»Ja …« Ich drehe mich kurz um und schaue ebenfalls zum Fenster, und tatsächlich sehe ich erst jetzt, wie schön es draußen geworden ist. Ich bin aber auch nicht blöd und merke genau, dass er eigentlich ein wenig Kontakt knüpfen möchte, weil ohnehin die Unterhaltung im Zuschnitt eher dürftig ist. Er scheint offenbar gerade ein wenig Luft zu haben. Ich höre, dass der Laser im Hintergrund arbeitet. Was er gerade ausbrennt, verrät er mir nicht. Ich frage auch nicht. Stattdessen frage ich: »Lohnt es sich immer noch in Polen zu tanken?«
»Ja, aber nur in Grenznähe. Am besten man hat eine Autogasanlage installiert.«
»Du wohnst in Grenznähe?«
»Nein. Früher haben in Cedynia gewohnt. Jetzt ich wohnen hier.«
»Aber du fährst doch zu Besuch zu deinen Eltern?«
»Nicht so oft …« Er lächelt über irgendwas. »Du klingen auch nicht wie von hier.«
»Ja, ich bin aus Sachsen«, sage ich, weil der Preuße das immer denkt, dass ich das bin, obwohl ich selbst ein Preuße bin.
Ich schalte die Presse ein und er hebt die Hand – wir müssen wieder. Einen Blick werfe ich noch aus dem Fenster, es ist die kräftige Märzsonne, die so fasziniert.
Der Pole ist mit Abstand der netteste Mitarbeiter im Zuschnitt. Eigentlich kein Wunder, wenn er ein Gastarbeiter aus Polen ist, zumindest wäre das nach seinem polnischen Autokennzeichen so zu vermuten. Und im Gegensatz zu mir kann er sich wenigstens ein Auto leisten, ein ziemlich neues sogar. Bei mir hingegen reicht es derzeit nicht einmal für ein gut gehendes Fahrrad. Doch eines verbindet uns dennoch: Wir beide wollen arbeiten, etwas bewegen, auch wenn unsere heimatlichen Wurzeln vom Lande herstammen.
Es geht zur Sache:Ich schlage voll rein …, das heißt, ich bin gerade beim Lochen der Tabletts angekommen und will nun unbedingt meine Quantität etwas steigern. Zwar könnte ich mich genauso gut fragen, warum ich das bei der mageren Bezahlung überhaupt tue, aber genau diesen Punkt versuche ich heute, zu verdrängen. Es muss wohl vielmehr so sein: Ich hab schon die Taschen voller Geld – zumindest in den Träumen. Ich tue es, um mir selbst etwas zu beweisen, so eine Art Test. Nein. Damit der Einrichter nicht wieder rumnölt, dass wir zu langsam sind. Verdammt! Ich will einfach nur ordnungsgemäß den Auftrag erledigen.
Nach gut fünf Stunden ist jedoch klar, dass ich ganz sicher keine neuen Rekorde aufstellen werde. Wie auch, wenn ich erst bei Tablett 430 bin. Scheinbar habe ich mir zu viel vorgenommen. Zwar ist es schön, wenn der Wille da ist. Nützt aber wenig, wenn der Motor die ganze Zeit über stottert.
Warum suche ich überhaupt die Schuld bei mir, dass es nur schleppend voran geht? Soll ich das vielleicht sogar, damit andere es einfacher im Leben haben?
Tatsächlich sieht die Sache nämlich so aus: Fast jedes 10. Tablett hat einen sichtbaren Sprenkel (eingepressten Metallsplitter) beim Lochen abbekommen, weshalb ich nun wie ein Blöder die Tabletts nachschleifen muss. Und obwohl ich das Werkzeug inzwischen nach jedem zweiten Lochdurchgang mit einem Öl-Lappen reinige, wird es nicht viel besser. Ich kotze voll ab, und irgendwie schleicht sich auch die Einbildung heran, dass ich es bin, der hier in der Metallverarbeitung pfuscht. Aber mehr wie Mühe geben, kann ich mir nicht. So versuche ich, das Beste daraus zu machen.
Mit der Zeit, nach viel Schleifarbeit und einigen Überlegungen habe ich so einen Verdacht: Der viele »Ausschuss« entsteht, weil sie neuerdings die Bleche mit dem Laser zuschneiden. Der Laser sprüht, und er sprüht so feines Material auf die Oberflächen der Bleche, dass ich fegen und mit dem Lappen wischen kann wie ich will, es bleiben dennoch fast unsichtbar feine Metallblättchen zurück, die sich dann mit verpressen.
Es ist kurz nach 19 30Uhr und ich beschließe, es vorerst zumindest dem Polen zu sagen.
