Denn er regt sich auf … Er regt sich den ganzen lieben, langen Tag auf! Er hält sich an Banalitäten auf, an die unsereins nicht mal ein Augenmerk verschwenden würde! Er regt sich auf über Kassenwarteschlangen im Supermarkt, er regt sich auf über Ausländer, über Deutsche, über Schwarze und Gelbe und Bleichgesichter, er regt sich auf übers Wetter, über die Jahreszeiten, über Tag und Nacht, über meinen Fahrstil, er schwadroniert sich einem Herzinfarkt entgegen beim Thema Politik, erbost sich über Autos, die halb auf dem Fußweg parken, er sieht rot, wenn die Nachbarn seinen Weg kreuzen, er hebt ab beim Anblick von Schulklassen auf dem Pausenhof, er wird kreuzverrückt, wenn etwas nicht so geht, wie er sich das vorstellt, er lamentiert und jammert und brüllt und tobt – ein wild gewordener Affe, der der ganzen Welt die Faust zeigt und kreischend seine ungebetene Meinung kund tut!
Denn – was zu all diesen reizenden Charakterzügen hinzukommt – er kann sich nicht benehmen! Er hat keinen Anstand im Leibe. Weil ihm niemand diesen eingeprügelt hat.
Die privaten Umstände seiner Kindheit und Jugend als Nachzügler von insgesamt vier Kindern verwehrten ihm eine ordentliche Erziehung. Die Eltern, beide schon zu alt und zu krank, um sich mit diesem eigengebauten Psychopathen zu beschäftigen, hatten alle Hände voll zu tun, um ihre Blagen satt zu bekommen; die älteren Geschwister waren nicht allzu erpicht darauf, ein völlig hysterisches und cholerisches kleines Brüderchen zu Benimm und Anstand zu erziehen. Und dabei ist es geblieben. Ein hysterischer, cholerischer Dauerquatscher, der nicht einmal über die Fähigkeit zu vernunftbegabter Diskussion verfügt. Oh, er wird schon diskutieren, wenn Not am Mann ist, keine Sorge! Aber er wird die Diskussion ALLEIN führen, denn die Diskussion ist ER, und nur ER weiß, wo es lang geht, nur ER weiß um Recht und Ordnung, nur ER wird seinen Standpunkt zu vertreten wissen! Weil nämlich alle anderen Diskussionsteilnehmer nicht ZU WORT kommen!
Aber lassen wir das. Wir werden noch genug Gelegenheit bekommen, dies alles zu beleuchten.
Fest steht, er hegt Hass und Wut auf alles und jeden. Er legt sich mit Gott und der Welt an, mit den Nachbarn, mit der Hausverwaltung, er streitet und prozessiert, er hat vor nichts und niemandem Angst, ja, er ist einer, der nicht einmal davor zurückscheut, sich bei Erstreitung seiner Rechte auch ab und an mit der Polizei anzulegen. Dies gern auch unter Einbeziehung des Faustrechtes.
Gut, der verrückte Heini hat auch seine freundlichen Attribute, nur nützen ihm die wenig. Denn egal, um welche Ecke er gerade herum geschleudert kommt, die Leute beginnen sich eiligst aus seinem Dunstkreis zu verziehen. Da kann er sein Gesichtchen noch so freundlich scheinen lassen. Sobald er den Schnabel aufsperrt, um was auch immer von sich zu geben, so treten die Menschen den Rückzug an. Denn sie ist nicht nur unbequem und ungehobelt, diese radelnde Vogelscheuche, sie ist auch LAUT! Ganz laut! Er kann nicht leise sein, der Dicke. Er kann nicht leise reden, er kann nicht leise gehen, er kann überhaupt nichts leise machen. Wo er geht und steht, egal, wo er gerade sein Unwesen treibt, man hört ihn. Auch ohne Worte. Es poltert und kracht und scheppert; man hört ihn eigentlich immer. Selbst wenn er noch meilenweit entfernt ist. Die Tage, die ich mit ihm gemeinsam verbringe, sind erfüllt von meinem halbstündlich heruntergeleierten Mantra: „Nicht so laut – schrei nicht so – bisschen leiser …“ Was wenig fruchtet. Denn seiner Ansicht nach ist er doch nicht LAUT! Er macht doch keinen KRACH, nein! Er doch nicht.
Aber wie gesagt, das alles werden wir noch ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen.
