate Outlook in Idaho
Das White Bird Battle Field. Hier begann der Vernichtungskrieg gegen die Nez Percé Indianer
Dennoch, auch ohne diesen Titel hat der Salmon River, der die Jetboote in Idahos Wilderness mit Hirschen, Bergziegen, Dickhornschafen, Bären und Pumas lockt, schon ein erhebliches Freizeitpotential. Direkt an diesem Fluss liegt am Abend auch unser nächster Campingplatz in Lucille, und dieser Riverfront Gardens RV Park, der auch Blockhütten vermietet, ist mit 32 Standplätzen klein, verrät aber schon bei der Ankunft mit gepflegtem Rasen und viel Blumenschmuck eine äußerst „gepflegte Handschrift“. Und seine Sanitärräume erinnern eher an ein gepflegtes Bad mit Föhn, Seife, Shampoo, Duschgel und Badehandtücher. Doch so schön es hier ist, unser Ziel ist die Straße, und die haben wir am nächsten Morgen kurz nach Sechs Uhr auch schon wieder unter den Rädern. Bis Grangeville ist das die „95“, während uns die „12“ durch Wald- und Gebirgslandschaft über den Lolo Pass nach Missoula in Montana bringen wird, wo auch unser Tagesziel, der „Flat Head Lake“ liegt.
Die hiesige Landschaft ist schön, das enge Tal von Braun und Grün gezeichnet, und seine Berge hinterlassen den Eindruck, als hätte sie eine überdimensionale Hand gefaltet und geglättet, ohne Ecken und Kanten. In den Mulden wächst hartes, langes Gras, das hier und dort von Strauchwerk und einigen Nadelbäumen verdrängt wird. Und die lange Brücke des neuen White Bird Grad Highways fügt sich elegant und schön in das Tal ein, ohne dass eingezwängte Miniörtchen Whitebird dabei zu stören. Danach folgt der weiterführende, nach zehnjähriger Bauzeit 1975 fertiggestellte Asphalt dem Talrand und ringt dem braunen, gefurchten Berghang ein paar Meter Breite ab, um, parallel eingepasst in den Bergsockel, den nächsten Kamm zu erklimmen. Viel früher, 1872, hatte bereits die Eisenbahn ähnliche Pläne verworfen, weil der durch Süd- und Ost Idaho ziehende Salmon River mit seinem Canyon in diesem Gebiet die umliegenden Berge eine Meile tief einschnitt. Erst seit 1921 klettert eine Straße, die 1938 ihren ersten Asphalt erhielt, als „Old Spiral Highway“ über den White Bird Hill, auf der anderen Talseite, mit doppelter Länge und zahlreichen Haarnadelkurven, die zusammen 37 Kreise ergaben. Lange Jahre hatte sie auch das Privileg, Idahos einziger Nord-Süd Highway zu sein. In der Moderne reist man bequem, und diese Landschaft ist so schön wie sie es schon immer war. Auch heute an diesem zeitigen Morgen, an dem die aufgehende Sonne auf die Berge, das Tal und die unendlichen Hügel im Osten goldgelbes, warmes Licht zaubert und Hänge und Hügel wie weiche Teppiche erscheinen lässt, auf denen herbstlich gefärbte Gräser, Sträucher und einzelne dunkelgrüne Tannen und Kiefern Nuancen setzen.
Dieses Land gehörte einst den Nez Percé-Indianern (auch als Nee Me Poo bekannt), die seit unzähligen Generationen zwischen den mächtigen Gebirgen, Flüssen, Schluchten und grasbewachsenen Ebenen des Hochplateaus ihre Heimat hatten, wo die heutigen Staaten Oregon, Idaho und Washington zusammentreffen. Und dieses Land hatte die US-Regierung fünf Jahre vor ihrem vertraglichen Wortbruch zu schützen gelobt. Danach kamen Goldfunde, Tausende strömten in die Reservation, errichteten Siedlungen wie die des heutigen Lewiston, und der Druck der Goldsucher veranlasste die Regierung, den betroffenen Häuptlingen einen Vertrag vorzulegen, nach dem sie 25.000 Quadratkilometer ihres Landes aufgeben und in ein Gebiet umziehen sollten, das nur noch einem Zehntel ihrer jetzigen Heimat entsprach. Chief Josef und andere Häuptlinge weigerten sich, doch gelang es durch Bestechung Unterschriften von Häuptlingen unter den Vertrag zu bekommen, von denen kein einziger das Recht hatte, für die gesamte Nez Percé Nation zu sprechen. Als Josef davon erfuhr soll er seine Bibel weggeworfen, zur Religion seines Volkes zurückgekehrt sein und gesagt haben, dass kein Mensch, der frei geboren wurde, damit zufrieden sein kann, eingepfercht zu leben ohne die Freiheit zu haben, zu gehen wohin er will. Genauso gut könnte man erwarten, dass die Flüsse rückwärts fließen. Dennoch ging die US-Regierung von der Gültigkeit des neuen Vertrages aus, und hier unter dem Berg, wo ein „Nez Persé Monument“ an