V. 17-18a enthalten das typisch mk Jüngerunverständnismotiv.
V. 19c-23: V. 19c ist mk Schlußfolgerung, V. 20 Wiederholung von V. 15b. Auch V. 21-23 wurden wohl von Mk hinzugefügt: Er interpretiert den Streit über rein und unrein unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens (vgl. ähnlich die Einschaltung von V. 6-8 und V. 9-13). V. 21b-22, formgeschichtlich ein Lasterkatalog, stammen aus der Gemeinde des Mk oder von ihm selbst. Die einzelnen Sünden werden kunstvoll je sechs im Plural und im Singular aufgezählt und zeigen das negative Gegenbild zum Ideal der christlichen Lebensführung.
Ertrag: Mk will seinen heidenchristlichen Lesern das für Pharisäer und alle Juden verbindliche Gesetz erläutern und hebt davon das für Christen geltende Gesetz ab, das jedermann einleuchte.
Tradition
V. 5-8: Die Polemik gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten mittels eines Jesajazitates (Jes 29,13) und einer Schlußfolgerung (V. 8) ist der Grundstock der Tradition. Doch bleibt festzuhalten: das Jesajazitat antwortet gar nicht argumentativ auf die Praxis des Essens mit unreinen Händen (V. 5).
V. 9-13: Dies ist ein Stück traditioneller Gemeindepolemik mit der üblichen mk Anreihungsformel »und er sagte ihnen«. Das Stück bringt ein Beispiel dafür, wie sich das in V. 8 genannte Fahren-Lassen des Gebotes Gottes konkretisiert. Vgl. »außer Kraft setzen« (V. 9) und »aufheben« (V. 13) mit »fahren lassen« (V. 8).
Ein weiteres Traditionselement schloß Mk mit V. 15 an. V. 18b-19 entstammen ebenfalls der Tradition.
Historisches
V. 5-8: Das Traditionsstück antwortet auf ein Verhalten der Jünger und ist deswegen nicht geschichtlich.
V. 9-13: Die Überlieferung konkretisiert V. 5-8 und ist deswegen genauso ungeschichtlich wie das Stück V. 5-8 selbst.
V. 15: Das Logion ist rätselhaft, denn es begründet im Kontext des MkEv, warum die Jünger mit unreinen Händen Brot essen dürfen (Mk 7,5). Das ist verwunderlich, da das Wort selbst Speisegesetze kritisiert und nicht Reinheitsgesetze. Reinheitsvorschriften haben, modern gesprochen, mit Hygiene zu tun und betreffen z.B. menstruierende Frauen, Aussätzige sowie Ausfluß am männlichen Geschlechtsorgan (vgl. Lev 12-15). Speisegesetze beziehen sich auf die Ernährung und regeln den Verzehr von reinen und unreinen Tieren (Lev 11). Das Wort Mk 7,15 dürfte daher von Haus aus isoliert überliefert und erst nachträglich von Mk in das Textstück eingefügt worden sein. Er wurde dazu wohl durch die Überlegung veranlaßt, das Essen mit unreinen Händen mache den Pharisäern und Schriftgelehrten zufolge den Menschen ebenfalls unrein, so daß das Logion im weiten Sinn als Kritik auch an den Reinheitsgesetzen gelten könne.
Die Radikalität dieses Wortes ist eng mit der von Mk 2,27 verwandt, insofern es ebenfalls eine trotzige Reduktion des Gesetzes (diesmal des Speisegesetzes) vornimmt. Für die Echtheit des Wortes spricht zunächst das Differenzkriterium, da die Speisegesetze im Urchristentum, wie zahlreiche Belege zeigen (Gal 2,11-15; Apg 10,9-16; Apg 15,20 u.ö.), uneingeschränkt galten. Sodann ist das Seltenheitskriterium zur Stützung der Echtheit des Wortes in Anschlag zu bringen. Da sich auch andere Äußerungen Jesu durch Radikalität auszeichnen, entspricht das Wort zusätzlich dem Kohärenzkriterium.
V. 18b-19: Diese Überlieferung zieht die Konsequenz aus dem echten Wort Jesu in V. 15 und geht vielleicht selbst auf ihn zurück.
Mk 7,24-30: Die Syrophönizierin
(24) Und von dort brach er auf und ging in das Gebiet von Tyrus. Und er kam in ein Haus und wollte, daß es niemand erfährt, und er konnte nicht verborgen bleiben .
