Hier sind einige Ausdrucksformen, mit denen ich in der Vergangenheit große Erfolge erzielt habe. Meine Zeit ist fast vorüber, aber ich gebe mich gern der Hoffnung hin, dass neue Generationen von Gemeindelebenskünstlern und -künstlerinnen den Stab von mir übernehmen werden (natürlich nicht ohne ihn von Zeit zu Zeit strategisch fallen zu lassen).
(a) Ich muss Ihnen mit zutiefst gemischten Gefühlen schmerzlicher Traurigkeit und, ja, auch mit einer eigentümlichen Art bebender Freude sagen, dass ich Dritte-Welt6-Projekte nicht mehr unterstützen kann. ( Vollkommen unerklärlich, aber wirkungsvoll, hat diese lächerliche Aussage den unglaublichen Effekt, anzudeuten, indem ich Dritte-Welt-Projekte nicht unterstütze, handele ich verantwortungsbewusster und gehorsamer, als wenn ich es tue! )
(b) Ich für mein Teil weigere mich, Außenstehende einzuladen, solange wir nicht wirklich begriffen haben, was es bedeutet, Innenstehende auszuladen. ( Erstaunlich eindrucksvoll und scheinbar sehr tiefsinnig; aber gehen Sie lieber, bevor Fragen gestellt werden können, oder aber begegnen Sie ihnen mit bekümmertem, würdevollem Schweigen, so als wäre die Banalität der Frage eine Beleidigung für die Tiefe des Gedankens. )
(c) Schön, wir können entweder mit dem lebenden, atmenden Wort Gottes ringen, oder wir können daraus eine Griechischlektion für Anfänger machen. Ich weiß, Sie werden mir verzeihen,7 wenn ich sage, dass ich weiß, wo mein Herz schlägt. ( Sehr nützlich, wenn jemand Sie gerade durch einen Verweis auf die ursprüngliche Bedeutung des Textes widerlegt hat. Bedenken Sie jedoch stets, dass Sie in anderen Situationen vielleicht leidenschaftlich von ›einer gefährlich naiven Sicht der Schrift‹ sprechen müssen, die ›sich scheut, Gebrauch von den Werkzeugen des Wissens und des Verstandes zu machen, die Gott uns zur Verfügung gestellt hat‹. Für jeden Topf einen Deckel, wie man so schön sagt. )
(d) Ich werde nicht die Bibel/die Gemeinde/den Pastor/das Gebet/die Evangelisation/das soziale Handeln/den Zehnten/die Gemeinschaft zur dritten Person der Dreieinigkeit machen. Ich weigere mich, das zu tun! ( Wählen Sie aus oder setzen Sie ein, was immer oder wer immer mehr Wichtigkeit und Bedeutung zu erlangen droht, als Ihnen persönlich lieb ist. Der Vortragsstil sollte irgendwo zwischen Billy Graham und Martin Luther King liegen. Das wird dem Quatsch garantiert ein Ende machen oder ihn zumindest hinauszögern. )«
Die Masche mit dem verworfenen Konzept
Gemeindelebenskünstler oder -künstlerinnen, die es vergessen oder versäumt haben, sich auf eine Ansprache oder Predigt vorzubereiten, werden begierig sein, sich dieses höchst wirkungsvolle Manöver zunutze zu machen, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich damit in ein noch besseres Licht stellen können, als wenn sie sich gewissenhaft Wort für Wort vorbereitet hätten. Die Ausführung ist genial einfach.

Wenn es Zeit ist, dass Sie mit Ihrer Ansprache beginnen, treten Sie mit einem dicken Stapel Notizen ans Rednerpult und blättern Sie, nachdem Sie ihn vor sich hingelegt haben, kurz durch die Seiten, als wollten Sie ein letztes Mal überprüfen, ob alles da und in der richtigen Reihenfolge ist. Nachdem Sie den Kopf geneigt und scheinbar ein stilles Gebet gesprochen haben, heben Sie den Blick und schauen Sie die Versammelten mit einem Ausdruck beunruhigter Inspiration an ( siehe Abbildung ). Während Sie nun mit der einen Hand Ihre Notizen ergreifen und zur Seite legen, heben Sie mit der anderen eine Bibel auf Brusthöhe und wenden Sie sich mit den folgenden oder ähnlichen Worten an die Gemeinde, in einem Tonfall, der zwar gemessen ist, aber offensichtlich einen vom Geist hervorgerufenen Eifer verbirgt.