Was gibt es noch über ihn zu sagen? Ach, eigentlich gibt es so viel über ihn zu erzählen, dass ich gar nicht weiß, wo anfangen. Im Grunde genommen verkörpert er zum einen das nackte Grauen. Und zum anderen einen einfach gestrickten Charakter mit haarsträubenden An- und Einsichten, der mir zum Beispiel weis machen will, den Lieben Gott gebe es eigentlich gar nicht, der sei nur eine Erfindung der Evangelischen als Vorwand dafür, auch ein paar Feiertage unter dem Deckmäntelchen des Christentums kreieren zu können. Weil ja die Katholiken schon so viele hätten. Dies ist nur eine von vielen Weisheiten dieses ungetauften, nie mit Religion in Berührung gekommenen Ex-DDR-lers, der außerdem in der verqueren Überzeugung lebt, unser Lieber Herr Jesus habe an Ostern Geburtstag, und Karfreitag heiße Karfreitag, weil’s da immer Fisch gebe. Äh – also, wie ich das jetzt auseinander dividieren soll, weiß ich auch nicht so recht. Ich habe versucht, ihm das alles zu erklären, stieß dabei auf derart morbides Unverständnis, dass ich es irgendwann dabei bewenden ließ. Als er mich eines Tages um das Mysterium von Christi Himmelfahrt löcherte und ich dieses darzulegen begann, wurde ich anschließend befragt, ob der Liebe Jesus denn mit Air Berlin oder mit Turbo Prob da rauf gefahren sei. Kurzum: An Ostern feiern wir halt jetzt immer dem Lieben Herrn Jesus seinen Geburtstag, und an Weihnachten machen wir einen Christbaum, weil man das eben so macht und der ganze Zirkus eh bloß mal wieder eine Wessi-Erfindung ist, wohl gemerkt: von katholischen Wessis!
Soweit alles klar?
Er ist also zu blöd, als dass man ihm noch etwas Neues beibringen könnte, einfach zu gefestigt in seinen eigenen verrückten Ansichten. Er ist zu blöd und zu alt für so genanntes neumodisches Gelumpe. Andererseits wieder verfügt er über genügend Bauernschläue und Hartnäckigkeit, um auf der Suche nach einer neuen Klobrille an einen Verkäufer für Sonnen- und Gleitsichtbrillen zu geraten, den er so lange und aufs Massivste massakriert, bis der bedauernswerte Optiker sich nach einem stundenlangen Streitgespräch erschöpft dazu bereit erklärt, ihm am Wochenende frei Haus einen nagelneuen Toilettensitz zu liefern.
Und er duzt jeden. Schrecklich! Das ist ganz schrecklich! Ich bin davon überzeugt, würde ihm unser lieber Papst über den Weg laufen, auf welchen göttlichen Wegen auch immer, der Dicke würde Du zu ihm sagen. Und ihn dann nicht fragen, wo denn seine eigene – also des Dicken – göttliche Aufgabe läge, sondern er würde ihn in seiner unglaublich penetranten, bezwingenden Art und Weise anhauen, ob er mit ihm wohl ein Bier trinken ginge. Irgendwo halt, wo es so ein scheiß blödes Bier gäbe. Und ich bin davon überzeugt, unser lieber, guter Papst würde halt mitgehen. Ein Bier trinken. Mit einer unguten, verqueren Seele, die einfach nur eine Klobrille kaufen wollte. Und unser guter, lieber Papst wüsste auch nicht so recht, weshalb er das täte. Er würde halt einfach mitschlurfen. Ein Bier mit dem Dicken trinken. Und sich dann von ihm an den Rand der Suizidbereitschaft quasseln und kreischen lassen …
Ja, so ist das mit ihm. Kurzum: Der Mann ist ein felsenfester Garant für absolute Peinlichkeiten, was natürlich einen irren Spaß für mich als gelegentliche Begleitperson bedeutet. Für mich, die propere und biedere Bürodame, welche zwangsläufig im Kielwasser dieser komplett durchgeknallten, radelnden, Flaschen sammelnden Kreatur einher dümpelt und sich seit nunmehr satten acht Jahren wieder und wieder fragt, was denn wohl die seligen Eltern zu einem solchen Exemplar gewachsener und gereifter Dussligkeit sagen würden, mit dem ich nun um die Häuser ziehe. Ein Wesen, das mit seinen hanebüchenen Aktionen und den damit verbundenen Erlebnissen, die wir beiden zwangsläufig teilen, bei mir im Büro für so viel schallendes Gelächter gesorgt hat, dass einige meiner Kollegen und Kolleginnen mir schon so oft ans Herz gelegt haben, wenigstens ein paar dieser verrückten und wahren Geschichten zu Papier zu bringen. Geschichten, die wirklich wahr sind. Die einen etwas länger. Die anderen etwas kürzer …
Was ich hiermit versuche. Der bereits erwähnten Traumabewältigung wegen eben.
Читать дальше