»Ich glaube«, sage ich, »dass man in einer Gruppe weniger mit den Leuten in Kontakt kommt als allein. Und ich möchte wissen, wie die Menschen entlang der Donau leben. Mich interessiert, was sie von ihren Nachbarn, die zehn, hundert oder tausend Kilometer entfernt leben, wissen. Ob die Donau sie verbindet.«
»Viel Glück«, sagt er und nickt. »Aber pass auf dich auf! Alleine ist es auch viel gefährlicher als in der Gruppe.«
Dann geht er.
DER REGEN HAT DIE DONAU anschwellen lassen. Um etwa zwanzig Zentimeter ist der Pegel über Nacht gestiegen und im Fluss treiben Zweige, Äste und ein ganzer Baumstamm. Das Wasser ist aufgewühlt und schlammigtrüb und scheint schneller zu fließen, aber es regnet nicht mehr und ich hole meine Sachen, steige ins Boot und fahre weiter.
Am rechten Ufer liegt ein Industriegebiet, ich fahre unter den Straßen- und Eisenbahnbrücken von Linz hindurch und das Wasser reflektiert das gelegentlich zwischen den Wolken durchscheinende Sonnenlicht in hellen Flecken an die Unterseite der stählernen Konstruktionen.
Nach zwei Schleusen – das Regencape geht auch heute beide Male problemlos als Schwimmweste durch – und 53 Kilometern erreiche ich am Abend Grein, ein kleines Städtchen in der Bucht einer Flussbiegung. Hinter dem Ort erheben sich bewaldete Berge und am gegenüberliegenden Ufer stehen Felsen.
Im Yachthafen lege ich an und gehe den Hügel hinauf zu einem Haus, vor dem zwei Männer und eine Frau auf der Terrasse sitzen. Sie sind etwa fünfzig Jahre alt, sie tragen teuer aussehende Segelkleidung, wollene Markensweatshirts und helle Hosen, und vor ihnen steht eine Flasche Wein auf dem Tisch.
»Ah, an Kanute!«, sagt einer der Männer, »Wuist hia übanachtn? Drinn lieagt a Listn, troag di ein«, und er deutet auf das Haus. Ich gehe hinein, schreibe meinen Namen in das Buch und werfe zwei Euro Liegegebühr in die Kasse. An der Wand hängt eine große Karte des Stromsystems der Donau und ich suche Grein. Ganz oben links finde ich die Stadt. Obwohl ich heute bereits den achten Tag gefahren bin und schon mehr als dreihundert Kilometer zurückgelegt habe, sieht das Stückchen Fluss zwischen Regensburg und Grein auf der Karte ganz klein und unbedeutend aus.
»Setz di«, sagt der Mann, als ich wieder herauskomme, stellt ein viertes Glas auf den Tisch und sieht mich fragend an. »Du trinkst do aan mit?«
»Kumm«, sagt die Frau, als ich zögere, »sei ned fad«, und deutet auf einen Stuhl.
»Seid ihr aus Grein?«, frage ich sie und setze mich.
»Naa, wia san aus Wien. Siagst des Schinackl da untn?«, sagt der Mann und deutet auf eine große Yacht. »Des is meins.« Wir sitzen auf der Terrasse, die Sonne geht langsam unter und die Felsen und Berge des gegenüberliegenden Ufers leuchten im Abendlicht.
»Grein hot den scheenstn Hafn in gonz Österreich«, sagt der Mann. »Deswegen kumman wia a imma wiada da hea und net nur wia. Nach Grein kumman sogoa Australier und Amerikaner, weus da scheenste Uat an da gonzn Donau überhaupt is. Host da den bestn Platz ausgsuacht, denst überhaupt findn konnst«, sagt er.
»Und du bist gonz allaan unterwegs?«, fragt die Frau. »Host denn goa ka Angst?«
»Nein«, sage ich, »nur manchmal.«
Die Männer lachen.
»Was wuist überhaupt weiterfoahrn? Was wuist bei de Tschuschn?«, sagt der eine. »Bleib do, hia is eh am scheenstn«, und der andere nickt.
»Nackert wird er wiedakumma«, sagt er. »Amoi war i in Pressburg, waaßt no, und gleich hams ma den neichn Wagn gstohln.«
»Audi ist eh a Kraxn, BMW hat vui mehr Sicherheit. Den knackns da ned so leicht.«
»Geh weida, Oida, doch ned beim Fünfa, do is da A6 vui bessa!« Der Mann winkt ärgerlich ab und die Frau stellt einen Karton mit Kräuterschnapsfläschchen auf den Tisch. Jeder der drei nimmt sich eins und dann halten sie mir die Kiste entgegen.
»Ich weiß nicht«, sage ich. »Von Schnaps werde ich immer so schnell besoffen.«
»Sei ned fad«, sagt die Frau und die Männer lachen.
