»Des kann doch ned wahr sein, des glaub i jetzt ned!«, brüllt er mich an. »Du setzt dich auf meiner Wiesen an meinen Tisch und bringst dir dein eigenes Essen mit! Des ist doch die Höhe, a Frechheit ist des! Bringst mich um meinen Umsatz!«
»Das ist ihre Wiese?«, sage ich. »Das wusste ich nicht.«
»Des alles gehört mir«, schreit er mich an und breitet die Arme aus. »Alles! Wahrscheinlich willst auch noch umsonst hier zelten?«, brüllt er und sieht mich herausfordernd an.
»Ja«, sage ich und deute auf den Waldrand. »Das Zelt steht schon. Dort hinten unter den Bäumen, wo es hoffentlich niemanden stört.« Der Mann macht den Mund auf und wieder zu, sagt aber nichts.
»Ist das da hinten auch ihre Wiese?«, frage ich ihn.
»Ja freilich ist des mei Wiesen«, sagt er, noch immer sehr grimmig. »Des ganze Grundstück gehört mir, des alles hier.«
»Es wird schon dunkel, ich bin mit dem Boot unterwegs und nirgendwo habe ich einen Rastplatz gefunden«, sage ich. »Darf ich hier zelten? Es ist nur für eine Nacht.«
Der Mann schweigt für einen Augenblick.
»Nimm deinen Krempel und verschwind«, sagt er dann und deutet auf den Waldrand. »Bis ganz nach hinten! I will dich hier vorn ned mehr sehn.«
Vor dem Zelt baue ich erneut den Kocher auf, aus dem Altarm steigt Nebel und langsam wird es dunkel.
AM MORGEN WEHT ein leichter Westwind. Das Wasser fließt, ich paddle und komme schnell voran. Am Himmel schweben ein paar kleine, weiße Wölkchen, am Ufer steht Wald und ich höre ein dumpfes Dröhnen, erst leise, dann aber schnell immer lauter werdend. Ich fahre mitten in der mit Bojen ausgetonnten Schiffsrinne, drehe mich um und sehe ein weißes Tragflächenboot, das rasch näher kommt, und paddle so schnell ich kann in Richtung Ufer.
Höre ich das gleichmäßige und beinahe gemütliche Stampfen eines Schiffsdiesels, das ruhig und geradezu beruhigend langsam näher kommt, habe ich immer genügend Zeit, an eines der Ufer zu fahren und den Schleppern, die mit kaum mehr als zehn Stundenkilometern auf dem Fluss unterwegs sind, auszuweichen. Aber nun hat mich das Boot in weniger als fünf Minuten eingeholt und als es an mir vorüberbraust, sehe ich, dass es sich fast ganz aus dem Wasser gehoben hat. Es scheint beinahe auf dem Fluss zu schweben und mit einer Geschwindigkeit von mehr als fünfzig Kilometern in der Stunde fliegt es nahezu über die Donau. Das ist schon etwas anderes als die trägen Dampfer, denke ich und nehme mir vor, in der nächsten Zeit die Schiffsrinne zu meiden und nicht mehr so bedenkenlos die Ufer zu wechseln, zumal der Fluss immer breiter wird und es mittlerweile schon eine gute Viertelstunde dauert, von der einen auf die andere Seite zu fahren.
Das Tragflächenboot verschwindet hinter der nächsten Flussbiegung und auf einem Frachter stehen zwei Männer am Bug, holen die rotweiß-rote österreichische Fahne ein und hissen die weiß-blau-rote Flagge mit dem Wappen der Slowakei.
Felsen stehen am Ufer und eine Libelle hat sich auf der Spritzdecke niedergelassen. Sie sitzt da, blassgrün, schwarz und dick, und fährt mit mir von Österreich in die Slowakei.
Wieder macht sich die Grenze am Ufer nicht bemerkbar, auch die Zollabfertigung, von der der Wasserwanderführer schreibt, scheint es nicht mehr zu geben und auf einer Anhöhe hinter den Hügeln sehe ich am Horizont schon die Silhouette der Burg von Bratislava.
Jetzt also beginnt der sogenannte Osten, wie in Deutschland der Einfachheit halber alles genannt wird, was jenseits von Oder und Bayerischem Wald liegt. Archaisch soll er sein, wild, korrupt und gefährlich, unberechenbar und kriminell, aber gastfreundlich und herzlich die Menschen, die dort leben.
