»Das werden wir dir schon sagen. Entweder, wir nehmen dich jetzt mit oder du beantwortest mir jetzt sofort einige Fragen. Lass mal deinen Chef weitermachen und wir unterhalten uns draußen vor der Tür.«
Bernardo tat, wie ihm geheißen, und als er auf die Straße trat, stellte Pep fest, dass der Friseur mit seinem schmutzigen weißen Kittel noch kleiner war als er ihn in Erinnerung hatte.
Er mochte wohl kaum einen Meter sechzig groß sein und er konnte sich nicht vorstellen, wie der kleine Mann eine Frau wie Melisa umbringen könnte.
»Wann warst du am Mittwoch bei Melisa?«
Der kleine Friseur schaute den Inspektor verdutzt an. Er schien etwas verwundert, dass man schon herausgefunden hatte, dass er am Tatabend bei der Ermordeten gewesen war.
»Ich war in der Zeit von elf Uhr bis elf Uhr dreißig bei Melisa, ich habe sie nur eine halbe Stunde gesehen«, sagte Bernardo nervös. »Als ich ging, war sie noch munter wie ein Fisch.«
Er hatte sicherlich etwas zu verbergen, aber Mord, das war eine Nummer zu groß für den kleinen Friseur.
»Was rauchst du für eine Zigarettenmarke?«
»Ich rauche Ducados«, bemerkte Bernardo.
Der Friseur hätte zwar die Möglichkeit, mit einem scharfen Rasiermesser jemandem die Kehle durchzuschneiden, aber zum einen war er Rechtshänder und zum anderen konnte man mit einem Rasiermesser keine Stichverletzungen verursachen. Bernardo passte also nicht wirklich ins Täterprofil.
Eigentlich hatten die beiden Hurenmorde, die Vorgesetzten von Pep und Xavi nicht besonders beunruhigt.
Prostituierte lebten immer noch am Rande der Gesellschaft, und wenn man den Täter nicht gerade auf frischer Tat erwischte, wurden die Fälle ganz schnell zu den Akten gelegt. In der Vergangenheit kamen Kapitalverbrechen nicht an die Öffentlichkeit, weil es im ehemaligen Franco-Regime Verbrechen dieser Art nicht geben durfte. Solange kein öffentliches Interesse bestand, wurde gar nicht erst ermittelt. wollte.
Allerdings hatte sich die Situation ein wenig verändert Der Mord an Melisa Agramontes hatte es auf die erste Seite der Tageszeitung La Vanguardia geschafft. Die Medien waren der Meinung, dass der Bürger ein Recht habe, die Wahrheit zu erfahren. Die Tageszeitungen forderten endlich ihr Recht auf freie Berichterstattung und wollten selbstverständlich Details wissen. Pressekonferenzen wurden gefordert und denen, musste sich Lopez wohl oder übel stellen.
Es war mittlerweile einundzwanzig Uhr dreißig geworden und die beiden Inspektoren entschlossen sich, noch den Sohn des marokkanischen Metzgers zu verhören.
Sie betraten den Laden in der Carrer den Robador, der noch geöffnet war.
Es war gewöhnungsbedürftig, wie der Moro seine Produkte feilbot. An der Wand hingen einige größere Fleischbrocken, an denen sich bereits die Fliegen zu schaffen machten. Es schien Hammel oder Lamm sein.
Über dem Verkaufstresen hing eine Stange, an der auf einigen Haken Hühner zum Verkauf angeboten wurden.
Auf der Schulter des Marokkaners, der hinter dem Tresen stand, waren Bluttropfen, die wohl beim Hinüberbeugen über den Ladentresen von den Hühnern herabgetropft waren. Vor dem Tresen standen Frauen mit Kopftüchern, die noch auf die Bedienung warteten. Der Fleischer schien in diesem kleinen schmuddeligen Laden gute Geschäfte zu machen.
Die hygienischen Verhältnisse waren ein Fall für die Gesundheitsbehörde, aber das war eine andere Abteilung und deshalb war man auch nicht hier.
Die beiden Inspektoren zogen ihre Polizeimarken aus der Tasche und kamen sofort zum Punkt.
»Sie sind der Inhaber dieses Ladens?«, wollte Pep wissen.
»Ich habe jetzt leider keine Zeit, Sie sehen doch, dass ich noch Kundschaft habe«, sagte der Mann frech und verwies mit einer Handbewegung auf seine Kunden.
»Ich werde Sie gleich mit auf die Jefatura nehmen, dann haben sie die ganze Nacht Zeit. Und außerdem möchte ich mal Ihre Apertura, die Erlaubnis sehen.«
Der Fleischer zog jetzt etwas nervös und hastig seine Papiere aus einer Schublade hervor.
