José R. Brunó
El Raval
Schmutziges Viertel
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
José R. Brunó
Bereits in den frühen 1970er Jahren hat der Autor dieses Buches seine Liebe zu dem faszinierenden Land Spanien entdeckt. In seiner zweiten Heimat verbrachte er die Hälfte seines Lebens und erzählt hier die Geschichte eines jungen Polizisten namens José Maria Cardona Garcia, der in El Raval in Barcelona geboren wurde. El Raval, ein Stadtteil, den alle Katalanen nur Barrio Chino (das Chinesenviertel) nannten. Ein Stadtteil, der bis weit in die 1990er zu einem der heruntergekommensten in ganz Spanien zählte.
Die Faszination der Hafenstadt Barcelona hat den Autor inspiriert, diese Geschichte zu schreiben, die sich so oder so ähnlich zugetragen hat.
Ein besonderer Dank gilt den Personen, die bei den Recherchen geholfen haben, um diese Geschichte zu schreiben.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Gemälde Cover © Mikhail Zahranichny
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
www.engelsdorfer-verlag.de
Barcelona, die Perle am Mittelmeer. Eine der schönsten und zugleich aufregendsten Städte Europas. Die katalanische Metropole erwacht in den frühen Morgenstunden mit einem Lärm, der durch das Klappern von Tellern und Tassen in den zahlreichen Bars und Straßencafes entsteht, als seien diese in der Nacht nicht geschlossen gewesen. Der zunehmende Straßenverkehr, der permanent von einem lauten Hupkonzert begleitet wird, gehört zu Barcelona wie der Eiffelturm zu Paris. Die katalanische Gelassenheit jedoch lässt diesem Treiben, bei dem jeder Bürger das Gefühl haben muss, in einem Kessel zu leben, der jeden Moment zu explodieren droht, erträglich erscheinen.
Man versucht, sich des Lärms und der Hitze, die in den Sommermonaten nahezu unerträglich sind, zu entziehen, in dem man sich in die nahegelegenen Parks, in die engen Gassen der Altstadt und unter die schattenspendenden Platanen der Ramblas1 zurückzieht.
Die Stadt ist unglaublich laut und zugleich von einer bizarren Schönheit, so dass man sich dem Charme Barcelonas nicht entziehen kann.
Ein spanischer Philosoph hat die Stadt einst mit einer unglücklichen Liebesbeziehung verglichen. Wenn man mit ihr lebt, ist sie unerträglich, und wenn man sie einige Zeit nicht gesehen hat, vermisst man sie.
Dieses Barcelona ist sicherlich in den letzten 25 Jahren eine der bedeutendsten kulturellen Metropolen Europas geworden. Die katalanische Hauptstadt hat mit seiner Vielfalt der Kulturen eine Renaissance erlebt, die in ganz Europa seinesgleichen sucht.
Herzstück dieser Stadt war lange Zeit das Viertel El Raval, das sogenannte Barrio Chino, das Chinesen-Viertel. In diesem heruntergekommenen Viertel, welches man in der Nacht besser gemieden hat, passierten grauenhafte Morde. Verbrechen, die vor einigen Jahren gerade mal als Randnotiz zur Kenntnis genommen wurden.
Wo einst bedeutende Künstler wie Pablo Picasso und Joan Miró durch die Kneipen und Bars gezogen sind, war das größte Bordell Spaniens entstanden. Prostitution und Drogenhandel dominierten dieses Viertel.
El Raval ist eines der widersprüchlichsten Stadtviertel Barcelonas. Was früher einmal die Aorta dieser aufregenden katalanischen Hauptstadt war, ist zu einem heruntergekommen Viertel geworden. Einst Viertel der Arbeiter und Bohemiens, in dem sich Künstler aus der ganzen Welt ihr Stelldichein gegeben haben, machten sich nun Prostitution und der Drogenhandel breit. Die fast vierzigjährige Franco-Diktatur hatte tiefe Spuren hinterlassen. Leute aus El Raval lebten am Rande der Gesellschaft und standen ständig unter Generalverdacht, kriminell zu sein.
El Raval, das Viertel, das mit seinen 1,2 km 2und mit annähernd dreißigtausend Bewohnern nachweislich das am dichtesten bevölkerte Viertel Spaniens war.
