Lügen sind Lebensgrundüberzeugungen und Erwartungen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Aus seiner Prägung durch seine Eltern, Großeltern und Geschwister resultiert, dass sich der Mensch Überzeugungen zurechtlegt, mit denen er völlig übereinstimmt. Sie bestimmen sein Denken, Fühlen und Handeln. Er handelt so, als ob er nicht anders könne, und lebt so, als seien diese Einstellungen unverrückbare Wahrheiten. Es leuchtet ein, dass sie ihm in Fleisch und Blut einprogrammiert sind. Sie haben ein zähes Leben. Der therapeutische Seelsorger erfährt, dass sie schwer zu knacken sind. Es ist kein Wunder, dass unsere hoch gelobte Leistungsgesellschaft, die Leistung und Erfolg wie Götter verehrt, auch Christen in ihrer Einstellung verunsichert und sie zu Gläubigen solcher Lebenslügen erzieht.
Die Suche nach dem Nervenkitzel
Das Erfolgsstreben hat viele Gesichter. Erfolgreiche können auf unterschiedlichsten Gebieten ihr Ziel erreichen. Erfolge können durch Kraft, Macht, Geschicklichkeit, Intelligenz, Schnelligkeit, Risikobereitschaft usw. erzielt werden. Jeder sieht seine Erfolgschancen und probiert sein eigenes Erfolgsschema aus. Schauen wir uns verschiedene Eigenschaften beispielhaft an, die bei erfolgreichen Menschen besonders hervorstechen:
Intelligenz in der Wissenschaft
Machtstreben in der Politik
Höchstleistungen im Sport
Kriminelle Energien im Verbrechen
Risikobereitschaft im Rennsport
Aggressivität im Kampfsport
Musikalität in der Unterhaltungsbranche
Todesmut im Krieg.
Der Erfolg, auf welchem Gebiet auch immer,
beweist Überlegenheit,
verschafft Anerkennung und
zeichnet den Menschen vor anderen aus,
schafft ein Stück Sinnerfüllung,
verhilft zur Befriedigung – wenn auch nur vorübergehend.
Der Mensch, der sich beweisen will, braucht einen Leistungsbeweis und strebt den Erfolg an, um vor sich und anderen bestehen zu können. Die Herausforderungen können moralischer, geistiger und krimineller Art sein. Menschen, die etwas gelten wollen und ihre Streicheleinheiten brauchen, erfinden die unwahrscheinlichsten Attraktionen, durch die sie die Befriedigung ihrer Bedürfnisse erreichen.
In den letzten Jahren kamen immer mehr Sportarten in Mode, die einen unvorstellbaren Nervenkitzel befriedigen. Dieser Extremsport beinhaltet eine Sucht nach starken Reizen. Vor allem junge Menschen suchen ein Risiko, das Todesmut erfordert und den Rausch der Gefahr einschließt.
Bungeespringer lassen sich angebunden an Gummiseilen kopfüber in die Tiefe fallen. Ihr Fall wird nur kurz vor dem Aufprall aufgefangen. Eine Reihe dieser jungen Menschen spiegelt ein selbstzerstörerisches und zielloses Risikoverhalten wider – sie spielen mit dem Tod. In Frankreich wurde dieser „Sport“ inzwischen verboten, nachdem einige junge Menschen dabei umgekommen sind.
Haben sie den Tod einkalkuliert? Was geht in den Hirnen und Herzen vor? Fliehen sie aus der Welt, die ihnen sinnlos und kaputt erscheint? Wollen sie der Routine und der Langeweile entfliehen? Ist diese Welt so lebensunwert geworden, dass nur noch selbstmordähnliche Spiele die Suche nach Abenteuer und Stimulation befriedigen können? Oder sind die meisten so bestätigungssüchtig und anerkennungshungrig, dass sie Kopf und Kragen riskieren, um erfolgreich zu sein?
Auch Motorrad- und Autorennfahrer sind so ruhmsüchtig, dass sie bei jedem Rennen den Tod einkalkulieren. Und wenn sie es nicht tun, verdrängen sie leichtfertig die Angst, dass sie das Leben verlieren könnten. Die Geld-, Anerkennungs- und Machtfrage sitzt ihnen so tief in Herz und Hirn, dass sie alles aufs Spiel setzen. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip macht auch an dieser Stelle deutlich, wie zerstörerisch und lebensfeindlich dieses Denken ist.