der „95“ die Aufmerksamkeit auf das „White Bird Battle Field“ lenkt, begann am 17.6.1877 die absolute Feindschaft und der Krieg mit den US-Truppen. Auslöser waren zwei unverhoffte gefallene Schüsse auf Seiten der Kavallerie-Soldaten unter Captain David Perry, als eine Abordnung der Indianer zwischen den beiden Hügeln in der Talmitte mit der US Armee friedlich verhandeln wollte. Von den etwa 100 US-Soldaten fand ein Drittel den Tod, der Rest floh ungeordnet. Für die Nez Persé-Indianer endete dieser kleine Sieg in einer langen Reise, mit Verfolgung, Aufgabe und der Ergebung von Chief Joseph, ihrem Häuptling, denn am Ende, kurz vor der rettenden kanadischen Grenze, hatten sie keine Chance mehr. Die Nez Perce waren hier zu Hause, und es war nur ein kleiner Teil dessen, was sie seit Generationen als Heimat bewohnten; siebzehn Millionen Acker Homeland bevölkerten sie insgesamt, knapp sieben Millionen Hektar. Als Gold gefunden wurde, nahm ihnen der „Treaty von 1863“ 90 Prozent des Landes weg. Danach kam es zum Kampf und zur Vernichtung dieser Indianer, die sich mit den Pelzhändlern, von denen sie ihren Namen erhielten, angefreundet, der amerikanischen Armee geholfen und den Missionaren den Weg nicht versperrt, und die auch die von Lewis und Clark angeführte Expedition in den Bitterroot Mountains 1805 vor dem Verhungern gerettet hatten. Mit Blick über das Tal und das weite Hinterland kann man sich hier oben jenen Tag vorstellen. Dort, wo heute der kleine Ort existiert standen die Tipis der Nez Percé, von links kamen die Soldaten, und die Gruppe der Verhandlungsführer mit ihren weißen Fahnen standen zwischen den beiden Hügeln …
Auf 1.294 Meter Meereshöhe zieht der moderne Highway über den Pass nach Granville, wo wir kurz darauf bei Kooskia – dem Tor zu den Clearwater –, Bitterrood Forests und der Selway-Bitterroot Wilderness – der von Lewiston kommenden „12“ nach Missoula in Montana folgen, und die schöne Fahrt durch Wald und Fels fortzusetzen, auf der uns der Lochsa River ein ganzes Stück Gesellschaft leistet. In der 70.000-Einwohner-Stadt mit Universität, internationalem Flughafen, von Bergen umgeben und den Flüssen Clark Fork, Bitterroot und Blackfoot durchzogen, waren wir schon einmal zu Gast, sodass wir nicht dort, sondern am Lolo-Pass die Reise kurz unterbrechen, der den Bitterroot-Bergzug auf knappen 1.600 Metern überquert und den Highway dort nach Montana bringt. Und diese „12“, die sich auch „Lewis & Clark Trail“ nennt, entstand auch auf historischem Boden, denn Lewis und Clark kamen am 12.8.1805 über den Lemhi Pass in das damalige Homeland der Sacajawea Indianer (ein Zweig der Lemhi Shoshone), folgten in nördlicher Richtung der heutigen „93“ nach Lolo/Missoula, um dann dem neuzeitlichen Verlauf des Highway „12“ in Richtung Lewiston und weiter in den Bundesstaat Washington zu folgen. In Montana hatte die Expedition, die einen Wasserweg vom Osten zum Pazifik finden, Flora und Fauna dokumentieren und die Eingeborenen entlang des Weges treffen sollte, den Missouri benutzt, bevor sie bei Great Falls nach Süden zog und auf der Höhe vom heutigen Dillon, wo wenige Kilometer südlicher das Lewis and Clark Memorial zu finden ist, Richtung Westen den Lemhi Pass (2.247 Meter) überschritt, um danach wieder nordwärts durch die Bitterroott-Mountains zu marschieren Der Heimweg verlief in dieser Gegend allerdings getrennt. Lewis ging eine ähnliche Route Richtung Sidney zurück, Clark hielt sich ab „Dillon“ südlicher, und sein Weg berührte ungefähr die heutigen Orte Billings und Glendive. Eine kurze Begegnung mit jenen Männern gibt‘s am Highway auch schon dort, wo die „Cedar Grove Historic Site“ einlädt, an diesem alten Western Red Cedar-Bestand nicht achtlos vorbeizufahren. Geehrt wird an diesem Ort Bernhard De Voto, der hier sehr oft gecampt und die Journals von Lewis und Clark studiert haben soll, um sie fünfzig Jahre später zu veröffentlichen. Und hier erfasst das Auge wohl noch die gleichen Bilder, die auch jener vor mehr als 200 Jahren gesehen hat, denn Zedern wachsen sehr langsam und sind erst nach 400 bis 500 Jahren ausgereift. Und gewährt man ihnen den nötigen Schutz, dann können sie bis zu 3.000 Jahre überleben.
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