Da war nichts zu machen. Sowas ist mir noch nie passiert. Und dabei glaubte ich seit Langem, gegen jegliche Türhüter magisch gefeit zu sein. Daran musste ich jetzt denken, während die beiden Damen ohne mich Meryl Streep sahen und ich durch den Regen (denn natürlich regnet es an solchen Abenden!) nach Hause trottete. 1989. Es war mein Bayreuthdebüt. Ich hatte eine Karte, das war nicht das Problem, und Damentage gibt es dort auch nicht. Eine Zeitung hatte es riskiert, mich, festspielmäßig total unerfahren, zum Grünen Hügel zu schicken. Zur Eröffnung gab es »Parsifal«.
Nach dem ersten Aufzug traf ich draußen einen Bekannten und quatschte mich fest. Ich hörte irgendwelche Trompeten blasen, wir redeten weiter. Irgendwann sagte er: »Auch nur als Zaungast hier?« »Wieso?« »Weil du nicht reingegangen bist.« »Und du?« »Ich habe keine Karte gekriegt.« »Aber …« »Ich glaube, die machen grad zu.« Oh ja, das taten sie. Und sie ließen mich nicht rein, als ich gegen die Glastür hämmerte. »Das darf nicht wahr sein.« Ich raste um das ganze Festspielhaus auf der Suche nach einer Tür. Es war wie ein Schiff, das abgelegt hat. Alle Schotten dicht. »Das darf nicht wahr sein.« Mein Debüt! Meine Kritik! Hilfe! Da erreichte ich den Künstlereingang. Ich stand in Flammen.
Ich erklärte dem Pförtner, die Klotür habe geklemmt und ich sei ein Kritiker aus Hannover. Er sah nur einen wahnsinnigen jungen Mann und rief eine Dame herbei. Ich konnte vor Aufregung kaum sprechen. »Klotür«, log ich stammelnd, »Kritiker«, keuchte ich die reine Wahrheit heraus; sie glaubte wohl eher das erste als das zweite, sah aber, dass es ein Leben zu retten galt. Aus Mitleid wissend. Sie führte mich durch Labyrinthe, während von fern das Orchester wogte wie ein Weltmeer, zum Raum ward hier die Zeit, und stieß den Spätling ins dröhnende Dunkel. In den Zuschauerraum. »Wie kommen Sie denn hier rein?!«, zischte eine Platzanweiserin und presste mich in einen Notsessel.
»Die Zeit ist da. Schon lockt mein Zauberschloss den Toren«, erklärte Klingsor gerade. »Mamma mia«, flüsterte ich und grinste im Dunkeln.
Rühren ist emotional wichtig
Wer eine Folge von fünf Tagen hinter sich hat, an denen es von morgens bis abends nur grau ist und nass und der Verdacht aufkommt, dass die EU-Kommission anstelle der Sonne über den Wolken eine ihrer miesen Energiesparbirnen in den Himmel geschraubt hat, kann zweierlei tun. Entweder Anzeige gegen Unbekannt erstatten wegen niederträchtiger Lichtberaubung und Dauerbenieselung. Oder Risotto kochen. Mir wird schon warm, wenn ich das Rezeptbuch aus dem Regal hole. Eigentlich brauche ich es nicht mehr, ich kenne die Basis und weiß, dass man in einen Risotto alles werfen kann, was schmeckt.
Aber ich lese gern zum zwanzigsten Mal, dass man für »4-6 Personen 1 Zwiebel, gehackt« braucht, um dann für nur zwei Personen ebenfalls eine ganze Zwiebel zu nehmen und auch die 500 Gramm Reis nicht zu halbieren, sondern auf 300 herabzusetzen. Kochbuchautoren gehen gern von zu kleinen Portionen aus und fürchten Schadenersatzklagen für den Fall, dass es zu scharf wird. Mehr zu nehmen, als sie empfehlen, ist wohltuend, wenn nichts schief gehen kann. Ich hacke auch etwas mehr Rosmarin und weiche so viele Trockenpilze ein, wie man sie aus etwa 800 Gramm Frischpilzen herstellt, man soll ja was schmecken!
Unterdessen ist das Grau draußen einem sternenlosen Dunkel gewichen, und der Wein, von dem ein Glas in den Risotto kommen wird, reicht auch für den einen oder anderen Arbeitsschluck. »Die Zwiebel mit dem Knoblauch in der Butter weich dünsten.« Ich nehme mindestens ein Viertel vom Pfund, denn ich habe mal gelesen, dass gute Küche drei Grundlagen hat: 1. Butter, 2. Butter, 3. Butter. So. Jetzt den Rosmarin und Tomaten aus der Dose dazu (die frischen aus dem Supermarkt schmecken eh nach nichts), Tomatenmark, Wein, die gehackten Pilze. Jetzt zieht schon ein sehr angenehmer Duft durch Küche und Korridor.