(25) Aber sogleich hörte eine Frau von ihm, deren Töchterlein einen unreinen Geist hatte. Sie kam und warf sich zu seinen Füßen. (26) Die Frau aber war Griechin, der Herkunft nach Syrophönizierin. Und sie bat ihn, daß er den Dämon aus ihrer Tochter austreibe. (27) Und er sagte ihr: »Laßt zuerst die Kinder satt werden! Denn es ist nicht gut, den Kindern das Brot zu nehmen und den Hündlein vorzuwerfen.«
(28) Sie aber antwortete und sagt ihm: »Herr, auch die Hündlein unter dem Tisch essen von den Brotkrümeln der Kinder.«
(29) Und er sagte ihr: »Um dieses Wortes willen geh! Ausgefahren aus deiner Tochter ist der Dämon.«
(30) Und sie ging fort in ihr Haus und fand das Kind auf dem Bett liegen und den Dämon ausgefahren.
Redaktion
Vorbemerkung: Die Perikope gehört zusammen mit Mt 8,5-13/Lk 7,1-10 und Lk 17,11-19 zu den Berichten über Fernheilungen an Heiden. Vielleicht entstand die Gattung der Fernheilungsgeschichten, weil Jesus in Wirklichkeit niemals Heiden geheilt hat. In dieser Gattung käme dann zum Ausdruck, daß Jesus erst als der erhöhte Herr Heiden kuriert. Die Gattung »Fernheilung« wäre in diesem Fall der Versuch, das rein jüdische Wunderwirken Jesu mit der alle Menschen umfassenden Wundertätigkeit des erhöhten Herrn auszugleichen.
V. 24: Redaktionell ist die Verknüpfung mit dem Kontext und überhaupt die ganze Tyrus-Reise (vgl. V. 31). Dabei mag die Ortsangabe von Mk aus V. 26 erschlossen worden sein. Die Aussage, Jesus habe, damit ihn niemand erkenne, ein Haus betreten, sei aber trotzdem nicht unbemerkt geblieben, ist typisch markinisch (vgl. 1,45; 5,43; 9,30).
V. 27: Das mk »zuerst« schwächt die Logik von Jesu Argumentation. Denn der nachfolgende Begründungssatz billigt den Hunden überhaupt kein Brot zu. In der Gesamtkonzeption des MkEv deutet sich die Hinwendung der Evangeliumspredigt zu den Heiden an.
V. 28: Die Anrede Jesu als „Herr“ kommt nur hier im MkEv vor und spiegelt Jesu Verehrung in heidenchristlichen Gemeinden wider.
Ertrag: An der Geschichte zeigt Mk, daß die Wunderkraft Jesu auch für heidnische Gemeinden gilt, ja, die Erzählung bekommt – sowohl für die Tradition als auch für Mk selbst (vgl. 13,10) – Paradigmacharakter für die Hinwendung der Gemeinde Jesu zu den Heiden. Die Pointe der Erzählung ist, daß Jesus durch den Glauben der Frau überwunden wird. Zwar wird ihr Glaube nicht explizit so genannt, doch liegt er als Phänomen innerhalb der Geschichte vor.
Tradition
V. 25-30 enthalten die einheitliche Komposition eines mit einem Wunder verbundenen Streitgesprächs. »Das Wunder wird hier ja nicht um seiner selbst willen erzählt, sondern Jesu im Gespräch sich entwickelndes Verhalten ist die Hauptsache. Und zwar liegt eine Art Streitgespräch vor, in dem diesmal aber Jesus – ohne daß dies einen Schatten auf ihn würfe – der Überwundene ist« (Bultmann, 38). Dazu kommen die üblichen Kennzeichen einer Wundergeschichte: Darstellung des Unglücks und Ansuchen um Hilfe (V. 25f), Heilung durch Jesus (V. 29) und Feststellung der Tatsache des Wunders (V. 30). Das Streitgespräch (zwischen Jesus und der Frau) und das Wunder gehören ursprünglich zusammen. Der Dialog ist durch die außergewöhnliche Tatsache bedingt, daß Jesus von einer Heidin um Hilfe gebeten wird.
Der Tradition dürften urgemeindliche Debatten über den Zugang der Heiden zur Gemeinde zugrunde liegen. Aus der Härte der Debatte erklärt sich die scharf ablehnende Antwort Jesu. Doch der Erfolg der Heidenmission innerhalb des frühen Christentums führte schließlich auch zu einem versöhnlichen Schluß innerhalb der Erzählung.
Historisches
Der geschichtliche Ertrag ist gleich Null, da die Erzählung aus Debatten der frühchristlichen Gemeinde abgeleitet werden muß. Der manchmal unternommene Versuch, einen historischen Rest bzw. einen historischen Kern der Tradition zu retten, besteht zumeist in der Annahme, Jesus habe manchmal eben auch Heiden geheilt (vgl. 5,1-20) und damit letztlich die Offenheit der von ihm begründeten Bewegung auch für Heiden dokumentiert. Doch wo ein Kern vorausgesetzt wird, muß er auch faßbar sein. Das ist jedoch in der vorliegenden Geschichte nirgends der Fall. Vgl. weiter zu Mt 15,21-28.
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