Die Dokumente schienen in Ordnung zu sein und Pep hatte längst festgestellt, dass der Mann, im Gegensatz zu vielen Muslimen, Rechtshänder war. Die Dokumente waren auf Hassan Maluó ausgestellt.
»Und Sie haben einen Sohn?«
»Ich habe drei Söhne, Señor, zwei leben in Sevilla und der älteste lebt in Barcelona bei mir.«
»Wie heißt Ihr Sohn und wo wohnt er?«
»Mein Sohn heißt genauso wie ich, Hassan Maluó, und ist seit ein paar Tagen verreist. Er ist einige Tage zu seinen Brüdern nach Sevilla gefahren.«
»Wann ist er denn gefahren und wann kommt er zurück?«, wollte Pep wissen.
»Er ist am Mittwochvormittag mit dem Zug gefahren und kommt morgen Abend zurück.«
»Zum Abschluss noch eine Frage: Rauchen Sie oder Ihr Sohn?«
Der Marokkaner verstand die Frage offensichtlich nicht und schaute den Inspektor erstaunt an.
»Ich rauche nicht, das verbietet meine Religion. Mein Sohn ist allerdings Raucher.«
»Und kennen Sie die Zigarettenmarke, die Ihr Sohn raucht?«
»Nein, leider nicht, aber Sie können ihn ja selber fragen, wenn er wieder da ist«, bemerkte der Fleischer. Eines war Pep sofort aufgefallen: Wie konnte der Moro Mittwochvormittag mit dem Zug nach Sevilla gefahren sein, wenn er am Abend von Conchita noch gesehen wurde? Entweder stimmte die Aussage der alten Conchi nicht oder der Fleischer log.
Xavi hatte sich alle Einzelheiten der Befragung akribisch aufgeschrieben und die beiden entschieden sich, die Ermittlungen am nächsten Tag fortzusetzen. Es war immerhin bereits dreiundzwanzig Uhr geworden.
Am nächsten Morgen schellte schon um neun Uhr das Telefon. Pep und Xavi waren gerade im Büro angekommen. Am Telefon war Laura, die Neuigkeiten hatte.
»Ich habe etwas zu den Fußspuren ermitteln können. Das Profil kann eindeutig einem Sportschuh der Marke Paredes zugeordnet werden«, sagte Laura stolz.
»Danke Laura, das könnte uns weiterbringen.«
Pep bedankte sich freundlich, obwohl er dachte, dass es in Barcelona sicherlich einige hunderttausende gab, die diese Sportschuhe trugen.
Inzwischen war auch Kommissar Lopez eingetroffen, der sich, wie immer, zunächst einmal den obligatorischen verbalen Bericht geben ließ.
Für das schriftliche Protokoll war Xavi zuständig, der sich dieser unerfreulichen Arbeit wie immer mit einer unglaublichen Akribie annahm.
Lopez war aufgefallen, dass die beiden etwas überarbeitet aussahen und brachte das mit einem »ihr solltet mal etwas früher ins Bett gehen« zum Ausdruck. Pep und Xavi konnten dem gut gemeinten Rat ihres Chefs, der sich eher nach Spott anhörte, nichts abgewinnen.
Pep hatte unlängst Doc Montes gefragt, wie er das Erlebte vom Tage verarbeite und Montes hatte gesagt: »Du musst lernen, den Dreck nicht mit nach Hause zu nehmen. Sonst bist du bald reif fürs Irrenhaus.«
Der Doc hatte sicherlich recht. In den letzten zwei Tagen war sehr viel passiert und die Bemerkung des Kommissars hatte sicherlich seine Berechtigung.
Beide mussten lernen, sich in Gelassenheit zu üben und sich nicht von Gefühlen leiten zu lassen.
Immerhin war nach Ansicht ihrer Vorgesetzten nicht viel passiert. Es waren ja ›nur‹ zwei Huren umgebracht worden.
Inzwischen hatte sich Xavi eine große Sperrholzplatte aus einer Tischlerei besorgt und diese an der Bürowand der beiden Inspektoren anbringen lassen. Auf diese Platte heftete er das Bild der Ermordeten. An den linken Rand schrieb er, was man inzwischen ermittelt hatte. Er versuchte, auf diese Weise eine Art Täterprofil zu erstellen. Pep war beeindruckt von der Kreativität seines Kollegen und froh, dass er jemanden hatte, der ihm diese Arbeit abnahm. Allerdings wussten die beiden unerfahrenen Polizisten auch, dass sie nichts Verwertbares hatten. Sie kamen sich vor wie zwei, die hilflos in einem Heuhaufen stocherten und nach der berühmten Stecknadel suchten.
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