Pep bestellte sich einen Café con Leche und ein Croissant, nahm sich die Tageszeitung La Vanguardia vom Tresen und setzte sich an einen gerade freigewordenen Tisch.
Hier sah es nicht besser aus als auf dem Fußboden vor dem Tresen. Mit einer Handbewegung signalisierte Pep dem Kellner, dass er den Tisch säubern müsse.
Der schlaksige zahnlose Camarero, den Pep schon seit einigen Jahren kannte, kam mit einem Tablett, auf dem er den bestellten Kaffee und das Croissant transportierte.
Mit einem dreckigen Lappen tat er das, was alle Leute taten. Er wischte den auf dem Tisch liegenden Müll auf den Boden.
Pep sah dem Treiben der Leute gelangweilt zu. Hier geschah nichts, was er nicht bereits sein gesamtes Leben kannte.
Nach einer Weile öffnete sich die Eingangstür und der Limpiabotas, der Schuhputzer Paco betrat das Lokal.
Im Viertel war er als El Cojo bekannt, weil er das rechte Bein nachzog.
El Cojo hatte vor einigen Jahren einen Unfall gehabt, bei dem er sich das rechte Bein gebrochen hatte. Zum Arzt hatte er nicht gehen können, weil er nicht versichert war. In dieser Zeit konnten sich nur wenige eine ärztliche Versorgung leisten oder hatten eine Versicherung. In diesen Jahren gab es viele junge Leute, die aufgrund irgendwelcher Unfälle verkrüppelte Gliedmaßen hatten, die nie ärztlich versorgt worden waren. So war auch Paco ein Opfer dieser sozialen Missstände geworden.
Alle im Barrio Chino kannten den alten Schuhputzer. Er war ein kleiner alter Andalusier, der sich überall mit seinem Putzkasten herumtrieb, wo viele Leute waren und er sicher sein konnte, dass er Aufträge bekam. Paco steuerte sofort auf den Tisch zu, an dem Pep saß.
Mit einem freundlichen »Hallo Pep« begrüßte der Schuhputzer seinen Kunden.
Pep ließ sich immer seine Schuhe von Paco putzen, wenn er ihn traf. Zum einen besaß er selbst gar kein Schuhputzzeug und zum anderen ließ man den armen Teufel auch etwas verdienen.
In Spanien reinigte man sich die Schuhe nicht selbst, das war nicht nur in El Raval so. Beim Militär hatte Pep sich zum ersten Mal in seinem Leben die Schuhe selbst reinigen müssen. Dabei war es dann aber auch geblieben. Am Ende des Gastraumes der Cafeteria befand sich ein Mauerdurchbruch, der mit Ketten verhangen war, der die Fliegen fernhalten sollte und direkt in einen Friseurladen führte. Aus Bequemlichkeit ließ man sich, nachdem man seinen Obligatorischen Kaffee getrunken hatte, anschließend rasieren.
Der Tag eines Spaniers begann damit, seinen Kaffee zu trinken, die Zeitung zu lesen und je nach Bedarf seine Schuhe reinigen oder sich rasieren zu lassen.
Pep hatte dem Barbier zwischenzeitlich signalisiert, dass er ihn rufen möge, wenn er Zeit habe, ihn zu bedienen. Es wurde Zeit, Pep hatte sich seit Tagen nicht rasiert.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Friseur die Kneipe betrat und avisierte, dass er nun bereit wäre, Pep zu rasieren.
Es war auffällig, dass noch einige Kunden im Laden saßen, die sicherlich vorher hätten bedient werden müssen.
Die Demut vor der Obrigkeit hatten die Bürger noch nicht abgelegt. Die Angst vor der Polizei war noch immer allgegenwärtig, da diese in der Vergangenheit darüber entschieden hatte, ob die Gewerbetreibenden in Ruhe ihren Geschäften nachgehen konnten oder man ihnen das Leben schwer machte. Polizisten waren es in El Raval nicht gewohnt, zu bezahlen. Weder in den Bars noch bei den Prostituierten. Damit sollte jetzt Schluss sein. Pep wollte keine Sonderbehandlung und erst recht wollte er für das bezahlen, was er bekam.
Schon einige Zeit war er darüber verärgert, dass man sich ihm gegenüber neuerdings komisch verhielt. Dass einer von ihnen jetzt bei der Polizei war, hatte sich herumgesprochen wie ein Lauffeuer und was man von Pep als Polizist erwarten konnte, wusste man noch nicht. Eines wollte Pep sicherlich nicht: der Superbulle sein, der jetzt den armen Teufeln im Viertel das Leben schwer macht. Dafür kannte er diese Leute schon zu lange und irgendwie waren sie alle ein Bestandteil seiner Jugend.