José Maria Cardona Garcia, ein Junge dieses Viertels, welches man auf Grund des schlechten Rufes nur noch Barrio Chino nannte, war hier bekannt wie ein bunter Hund. Ein sympathischer Zigeunerjunge, den alle nur Pepito nannten.
Seine Eltern waren zugewanderte Spanier, die hier Forrasters (Auswärtige) genannt wurden. Der Vater, ein Maler aus Malaga, hatte sich in den frühen fünfziger Jahren mit seiner jungen Frau aufgemacht, sein Glück als Künstler in Barcelona zu suchen.
Eine schwere Zeit, in der sich jeder einschränken musste. Der Bürgerkrieg war erst seit einigen Jahren vorüber und das Land wurde mit eiserner Hand regiert.
Pep kam im Oktober 1956 zur Welt, sein Vater verstarb bereits im Oktober 1958.
Die einzige Erinnerung, die ihm von seinem Vater geblieben war, hing, seit er denken konnte, lebensgroß an einer Wand im Salon der elterlichen Wohnung. Unter dem Bild befand sich eine Kommode, auf der seine Mutter Maria Teresa eine Art Altar aufgebaut hatte. Maria war, wie alle Spanier, streng katholisch. Wenn sie seelischen Beistand benötigte, zündete sie eine Kerze an und sprach manchmal ein halbe Stunde mit ihrem verstorbenen José Luis, der stumm auf sie herabschaute.
Mutter Maria war eine zierliche Andalusierin, die es sicherlich nicht immer ganz leicht gehabt hatte, sich in dieser Zeit mit einem Kleinkind durchzuschlagen. Ihr hübsches und zugleich energisches Gesicht war bereits im jungen Alter vom Leben gezeichnet und ihr schwarzes Haar begann frühzeitig, zu ergrauen. In dieser Zeit war ein starker Wille vonnöten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. José, ihr einziger Sohn, musste ohne Vater aufwachsen. Maria wurde von dem kleinen Pep wie eine Ikone verehrt. Obwohl er als Einzelkind aufwachsen musste und von seiner Mutter verwöhnt wurde, hatte er frühzeitig lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen.
Man schrieb das Jahr 1975 und aus Pepito war inzwischen ein stattlicher junger Mann geworden. Ein typischer Spanier, der seinen Platz in der Gesellschaft suchte und sich dabei oftmals selbst im Wege stand. Sein breites Lächeln und seine natürliche Freundlichkeit machten ihn zu einem außergewöhnlichen Menschen. Seine pechschwarzen Haare und seine dunklen Augen ließen erkennen, dass Zigeunerblut durch seine Adern floss. Pep war der Spross einer Mischehe und mit allen Pflichten und Rechten Spanier. Er schien alles von seinem Vater geerbt zu haben. Er war mit einem Meter achtundachtzig für spanische Verhältnisse überdurchschnittlich groß. Seine tiefbraunen Augen und seine wohlgeformte Nase passten in sein ovales freundliches Gesicht. Die Mutter seines Vaters, seine Großmutter, war eine sesshafte Zigeunerin aus Sevilla, die der kleine Pep in seiner Erinnerung nur in schwarzen Trauerkleidern kannte. Der Großvater war 1937 im Bürgerkrieg gefallen und seit jener Zeit pflegte sie, sich traditionell in schwarz zu kleiden.
Pep konnte sich gut an sie erinnern, weil sie in der Osterwoche, der Semana Santa, etliche Male zu Besuch bei ihnen gewesen war. Eine Zeit, an die er sich nur ungern erinnerte. Nicht nur, weil er ständig mit seiner strengen Großmutter sein Zimmer teilen musste, sondern, weil sie gerade in der Osterwoche weder eine Prozession verpasste noch eine Kirche ausließ und dabei musste Pep sie ständig begleiten. Der ethnischen Minderheit der Sintis anzugehören, war zu jener Zeit ein einziger Spießrutenlauf. Ganz gleich, ob sie zu der Gruppe der Sesshaften oder Nichtsesshaften zählten. Ein geduldetes Volk, welches sich in Ruinen am Rande der Stadt aufhielt und sich einmal im Monat bei der Polizei zu melden hatte. Gültige oder langfristige Aufenthaltsrechte gab es für sie nicht.
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