Pep hatte sich dabei ertappt, dass er den Freund eine Weile am Tatort beobachtet hatte. Er war einmal mehr von der Gelassenheit seines Partners Javier Fernandez überrascht. Xavi versuchte, sich besonders cool zu geben, aber Pep kannte ihn besser: Das würde nicht spurlos an einem jungen Polizisten vorübergehen, der sich dafür entschieden hatte, im Dreck zu wühlen, obwohl er es gar nicht nötig hatte.
Pep musste an Xavis Vater denken, der durchaus in der Lage gewesen wäre, für seinen Sohn etwas Besseres zu finden. Javier Fernandez war intelligent genug, zu wissen, dass man mit ›Vitamina‹, wie man es nannte, alles machen konnte. Aber er wollte wohl sein eigenes Ding machen und außerdem schien er es zu mögen, mit Pep zusammenarbeiten zu dürfen. Für ihn war die Freundschaft zu seinem Kollegen Pep viel wichtiger als die Privilegien seines Vaters.
Die beiden entschieden sich für die Cafeteria Metro, die sich an den Ramblas del Raval befand.
*
Dem jungen Pep war eigentlich nicht nach Kaffee zumute, er spürte Traurigkeit und ein tiefes Mitgefühl für die Opfer. Seit seiner frühesten Jugend hatte er ein Faible für die Damen aus dem Milieu. Die Prostituierten hatten seine Kindheit geprägt.
Er hatte erkannt, dass man sich am besten bei den sogenannten Putas, den Huren, etwas Taschengeld verdienen konnte. Sie verdienten schnelles Geld und genauso schnell gaben sie es auch wieder aus. Zweidrittel der in El Raval lebenden Damen prostituierten sich und lebten vom Sextourismus der siebziger Jahre. Pep war im zarten pubertären Alter von dreizehn Jahren und dem weiblichen Geschlecht durchaus zugetan.
Alle Huren im Barrio Chino kannten den kleinen Pepito, den Sohn der Maria, der bereits im frühesten Kindesalter seiner Mutter im Geschäft helfen musste. Andere Kinder seines Alters begannen, die Touristen zu beklauen, die Frontscheiben der Autos zu reinigen oder zu betteln. Pep hatte sich für eine andere Variante entschieden. Er mochte die Damen aus dem Milieu und alle Huren waren geradezu vernarrt in den kleinen Zigeunerjungen.
Am liebsten waren ihm die Botengänge für Pilar. Sie war eine hübsche junge Hure mit langen schwarzen Haaren und üppigen Kurven. Sie war aus Andalusien, was man unschwer an ihrem Dialekt erkennen konnte.
Um etwas größer zu wirken, trug sie immer Schuhe mit hohen Absätzen und ein kurzes Röckchen über ihren wohlgeformten Beinen. Bei Pilar bekam er mal fünfundzwanzig, mal fünfzig Pesetas, wenn er für sie ein paar Besorgungen machte. Das war nicht wenig, eine Coca Cola, die er sich hin und wieder gönnte, kostete acht Pesetas.
Pilar wohnte in der Carrer Sant Martí, wo sie auch ihre Liebesdienste im ersten Obergeschoss anbot.
Er hatte sich schon einige Male heimlich gewünscht, einmal mit ihr die Stiege in den ersten Stock hinaufgehen zu dürfen. Klar waren fünfundzwanzig Pesetas viel Geld, aber hätte er nicht gerne mal auf das Geld verzichtet, wenn sie ihn einmal in die körperliche Liebe einweisen würde?
Diese Frage hatte Pep immer wieder verworfen. Er wusste, dass es diese Beziehungen‹ in ein paar Jahren nicht mehr geben würde. Erst einmal brauchte er Geld, um seine Bedürfnisse zu stillen und seiner Mutter nicht auf der Tasche liegen zu müssen und zum anderen hatte er sich im Laufe der Jahre einen beachtlichen ›Kundenstamm‹ aufgebaut, den er nicht verlieren wollte.
Zunächst begnügte sich der junge Pep mit ein paar Küsschen oder Umarmungen von Pilar und den Damen, für die er täglich Besorgungen machte.
