Adrian Plass - Das Wiedersehen

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Nur widerstrebend nimmt der Evangelist David Herrick die Einladung zu einem Treffen mit seiner alten Jugendgruppe an. Schließlich hat er die Freunde vor zwanzig Jahren zum letzten Mal gesehen und den Tod seiner Frau noch lange nicht verschmerzt. Doch er ist nicht der Einzige, dem das Leben eine tiefe Wunde zugefügt hat. An dem Wochenende in dem abgelegenen Landhaus kommen nach und nach auch Verletzungen und Narben in den Seelen der anderen zum Vorschein. Schließlich entscheiden sie sich, einander ihre echten Ängste und Gefühle zu zeigen …

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Adrian Plass

Das Wiedersehen

Roman

Aus dem Englischen

von Christian Rendel

Geister fürchten keine Gesetze und sie scheren sich nicht um den Applaus - фото 1

„Geister fürchten keine Gesetze

und sie scheren sich nicht um den Applaus der Menge.“

Anonymus, ca. 1600

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

1. Taschenbuchauflage 2010

ISBN 978-3-86506-717-3

© 2002 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

First published under the title „Ghosts“ in

Great Britain and in the USA in 2001 by Zondervan

© Copyright © 2001 Adrian Plass

Übersetzung des Gedichtes „The Road Not Taken“ von

Robert Frost: Paul Celan

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: shutterstock

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel Adrian Plass Das Wiedersehen Roman Aus dem Englischen von Christian Rendel

Impressum „Geister fürchten keine Gesetze und sie scheren sich nicht um den Applaus der Menge.“ Anonymus, ca. 1600 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Taschenbuchauflage 2010 ISBN 978-3-86506-717-3 © 2002 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers First published under the title „Ghosts“ in Great Britain and in the USA in 2001 by Zondervan © Copyright © 2001 Adrian Plass Übersetzung des Gedichtes „The Road Not Taken“ von Robert Frost: Paul Celan Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers Titelfoto: shutterstock Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014 www.brendow-verlag.de

Erster Teil - Verlust

Zweiter Teil - Freitag

Dritter Teil - Samstagmorgen

Vierter Teil - Samstagnachmittag

Fünfter Teil - Samstagabend

Sechster Teil - Sonntag

Epilog

Erster Teil Verlust

Ich scheine aufzuwachen.

Mein Schlafzimmer ist dunkel, das Rechteck meines vorhanglosen Fensters nur um eine winzige Graustufe weniger schwarz. Ich liege auf dem Rücken und verharre in dieser Stellung wie gelähmt, die Augen weit aufgerissen und hin und her zuckend, während ich gebannt lausche. Mein ängstliches Bestreben ist es, mich der Abwesenheit von Geräuschen zu vergewissern, die in einem sicheren, geschützten Haus bei Nacht fehl am Platze wären. Das lauteste Geräusch ist mein eigenes panisches Atmen. Außerdem bilde ich mir ein, mein Herz pochen und gegen meinen Brustkorb hämmern zu hören. Es ist, als hätte ich in jenem entscheidenden Augenblick vor dem Aufwachen einen überwältigenden, niederschmetternden Schock erlitten.

Ich weiß es noch! Natürlich weiß ich es noch.

Der Lärm, der meinen Schlaf aufstörte, war ein donnerndes Klopfen und Krachen oben und unten an meiner Schlafzimmertür, ein Hagel von Schlägen, der mich mit brutal zerrender Plötzlichkeit ins Bewusstsein katapultierte.

Aber - und das ist die entscheidende Frage - dieses wilde Klopfen, war das in meinem Schlaf? War es der letzte Moment oder der Höhepunkt eines Traums? Das ist möglich. Ich habe so etwas schon erlebt.

Oder nicht?

Konnte es sein, dass tatsächlich in diesem Moment eine oder mehrere Personen vor meiner Tür standen und warteten, dass ich aus der Geborgenheit meines Bettes aufstand, um die Ursache dieses unerklärlichen Ansturms zu ergründen?

