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Herausgegeben von Riccarda Gleichauf mit Fotografien von Alexander Paul Englert |
Ein Projekt der Faust Kultur Stiftung KULTUR STIFTUNG
www.faustkulturstiftung.de
Mit freundlicher Unterstütung von: Kulturfonds Frankfurt RheinMain | Stiftung Polytechnische Gesellschaft | Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main
1. Auflage 2018
© Edition Faust, Frankfurt am Main 2018
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
www.editionfaust.de
Lektorat: Regine Strotbek
Gestaltung: Bayerl & Ost
Illustration: „Textbilder“ von Alexander Paul Englert © Alexander Paul Englert 2018
Druck: druckhaus köthen, Köthen (Anhalt)
Printed in Germany
ISBN 978-3-945400-59-3
eISBN 978-3-945400-60-9
www.textland-online.de
Eine Buchhandlung in einer Kleinstadt Ende der 1990er Jahre. Mit Mühe habe ich mir einen Platz in dem dazugehörigen Café ergattern können, in dem der noch unbekannte Autor Feridun Zaimoglu aus seinem Buch Kanak Sprak lesen würde. Eben hatte ich mir in einem Battle-Rap-Forum im Internet unter männlichem Pseudonym den Ärger über meine weiblich-unterdrückte Existenz in möglichst poetisch klingenden Versen von der Seele geschrieben. Hatte versucht, mein Gegenüber mit den fiesesten Reimen zu disqualifizieren. Nun saß ich eingezwängt zwischen Akademikerinnen und Akademikern aus „meiner“ deutschen Bildungsbürgerschicht und lauschte gebannt einem nicht enden wollenden Wortschwall, einem Hakan, 22, Kfz-Geselle, der sich den Frust über die Zustände in seinem Milieu genauso aus dem Körper sprechen musste, wie ich es vor ein paar Stunden noch getan hatte.
Die halbfiktiven Interviews, die Zaimoglu vorlas, erschienen fremd und gleichzeitig vertraut, erzählten von einer anderen Welt, die doch in meiner existierte, und wirkten ein auf mein bis dahin „biodeutsches“ Bewusstsein, das fortan kein solches mehr war.
Die Frage, ob das auch „deutsche Literatur“ sei, stellte sich mir damals nicht. Diese Texte sprachen mich an und stießen mich in ihrer ungewohnt derben Poesie ab, doch gerade deswegen weckten sie verstärkt mein Interesse.
„Das Fremde ist etwas, das sich zeigt, indem es sich entzieht“, so der Phänomenologe Bernhard Waldenfels, dessen Beobachtung ich Jahre später in einem der wenigen Germanistikseminare an der Frankfurter Goethe-Universität kennenlernte, die sich mit deutschen Autorinnen und Autoren beschäftigten, die nicht Goethe oder Schiller hießen, sondern zum Beispiel Yoko Tawada und Emine Sevgi Özdamar. Anspruchsvolle Literatur galt immer schon als ein Medium für Grenzüberschreitungen. Doch nun war damit vor allem der Begriff „Transkulturalität“ gemeint, der im Jahr 2009, nach der Literaturnobelpreisvergabe an Herta Müller, deutsche Schriftstellerin aus dem rumänischen Banat, in der Forschung vermehrt Beachtung fand.
Doch wie facettenreich ist die vom kulturellen und sprachlichen Reservoir mehrerer Kulturen geprägte deutsche Literatur aktuell eigentlich wirklich? Begleitend zum Literaturprojekt „TEXTLAND – Made in Germany“ erscheint mit diesem ersten Sammelband eine Auswahl an Stimmen, die in Form von Essays, Gedichten und Erzählungen Denkräume eröffnen, die in ihrer literarischen Fiktionalität vor allem starke gesellschaftspolitische Akzente setzen.
Hannah Arendt stellte in ihrer Vita Activa fest: „Eine gemeinsame Welt verschwindet, wenn sie nur noch unter einem Aspekt gesehen wird; sie existiert überhaupt nur in der Vielfalt ihrer Perspektiven.“ Genau das möchte TEXTLAND sein: ein öffentlicher Handlungsraum im Sinne der Philosophin, in dem die Vielfältigkeit der heutigen deutschen Literatur „in Erscheinung treten“ kann, um zu wirken.
Riccarda Gleichauf
Sudabeh Mohafez: Schrille Töne auf engen Bühnen Sudabeh Mohafez Schrille Töne auf engen Bühnen Versuch über ein wirkmächtiges Phantom
Marjana Gaponenko: Die Schmuckeremitin Marjana Gaponenko
Doron Rabinovici: Wenn du’s nicht weißt Doron Rabinovici
Karosh Taha: Wenn Saddam zurücklächelt
Max Czollek: Nachrichten aus Marathon
Abbas Khider: Stumm und starr vor Angst
Shirin Kumm: Identitätssuche
Lena Gorelik: Was ist Heimat?
Sandra Gugić: Billy Bana, 1999
Sharon Dodua Otoo: neun
Arta Ramadani: Kleine Stadt, große Sorgen
Aleš Šteger: Schnurrbärte
Alexandru Bulucz: Der Ausländer seine Rose ihr Stein
Hadija Haruna-Oelker: Essay
Paul-Henri Campbell: re:aktor poems i-iii
Feridun Zaimoglu: Den Fremdländer kannst du nimmer aus der Fresse wischen
Jamal Tuschick: Orgasmen im mikrokosmischen Orbit
Safiye Can: „Pianissimo“-Gedichte
Quellen
Essay
Sudabeh Mohafez
Schrille Töne auf engen Bühnen
Versuch über ein wirkmächtiges Phantom
Foto: Markus Kirchgessner
SUDABEH MOHAFEZ (*1963 in Teheran). Stationen in Berlin, Lissabon, Stuttgart und im Schwäbischen Wald. Schreibt Romane, Erzählungen, Essays, Lyrik, Theaterstücke. Arbeitete als Lektorin, Übersetzerin (Englisch, Persisch, Portugiesisch) und Leiterin von Schreibwerkstätten. 2006 erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. 2017 erschien ihr Erzählband Behalte den Flug im Gedächtnis in der Edition AZUR.
Zunächst war da nur die Bitte um einen Essay zu „mehrsprachiger Literatur“. Ich war angetan, sagte bedenkenlos zu und zupfte sofort Barbara Köhlers neuen Band 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss aus dem Regal. In ihm finden sich Passagen wie die folgende:
„Wir werden uns erinnern, werden übersetzen, über den Fluss werden wir sprechen am Kanal, mit Blick auf Sonnenuntergänge und den grünen Saum des Horizonts oder das stille Gewässer da unten im Tal und das Licht auf den Bäumen, Schatten, die wachsen, die am Abend aus der Senke heraufstiegen: It was summer , zomer, der Sommer 2016 und Marja Zomer, die fürs Essen und Trinken sorgte, Wirtin war, Wartin, waitress, waardin en gastvrow (eins dieser Wörter wird auf der zweiten Silbe betont und nennt einen Ort in der Uckermark), Marja kam aus der Küche, lachte, brachte Essen.“
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