»Kumm, los! Du waast da erste Deutsche, den i kennenlern, da kaan Schnaps trinkt!«, sagt der eine und ich nehme ein Fläschchen. Kurz darauf holt der Mann erneut den Karton hervor. Er sieht mich eindringlich an.
»Dass du di desmal a ned ziarst«, sagt er.
Eine Stunde und etliche Schnäpse später bedanke ich mich, gehe zum Zelt und lege mich in den Schlafsack. Mir ist ein bisschen schwindlig. Nein, mir ist nicht schwindlig, ich bin einfach nur ziemlich besoffen.
AM MORGEN HÄNGEN dicke, graue Wolken zwischen den Bergen, ich habe einen Kater und es regnet. Ich ziehe das Regencape über, schließe die Spritzdecke und fahre trotzdem los.
Immer wieder fahre ich ein Stückchen und mache zwischendurch lange Pausen, sitze am Ufer unter einem Baum und warte. Am Abend erreiche ich nach gerade einmal 23 Kilometern Ybbs. Unterhalb der Schiffswerft führt ein Kanal in den geschützt hinter einem Steinwall liegenden Hafen und ich mache an einem Steg fest, nehme meine Sachen und gehe in den Ort. Am Kanuklub, steht im Wasserwanderführer, gäbe es Übernachtungsmöglichkeiten. Es regnet noch immer, ich bin völlig durchnässt und vielleicht kann ich ja sogar im Haus übernachten, denke ich, denn bei diesem Wetter möchte ich nicht unbedingt im Zelt schlafen.
Das Haus sieht aus wie ein ganz gewöhnliches Einfamilienhaus, aber am Tor hängt ein Schild mit der Aufschrift »Kanuklub Naturfreunde Ybbs« und eine junge Frau öffnet.
»Sie können auf der Wiese im Garten zelten«, sagt sie.
Die Frau ist etwa dreißig Jahre alt und hat halblanges, blondes Haar, sie steht frischgeduscht in einem sauberem Shirt und Jeans in einem hellen Treppenhaus mit Stufen aus polierten Steinplatten und ich komme mir vor als hätte ich, ungewaschen, unrasiert und durchnässt, wie ein Bettler an einer fremden Haustür geklingelt und als sei allein meine Frage eine ziemliche Unverschämtheit.
»Dürfte ich vielleicht im Haus übernachten?«, frage ich sie trotzdem. »Ich brauche auch nichts weiter, ich habe einen Schlafsack und eine Isomatte. Und selbstverständlich bezahle ich auch dafür.«
»Nein«, sagt sie, »das geht nicht«, schüttelt den Kopf und führt mich auf die Wiese hinter dem Haus. Es regnet, ich stehe auf dem kurzgeschnittenen Rasen und durch die gläserne Terrassentür kann ich in einen großen, leer stehenden Raum sehen. Ein Kanu hängt neben gerahmten Fotos, neben Urkunden und Wimpeln an der Wand und in einer Vitrine stehen Pokale. Da drinnen hätte sie mich doch schlafen lassen können, denke ich und baue das Zelt auf, mache mir eine Dose Gulasch warm und sitze, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt, auf dem schmalen, trockenen Streifen Terrasse und sehe dem Regen zu.
Hemd, Pullover und Hose sind trotz des Regencapes nass und auch in den Packsäcken werden die Sachen nach und nach ziemlich klamm. Ich lege mich in den feuchten Schlafsack, ich friere und höre den Regen rauschen.
ALS ICH AM MORGEN das Zelt abbaue und meine Sachen zusammenpacke, ist es trüb und kühl und ab und an regnet es. Am Nachmittag wird der Regen stärker und ich fahre bei Melk in einen Altarm hinein.
»Bootssteg nach 200 m, Bootshaus der Ruder-Union. Übernachtung auf Luftmatratzen möglich«, steht im Wasserwanderführer. Ich gehe hinauf zum Haus, vor dem schon ein Kajak auf der Wiese liegt. Daneben steht ein winziges, flaches Zelt und unter dem Dach sitzen auf der Terrasse eine Frau und ein Mann. Sie sind Ende vierzig und schneiden Gemüse in einen Kochtopf. Der Mann hat dichte, silberfarbene Locken, seine Füße stecken in Sandalen und ein T-Shirt, das über der kurzen Hose hängt, spannt ein wenig über seinem Bauch. Er sieht aus wie ein grau gewordener Weihnachtsengel. Die Frau hat kurze, blonde Haare, sie trägt Jeans und ein graues Sweatshirt.
»Hallo«, sage ich. »Bin ich hier richtig am Ruderklub? Ich würde gerne hier übernachten, wenn das möglich wäre.«
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