Nein, das ist ein dummer, unlogischer Gedanke. Selbst wenn einer oder mehrere Männer irgendwie das Schloss einer Tür zu meinem Haus aufgebrochen und meine Treppe hinaufgestiegen wären, würden sie sich die Mühe machen, mit solch grotesker Heftigkeit gegen meine unverschlossene Schlafzimmertür zu trommeln?

Falls ein Raubüberfall oder Mord ihre Absicht wäre, soll ich etwa ernsthaft glauben, dass sie während der kurzen Reise von der obersten Stufe zu dieser Seite des Treppenabsatzes durch irgendeinen rätselhaften Prozess so von Höflichkeit infiziert wurden, dass sie sich nun verpflichtet fühlen, mich von ihrer Anwesenheit in Kenntnis zu setzen?

Andererseits, sollten sie unbegreiflicherweise aus ganz harmlosen Motiven hier sein, warum kommen sie dann nicht einfach in mein Zimmer und teilen mir mit, welcher Notfall es erforderlich macht, dass sie in mein Haus einbrechen und mich aus dem Schlaf reißen?

Nein, nein, das entsetzliche Klopfen war ein Traum. Es war das Ende eines Albtraums. Ich weiß es genau. Ich bin schon aus vielen Albträumen gefahrlos aufgewacht. Eigentlich aus jedem Albtraum, unter dem ich je gelitten habe. Mein ganzes Leben lang.

Nicht aus jedem.

Aus allen bis auf einen.

Aber aus diesem Albtraum mit dem sinnlosen Klopfen bin ich jedenfalls aufgewacht, und jetzt werde ich weiterschlafen. Genau, so werde ich die Situation handhaben. Ich werde wieder einschlafen. Ich werde die Augen zumachen und einfach wieder eindösen. Und plötzlich wird es Morgen sein.

Ich schließe meine Augen und warte, bis der Schlaf kommt.

Ich warte.

Ich kann nicht schlafen, bis ich diese Tür geöffnet habe. Das geistlose Trommeln und Treten an das hölzerne Türblatt, das mich eben geweckt hat, war mit Sicherheit nichts als ein Albtraum. Doch es bleibt eine Tatsache, dass ich nicht werde schlafen können, bis ich diese Tür aufgemacht habe. Natürlich wird niemand da sein. Es ist niemals jemand da. Aber um meiner inneren Ruhe willen muss ich diese Tür aufmachen und mich mit meinen eigenen Augen vergewissern, dass der Treppenabsatz menschenleer und frei von Eindringlingen ist. Danach wird der Schlaf kommen. Ja, danach werde ich problemlos einschlafen.

Ich schiebe meine Decke zurück. Ich schwinge meine Beine aus dem Bett. Ich stehe auf und taste mich vorsichtig durch die undurchdringliche Schwärze auf die Tür zu. Fast bin ich schon da, als mich ein Schauder der Erkenntnis durchläuft. Wo habe ich eigentlich meinen Kopf? In meinem Schlafzimmer ist es doch nachts nie so dunkel. Die Welt da draußen ist niemals so undurchsichtig, wie sie jetzt erscheint. Und überhaupt ist das Fenster an der falschen Stelle. Ich habe mich geirrt. Das ist gar nicht mein Schlafzimmer. Ich bin gar nicht wach. Ich bin überhaupt nicht aufgewacht. Ich habe geträumt, dass ich schlafe. Dann habe ich geträumt, dass ich aufgewacht bin. Lieber Gott! Ich dachte, ich wäre wach, aber ich bin in einem Albtraum. Und jetzt werde ich von diesem Albtraum vorwärts getrieben. Ich habe keine Wahl mehr, ob ich dieses fremde Zimmer weiter durchqueren oder in das Bett zurückkehren werde, das ich in meiner Naivität für mein eigenes hielt. Ich muss diese Tür aufmachen und mich dem, was immer dahinter sein mag, stellen. Das ist meine unausweichliche Aufgabe. Tränen steigen in mir auf, wenn ich daran denke, was für ein kreischender Abgrund des Wahnsinns wohl auf der anderen Seite warten mag, und ich bin zu Recht wie versteinert. Die Logik des Albtraums ist ebenso eng verschränkt wie die Logik der Tagwelt, aber das eine ist vom anderen so weit entfernt wie die Hoffnung von der Verzweiflung.

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