In El Raval wollte man die Korruption in den Griff bekommen, die seit jeher völlig normal war. Die Polizei kassierte bei den Huren und Drogenhändlern kräftig ab. Alle wussten es und keiner hatte den Mut, dagegen etwas zu unternehmen.
Die Policia Nacional hatte durch ihre neue Zuständigkeit nun auch das Drogengeschäft zu kontrollieren, was den Kollegen der Guardia Civil gar nicht gefallen konnte. Sie wurden ihrer Nebeneinkünfte beraubt, die sicherlich ein Mehrfaches ihres spärlichen Gehaltes ausmachten. Polizisten verdienten in dieser Zeit zwölftausend Pesetas monatlich und jeder hatte noch die ein oder andere Nebeneinkunft.
Nach und nach sollten ältere Polizisten durch junges und unverbrauchtes Personal ersetzt werden. Man setzte auf neue Kräfte und machte den leisen Versuch, den Sumpf trocken zu legen.
Inzwischen hatte Pep einen Karrieresprung gemacht. Er war vom einfachen Policia zum Subinspektor aufgestiegen.
Er war in der Abteilung Nationale Sicherheit gelandet, die weitgehend damit beschäftigt war, illegale Ausländer aufzuspüren, Abschiebungen zu veranlassen, Aufenthaltsgenehmigungen und Pässe zu bearbeiten.
Zu seinen Kunden zählte eine Vielzahl von Nationalitäten, in der Hauptsache Nordafrikaner, die teilweise aus den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla stammten.
Pep hatte sich die Polizeiarbeit ganz anders vorgestellt. Langweilige Verwaltungsarbeiten, die er bereits seit einigen Monaten machte, ließen in ihm Zweifel aufkommen, dass er diese Arbeit sein ganzes Leben lang machen wollte. Aber es sollte anders kommen.
Pep musste eines Morgens bei seinem obersten Chef vorstellig werden. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren. Er, der kleine Polizist, musste zu seinem obersten Vorgesetzten, den alle fürchteten und um den jeder Beamte einen großen Bogen machte.
Sein Name war Joaquim Crespí. Er war der oberste Chef der Policia Nacional und Pep war ihm in seiner Dienstzeit nur ein einziges Mal begegnet.
Crespí mochte bereits über sechzig Jahre alt sein und man erzählte sich, er sei ein ehemaliger Guardia-Civil-Mann mit einer nicht so sauberen Vergangenheit.
Pep hatte seine braune Uniform gerichtet und fuhr mit dem ungeliebten Fahrstuhl in die vierte Etage. Er steuerte schnurstracks den langen Gang auf das Zimmer 413 zu, in dem der Comisario Principal residierte.
Seine Nervosität konnte Pep nicht verbergen, als er vor der großen Eichentür stand, die mit einem Schild versehen war, auf dem Comisario Principal Joaquim Crespí stand.
Nach einem kräftigen Klopfen und einem lauten »Adelante«, das wie ein Befehl klang, betrat Pep das Büro seines obersten Chefs.
In dem hohen Raum, der mindestens fünfzig Quadratmeter maß, lag ein riesiger orientalischer Teppich. Pep hatte einen besonderen Blick für wertvolle Sachen und erkannte sofort, dass dieser Teppich ein echter Perser war.
Crespí hatte sich hinter einem großen Schreibtisch aus purer Eiche in einem für seine Person viel zu großen Sessel verschanzt. Hinter seinem Rücken an der Wand hing ein altes Ölgemälde, auf dem eine Kriegsszene dargestellt war.
Vom Superior erzählte man sich, dass er während des spanischen Bürgerkrieges als Capitano im Baskenland eine Einheit der Paramilitärs befehligt hatte. Was das bedeutete, konnte man sich denken. Wenn jemand bei ihm vorstellig werden musste, hatte das Rausschmiss oder Beförderung zur Folge.
»Subinspektor José Maria Cardona meldet sich befohlen zu Stelle«, sagte Pep und schlug hörbar die Hacken zusammen.
Crespí blieb sitzen und schaute sein Gegenüber eine Weile an.
»Ich weiß zwar nicht, warum Sie mir empfohlen worden sind, aber ich will es kurz machen: Sie werden im nächsten Monat in die Abteilung Policia Judicial, zur Kriminalpolizei versetzt und melden sich noch heute bei Comisario Lopez«, sagte er schroff.
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