Was mich am Risotto am meisten fasziniert, ist die Metamorphose der Reiskörner, die nun dazukommen. Was die schlucken, bis sie weich sind! Gemüsebrühe, Pilzwasser – im Nu verschwindet das in dieser Lava. Wenn ich eine große Kelle nehme, reicht die Zeit für eine Zigarette draußen, wo es wie immer nieselt. Danach ist der Risotto so durstig, dass er »Schlurch« macht, als ich ihn wieder tränke. Und rühre. Das Rühren ist auch emotional wichtig. Ein Gericht, in dem 20 Minuten lang gerührt wird, gibt sanfte Energie weiter. Außerdem: Risotto wächst, während ein Steak schrumpft. Und es vermittelt Geborgenheit, während ein Steak einen irgendwie schon wieder in den Kampf treibt …
Beim Verzehr bildet sich im Körper ein kleiner Wärmekern, der einen davon überzeugt, dass es die Sonne doch noch gibt. Denn gegen das Wetter kann man nichts tun, aber viel für das Wohlbefinden. Falls Sie statt derlei Küchenweisheit lieber ein vollständiges Rezept hätten: »Butter unter den Reis rühren, drei Minuten ruhen lassen. Parmesan getrennt dazu reichen …«
Kreuzberger Wandverschiebung
Die Größe einer Wohnung lässt sich nur scheinbar in Quadratmetern messen. Wir waren eingeladen in eine Kreuzberger Wohnung, die mir labyrinthisch und groß vorkam. Sie atmete noch den Geist der Hausbesetzerzeit, der frühen Wohngemeinschaften. Es gab einen gemütlich vollgestellten Flur, zwischen dessen Schränken und Regalen überall offene Türen in Zimmer führten, auf deren Sofas Kinder unterschiedlichsten Alters herumlümmelten oder »Harry Potter« guckten, während die Erwachsenen sich in der Küche versammelten, an einem langen Holztisch. Die Urbewohnerin lebt hier schon seit 25 Jahren, ihr Lebensgefährte kam vor zehn Jahren dazu, Kinder brachten beide mit, außerdem haben sie gemeinsame, ganz blickte ich da nicht durch.
Von den übrigen Fetengästen kapierte ich so viel, dass sie alle irgendwie zusammengehörten, teils hatten sie in Nicaragua die Revolution unterstützt, teils in der BRD eine erhofft, wenn auch nicht gerade den Fall der Mauer, und jetzt beobachteten sie mit Sorge das Ansteigen des Mietspiegels in Kreuzberg. Neuerdings wollen dort auch Leute wohnen, die niemals eine Revolution unterstützen oder ein Haus besetzen würden, Ingenieure, die für den Bau des neuen Flughafens so gut bezahlt werden, dass sie über Kreuzberger Mieten nur lachen können. Dabei ist es für Neumieter jetzt schon so teuer, dass unser Gastgeber sich seine Wohnung gar nicht leisten könnte, bezöge er sie jetzt. Er schlägt sich mit Projekten durch, wie fast alle nicht fest angestellten Akademiker in Berlin. Und innig liebt er seinen Raucherbalkon.
Er war einst aus Westfalen nach Westberlin gekommen, weil er »nicht in Deutschland, aber auch nicht im Ausland leben« wollte. Hier habe er eine neue Familie gefunden, womit er die »Szene« meinte. Das alles floss ein in meinen Eindruck von dieser Wohnung. Sie war vernetzt mit einem virtuellen Dorf aus Freunden und mit Südamerika, in der Küche saßen Westfalen und Mexikaner nebeneinander, irgendwo waren noch zwei Karren mit sanft schlummernden Einjährigen abgestellt worden – mir kam diese vierte Etage wie eine ganze Welt vor. Später rechnete ich durch, wie viele Zimmer es waren, und kam auf drei. Drei Zimmer plus Küche. Es konnten kaum mehr als hundert Quadratmeter sein, den Balkon nicht gerechnet. Aber sie fühlten sich an wie doppelt so viele.
Ich habe mal in einer WG am Prenzlauer Berg gewohnt, die tatsächlich doppelt so groß war. Im Flur konnte man Fahrrad fahren. Aber die gefühlte Grundfläche reichte nicht mal bis zur Wand. Die Leute, die da wohnten, gehörten nicht zusammen und waren falsch gelandet, dauernd zog jemand ein und wieder aus. Wenn aber jemand sein Nest gefunden hat, kommen die Freunde und bringen weitere Freunde mit. Dann fehlen Stühle, aber die Wohnung wächst mit ihren Aufgaben. Ich könnte schwören, dass die Wand dieser Kreuzberger Küche an dem Abend noch um einen halben Meter nach außen gewandert ist.
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