Es geht richtig zur Sache:Ich trete meine Spätschicht an und schaue als Erstes in die Tonne der Wahrheit. Die Tonne ist bis oben hin voller Ausschuss. Mich wundert es nicht. Mein Kompagnon, der Kollege, hat noch nie gerne Tabletts nachgeschliffen. Stattdessen raucht er gerade umso genüsslicher seine Feierabend-Zigarette.
»Also, Jungs«, sagt der Einrichter, als er unser Arbeitspensum einmal genauer durchrechnet. »Wir ziehen hier ständig einen Faden hinterher, und der Faden wird dann von Woche zu Woche immer länger. Es muss so gearbeitet werden, dass die nächste Schicht, also du jetzt, einen ganzen Auftrag bewältigen kann.« Gemeint ist natürlich: Ihr seid zu langsam und wenn ihr nicht schneller werdet, dann hat das Konsequenzen. Er schaut nun konkret mich an: »Zum Beispiel hat dein Kollege vor zwei Stunden den neuen Auftrag angefangen, und wenn du jetzt gut weiterarbeitest, dann bist du wahrscheinlich so gegen 19 00Uhr schon fertig. Dann ist aber keiner mehr da, der die Presse für den nächsten Arbeitsschritt umbauen kann. Versteht ihr, ein Auftrag pro Schicht! Übrigens schaffen das unsere Leute hier ganz locker, und ihr beide müsst euch einfach nur richtig ins Zeug legen.«
»Ja, weißt du«, bemerke ich, »neuerdings werden die Bleche auch mit dem Laser zugeschnitten, und komischerweise verpressen wir seitdem viel mehr kleine Metallblättchen als früher. Ich meine, wir schleifen uns dann dumm und dämlich …«
»Dann müsst ihr das Werkzeug eben sauberer abwischen, und die 60 oder 70 Tabletts mit den Sprenkeln werft ihr halt gleich in die Tonne.«
»Wie jetzt? Ich denke, wir sollen nicht so viel Ausschuss produzieren?«
»Hm!«, macht der Einrichter und schaut nun ernster. »Du sollst nicht so viel denken, du bist nämlich schneller, wenn du noch 400 Teile mehr durch die Presse jagst, anstatt den Schrott 2 Stunden lang akribisch zu schleifen. Kapiert?!«
Nun ist es soweit und ich lasse es heraus: »Weißt du, wie du redest, und weißt du überhaupt, was ich für die Maloche hier bekomme? Ich habe bei Vollzeit letzten Monat knappe neunhundert Eier auf die Hand gehabt, und jetzt soll ich noch einen Zahn mehr auf die Tube drücken? Hier unten bekommt man Kopf- und Rückenschmerzen, und von der kalten Zugluft, der wir ausgesetzt sind, will ich gar nicht erst reden …«
»Schon mal mitbekommen, dass im Zuschnitt nach Akkord gearbeitet wird?«, fragt der Einrichter dagegen.
»Bei uns kommt aber kein Akkordlohn an! Der kommt nur bei eurer Stammbelegschaft an. Die bekommen nämlich mehr als das Doppelte für vergleichbare Arbeiten gezahlt.«
»Mag sein. Ich bin aber nicht die Personalabteilung! Das mit der Bezahlung müsst ihr schon mit eurer Zeitarbeit klären. Ich habe hier einen Auftrag zu erfüllen, und da habt ihr beide gefälligst mitzuspielen!«
»Klingt für mich wie nach Ausbeutung. Von wegen einig Ossiland, sozialer Zusammenhalt und so ein Gelabere …«
»Ach, halt doch die Klappe!«
Die Wut steigt in ihm auf, und ich kann es deutlich in seinen Augen sehen.
Der Kollege dagegen sagt nichts. Er raucht einfach nur seine nächste Zigarette. Fast scheint es so, als ob ihn das geforderte Arbeitspensum und die Bezahlung nicht sonderlich anheben tut.
Der Einrichter deutet nun gezielt mit dem Finger auf mich und spricht Klartext: »Entweder du machst mit, oder du bist raus!« Er lässt uns stehen und geht kopfschüttelnd hinaus.
»Und du, wie siehst du das eigentlich hier?«, frage ich den Kollegen. »Hast du auch eine Meinung dazu?«
Er hebt die Brauen und sagt: »Ja, weißt du …, das mit dem Hungerlohn, das stimmt natürlich schon. Nur was sollen wir alleine dagegen tun?«
»Na, wir müssen uns mit den anderen zusammenschließen!«, sage ich klar heraus. »Wir müssen uns organisieren, eine einheitliche Richtung strukturieren, uns formieren, und dann unsere Forderungen mit vereinter Kraft vor den Arbeitgebern demonstrieren.«
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