Pep erinnerte sich an Maria Jesus aus der Carrer Sant Pau, seine ›Lieblingskundin‹. Sie war etwa fünfunddreißig Jahre alt und hatte riesige Brüste. Maria Jesus war Mallorquinerin und ihr langes blondes Haar gefiel nicht nur ihm, sondern auch ihren Kunden. Im Barrio war sie auch bei allen anderen sehr beliebt. In dieser Zeit machte man hier keine Unterschiede. Es gab keine Standesdünkel und Hure zu sein war nichts Anrüchiges. Die Menschen, die hier lebten, waren die Außenseiter der Gesellschaft und dementsprechend war der Zusammenhalt unter den Bewohnern dieses Viertels. Hier zählte nur der Mensch. Jeder hatte mit sich selbst genug zu tun und man respektierte sich. Die Begrüßung zwischen der etwas korpulenten Hure und ihm war immer sehr herzlich: die in Spanien üblichen Küsschen auf die Wange und noch eine Umarmung. Sie pflegte ihn immer an ihre großen Brüste zu drücken. Das allein war schon einen Besuch bei ihr wert. Darüber hinaus gab es bei Maria Jesus, sofern die Geschäfte gut liefen, immer hundert Pesetas. Sie schickte den kleinen Pepito permanent in den nahegelegenen Mercat de la Boqueria, um Lebensmittel, frisches Obst, Gemüse und andere Dinge zu kaufen.
Sie zählte zu den Topverdienerinnen im Barrio und er wunderte sich immer über die Menge, die er für sie einkaufen musste. Ihre Geschäfte gingen gut und sie war dafür bekannt, dass sie ihre Stammfreier bekochte. Ein außergewöhnlicher Service, für den sie von ihren Kolleginnen neidisch belächelt wurde. In El Raval nannte man sie La Cocinera, die Köchin.
*
Es war inzwischen vierzehn Uhr geworden. Zu dieser Zeit machte sich Pep immer Gedanken, wo er zu Mittagessen sollte. Für heute war sein Bedarf gedeckt.
Es war mal wieder unerträglich heiß und die Temperaturen waren in der Mittagszeit auf achtunddreißig Grad Celsius gestiegen. Die Geschäfte waren geschlossen und wer nicht unbedingt etwas zu erledigen hatte, versuchte, der Hitze entkommen.
Xavi und Pep beschlossen, sich auf den Ramblas ein schattiges Plätzchen zu suchen. Hier wehte von Zeit zu Zeit ein schwacher Wind, den das Meer in die Allee trieb. Der Tag war ohnehin für sie gelaufen, sie hatten keine Lust mehr auf eine Streife durch das Viertel. Beide waren für heute bedient.
Am nächsten Morgen stand Pep schon früh auf. Er hatte die Nacht zuvor schlecht geschlafen. Da war die nächtliche Hitze, die ihm zu schaffen machte und der gestrige Vorfall ging ihm nicht aus dem Kopf.
Er fuhr schon früh auf die Jefatura und ihm fiel auf, dass das Auto von Xavi auch schon in der Garage stand.
Er bevorzugte es, mit dem eigenen Auto zu kommen, das er sich gerade gekauft hatte, obwohl er nur einige hundert Meter entfernt wohnte.
Als Pep das Büro betrat, saß sein Kollege gelangweilt hinter seinem Schreibtisch. Es war erst acht Uhr dreißig und so früh war er noch nie im Büro gewesen.
»Was machst du denn schon so früh hier?«, fragte Xavi erstaunt.
»Das gleiche könnte ich dich fragen«, sagte Pep und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. »Wir gehen gleich mal in die Pathologie und schauen, was der Doc sagt. Ich hoffe, dass Laura oder Montes uns schon etwas sagen können und außerdem muss ich noch beim Chef mündlich berichten.«
Es war inzwischen neun Uhr geworden und Pep hatte Xavi aufgetragen, mit dem Bericht zu beginnen. Das Schreiben auf der alten klapprigen Schreibmaschine beherrschte der Kollege Javier weitaus besser als er und so sollten diese unerfreulichen Berichte für Xavi zur allmorgendlichen für ihn Routine werden.
Pep war gerade dabei, sich eine Zigarette anzuzünden, als die Bürotür ohne Klopfen aufgerissen wurde. In der Tür stand sein Chef Comisario Lopez, der wie immer schon sehnsüchtig auf einen Bericht seiner Beamten wartete.
›Na, zu dem muss ich dann ja wohl nicht mehr‹, dachte Pep.
»Da habt ihr ja eure zweite Leiche«, bemerkte Lopez zynisch und lächelte. »Wenn ihr was habt, möchte ich das sofort wissen, und bitte den Bericht von gestern.«
«Okay Chef, Javier Fernandez ist gerade dabei, den Bericht zu schreiben und dann werden wir sofort in die Pathologie fahren, um weitere Einzelheiten zu erfahren«, beruhigte Pep seinen Vorgesetzten.
»Ich hoffe, dass Laura oder Montes uns schon etwas sagen können.«
Lopez machte eine abwinkende Handbewegung und verließ wortlos den Raum.
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