»Guten Morgen, liebe Gemeinde. Sie sind hier. Ich bin hier. Meine Predigt ( Ansprache/Botschaft/Verkündigung/Vortrag ) ist dort drüben. Der Vortrag ( Verkündigung/Botschaft / Ansprache/Predigt ) , den ich während der vergangenen Woche viele Stunden lang für Sie vorbereitet habe, ist vielleicht sehr gut. Möglicherweise ist er auch äußerst schlecht. Ich vermute, wahrscheinlich wird er wohl ziemlich durchschnittlich sein. Sei dem wie auch immer, Sie und ich sind nicht die Einzigen, die heute Morgen in dieser Kirche ( Schule/Kapelle/Wohnzimmer/Feld/Halle/umgebauten Fabrik ) anwesend sind. Gott ist ebenfalls hier, und ich muss Ihnen sagen, liebe Freunde, dass ich glaube, er sagt mir, während ich hier vor Ihnen stehe, dass die Verkündigung ( Botschaft/Ansprache/Predigt/Vortrag ), die ich mitgebracht habe ( deuten Sie noch einmal auf den Stapel Papier ), nicht die Lektionen enthält, die er uns heute Morgen lehren möchte. Er möchte, dass ich sie zur Seite lege und Ihnen stattdessen eines der bewegendsten, poetischsten und – ja – herausforderndsten Kapitel im ganzen Neuen Testament vorlese.8 Der erste Brief des Paulus an die Korinther, Kapitel dreizehn, ich lese ab Vers eins. ( Beginnen Sie in mitreißendem, feierlichem Tonfall mit einer Spur wehmütiger Süße zu lesen. )
»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle usw. …«
Nachdem Sie die Lesung beendet haben, klappen Sie mit angemessen würdevollem Gestus Ihre Bibel zu, schließen Sie sie nebst Ihren Notizen in die ehrfürchtig vor der Brust verschränkten Arme und kehren Sie mit geneigtem Haupt zurück zu Ihrem Sitzplatz unter den anderen Gemeindegliedern.
Die Vorzüge dieses Manövers sind vielschichtig. Nicht nur hat sich der Gemeindelebenskünstler als wagemutig und gehorsam genug erwiesen, um eine Ansprache beiseitezulegen, mit deren Vorbereitung er viele Stunden verbracht hat, sondern er besitzt auch ein so waches Gespür für den Heiligen Geist, dass er genau heraushören kann, was Gott an diesem Morgen zu den hier Versammelten zu sagen hat. Ein schönes Ergebnis.
Wir vom Institut für Gemeindelebenskunst sind uns natürlich der Tatsache bewusst, dass in solchen Dingen Authentizität gefordert ist, und zu diesem Zweck haben wir unsere eigenen Sets mit (scheinbar) handgeschriebenen Ansprachen auf passend zerknitterten, mit Streichungen und Fußnoten versehenen Papierstapeln verschiedener Dicke produziert. Erhältlich sind folgende Titel:
Vorstoß und Rückzug im Pentateuch – eine Einführung. Maleachi – der Zusammenhang zwischen Verheißung und Streit
Die Wiederherstellung der geistlichen Konsistenz – eine Zusammenfassung zu Zefanja
Wolken, Höhepunkte und Wiederherstellung – die Kernaussage von 2. Chronik 5
Emission und Retention – die wahre Aussage von Johannes 3,16
Ahnungen der Reinheit – Sinnfrage und Friedensstifter in den ersten beiden Evangelien
Alle Titel sind eigens darauf angelegt, den Eindruck zu erwecken, sie verfügten über einen Inhalt, der aus eifrigem intellektuellem Forschen und leidenschaftlicher Auseinandersetzung mit der Schrift hervorgegangen sei, und sind ab sofort beim Institut erhältlich ( zum Preis von zwölf Pfund fünfzig pro Stapel einschließlich Porto und Verpackung – siehe Abbildung ).
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Читать дальше