Die wildesten Geschichten werden über ihn erzählt und alles scheint es dort zu geben, einfach alles – außer Alltag und Normalität. Ich bin zum ersten Mal in der Slowakei und obwohl die Landschaft sich nicht verändert hat, obwohl die gleichen grauen Felsen auf grünen Hügeln stehen und die gleichen bewaldeten Berge am Ufer liegen wie in Österreich, obwohl sich der gleiche blaue Himmel von Horizont zu Horizont spannt, scheint sich irgendetwas verändert zu haben. Ich weiß nicht, ob es der kleine, gelb gestrichene, zweistöckige Flachbau am Ufer ist oder der Angler, der in kurzen Hosen auf einer schräg im Wasser liegenden Betonplatte steht, ob es die Kräne am Horizont sind oder die Plattenbauten auf dem Hügel, aber ich fühle mich ganz und gar nicht fremd, sondern eher beinahe so, als käme ich nach langer Zeit wieder zurück nach Hause. Zu sehr erinnert mich all das an den Osten Deutschlands in den neunziger Jahren oder an Tschechien.
Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich in Südmähren als Deutschlehrer gearbeitet, in dieser Zeit habe ich die Sprache gelernt und auch wenn ich Vieles schon wieder vergessen habe, so werde ich mich doch wenigstens einigermaßen verständigen können, denn Tschechisch und Slowakisch sind eng miteinander verwandt.
Links unter der Burg liegt das Zentrum von Bratislava und am rechten Ufer sehe ich eine flach ins Wasser abfallende Betonrampe und lege an. Neben dem schmalen Uferweg steht das Tor in einem mannshohen Maschendrahtzaun offen und daneben hängt ein Schild, »veslársky klub«, Ruderklub, und ich gehe hinein.
Zwei etwa vierzigjährige Männer in kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper sitzen im Schatten eines zweistöckigen Flachbaus auf Liegestühlen neben einem Klapptisch und ich erzähle ihnen woher ich komme und dass ich einen Zeltplatz und möglichst auch eine Dusche suche.
Einer der beiden steht auf.
»Wo ist dein Boot?«, fragt er.
»Unten am Fluss.«
»Warte«, sagt er, geht ins Haus und kommt mit einem Bootswagen zurück. »Wir holen das Boot, du solltest es nicht unten am Wasser liegen lassen, hier ist es sicherer. Und natürlich kannst du bei uns zelten«, sagt der Mann und deutet auf die große Wiese vor dem Haus, »das ist gar kein Problem«, und wir gehen zum Fluss.
»Veterán«, sagt der Mann und lacht, als wir am Ufer ankommen. »Den Typ kenne ich, das ist ein Kolibri IV aus der DDR. Alt, aber gut.« Er sieht sich das Boot an und entdeckt die gebrochene Spante.
»Das müssen wir reparieren«, sagt er. »Sonst geht bald noch mehr kaputt.«
»Ja«, sage ich. »Aber wie?«
»Im Bootshaus haben wir alles«, sagt der Mann. »Lass mich nur machen, ich kann das.«
Auf der Wiese zerlege ich das Boot, nehme die Spante und bringe sie ihm.
»Ich kümmere mich darum«, sagt er. »Du kannst solange dein Zelt aufbauen und wenn du fertig bist, zeige ich dir wo die Duschen sind.« Ich baue das Zelt auf und nehme die Taschenlampe in die Hand. Sie braucht neue Batterien, gestern Abend war das Licht nur noch ganz schwach, aber beim Öffnen drehe ich an der falschen Stelle und schon habe ich nur noch splitterndes Plastik in den Händen. Mir ist als griffe ich mittlerweile, ohne es zu wollen, mit dreifacher Kraft zu, werfe die kaputte Lampe in den Müll und gehe zu dem Mann, der mir die reparierte Spante in die Hand drückt.
»Das ist Bootsleim«, sagt er, »das müsste halten. Und bis morgen ist der Kleber getrocknet.«
Ich bedanke mich und gebe ihm einen Zehneuroschein. Die Brücke hinüber zur Innenstadt ist eine alte, stählerne Straßenbrücke und links neben der Autospur verläuft ein etwa zwei Meter breiter Fußgängerweg aus ausgetretenen, grauen Holzbohlen. Ich bleibe eine Weile auf der Brücke stehen, lehne mich auf das Geländer und sehe hinab auf den Fluss. Es ist ein warmer, klarer Sommerabend, im Westen schimmert der wolkenlose Himmel rötlich und die Stadt liegt in ein mildes Licht getaucht.
An einem Bankautomaten hebe ich slowakische Kronen ab, das Pflaster vor dem Nationaltheater ist noch warm von der Hitze des Tages und ich sehe mir die Auslagen der kleinen Buden an, in denen Souvenirs verkauft werden. Postkarten und Aquarelle mit Stadtansichten, Keramik und T-Shirts mit der Aufschrift »Kiss me, I am Slovak«.
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