Ist der Nervenkitzel, der Kick oder Thrill, wie Journalisten heute diese Abenteuersuche nennen, das Entscheidende? Oder sind Thrillseeker (Nervenkitzelsucher) Menschen, die den Sinn des Lebens verloren haben? Die alles auf eine Karte setzen, um aus dem langweiligen und trostlosen Leben ein bombastisches Abenteuer zu machen? Nur die verrücktesten Nervenkitzel können noch Abwechslung und Schwung in den Alltag bringen. Das heißt doch, wer lebensbedrohliche Abenteuer sucht, hält normales Leben für unnatürlich und langweilig. Wer ständig den Kick braucht, um alle Gefühls- und Empfindungsgrenzen zu sprengen, lebt in Extremen. Langeweile fördert den Lebensüberdruss – „Langeweile tötet“, wie das Sprichwort formuliert. Das Verrückte bekommt Sinn, Durchschnittliches und Bürgerliches sind verabscheuungswürdig.
Energie und Kraft für die Gemeinschaft und für andere einzusetzen ist nutzlos. Egoismus und Ichsucht feiern Triumphe. Thrillseeking ist eine perverse Form der Ichsucht.
Lust am Risiko,
Lust an der Gefahr,
Lust am Untergang,
Lust am Spiel mit dem Tod
sind ekstatische Einstellungen, die alles Eingefahrene, Gleichmäßige und sich Wiederholende scharf in Frage stellen.
Es zählt nur noch das Extreme, Verrückte und Übersteigerte; das Stinknormale hat allen Reiz eingebüßt. Die viel beschriebene „Erlebnisgesellschaft“ braucht den Erregungskick.
Es stimmt, absurde Leistungen sind auch Leistungen, und verrückte Erfolge sind auch Erfolge. Nicht nur das Sinnvolle ergibt Sinn, auch das so genannte Sinnlose erfüllt den Thrillseeker mit Sinn.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist unsere Gesellschaft immer wieder einem Wertewandel unterworfen gewesen. Das Wirtschaftswunder und der sich darauf einstellende Wohlstand haben den ersten Wertewandel veranlasst. Der Wohlstandseffekt beinhaltet die Bedeutung, die die Menschen dem Wohlstand beimessen.
Für viele ist Wohlstand
ein Zeichen für Unabhängigkeit,
ein Merkmal für Selbstverwirklichung
und ein Ausdruck für mehr Freiheit.
Während in den 80er-Jahren materielle und ideelle Werte noch gleich hoch im Kurs lagen, verschoben sich in den 90er-Jahren die Wertauffassungen auffallend stark in die Richtung materiellen Reichtums. Unter den ideellen Werten, die im Trend lagen, fällt ein Begriff heraus, der mit Lebensqualität am treffendsten umschrieben wird. Folgende Gesichtspunkte sind heute für die amerikanische Gesellschaft in erster Linie tonangebend. Das ist wichtig für uns zu wissen, da sich amerikanische Verhältnisse fünf bis zehn Jahre später auch bei uns einstellen. Umfrage-Ergebnisse haben ergeben, dass zunehmend Egoismus und Ichsucht den Trend bestimmen.
1. Weniger Verantwortung anderen gegenüber
Moralische Verpflichtungen, den Nächsten zu achten und zu lieben wie uns selbst, und das Pflichtbewusstsein, dem Mitmenschen beizustehen, haben an Effektivität eingebüßt.
2. Weniger gesellschaftliche Moral
Gesetze und Regeln der Gesellschaft, die früher für Alt und Jung als verbindlich angesehen wurden, verlieren an Gültigkeit. Erlaubt ist, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet.
3. Weniger Opferbereitschaft
Opferbereitschaft hatte in der Vergangenheit einen hohen Stellenwert. Dieser Begriff ist aber zunehmend von allen Medien kritisiert und infrage gestellt worden, und so hat diese negative Reaktion weltweit ihre Folgen gezeitigt.
4. Weniger Askese
Der Duden definiert Askese als eine „strenge, enthaltsame und entsagende Lebensweise zur Verwirklichung sittlicher und religiöser Ideale; Selbstüberwindung“. Askese hat keine besondere Bedeutung mehr. Sittliche Normen haben an Wert verloren, und die Sexualmoral ist gelockert.
5. Weniger Arbeitsmoral
Die Arbeit wird vielfach als Job definiert. Sie hat für viele den Charakter eines notwendigen Übels erhalten. Arbeit, die der Gemeinschaft und dem Gemeinsinn nutzt, wird von den meisten abgelehnt. Die Arbeit ist zu einer Quelle egoistischer und persönlicher Befriedigung geworden.
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