Das ist mein Song. Ehrlich.
Zumindest ist es meine Musik gewesen, als ich noch im Ring stand. Nein, eigentlich schon vorher, vor meinem Auftritt. Sie dröhnte mir nicht nur in den Ohren, ich hatte sie in den Fußsohlen, in der Magengrube. Ba-ba ba-ba-baa da bad’n bad’n. Genau so. Dann bin ich knurrend und brüllend in die Halle gestürmt, wie ein wildes Tier. Und das Publikum hat sich nach mir umgedreht und zurückgebrüllt.
Sie gehört mir, diese Musik.
Jedenfalls hat sie mir mal gehört.
Aber wissen Sie, was das Komische ist? Ich hatte das Lied bis dahin nie gehört. Ich kannte bloß die Stelle mit dem Ba-ba baba-baa da bad’n, bad’n, weil die Tonleute sie so lange gespielt haben, bis ich im Ring war. Den Text haben sie weggelassen. Ich dachte nie, dass ich den noch mal irgendwann zu hören kriege. Ich stehe nämlich nur auf Heavy Metal, alles andere ist für mich keine Musik. Mr. Deeds hat mir das Stück ausgesucht, und er ist ein alter Knacker, der keinen Geschmack hat. Die falsche Generation eben.
Sie müssen sich das mal vorstellen. Ich friere mir in einem Parkhaus den Arsch ab und will nichts wie nach Hause, als plötzlich mein Ba-ba ba-ba-baa da bad’n bad’n aus den Boxen kommt. Das war vielleicht ein Schreck. Ich war total geplättet. Es war wie ein Zeichen. Ein Zeichen aus der Hölle.
Eigentlich hätte ich sofort abschalten müssen, weil man nicht mit einer Million Mega-Dezibel durch die Gegend fahren will, wenn man in einem geborgten Astra sitzt. So was mache ich nicht. Sie vielleicht? Höchstens, wenn Sie unterbelichtet sind. Trotzdem habe ich es nicht ausgedreht. Ich konnte den richtigen Knopf nicht schnell genug finden. Und als ich ihn dann doch noch gefunden hatte, wollte ich die Musik einfach nicht mehr ausmachen. Und wissen Sie, warum? Weil mir plötzlich klar wurde, dass es in dem Lied gar nicht um »Satisfaction« geht, was ja wohl so viel wie Befriedigung heißt, sondern um Frust.
Das war mal wieder ein Beweis dafür, was für ein Blindgänger Mr. Drecksack Deeds ist. Sucht mir ein Lied aus, das Satisfaction heißt und nur von Frust handelt. Voll von Wut und Verbitterung. Genau wie ich. Also hörte ich es mir erst mal zu Ende an.
Als ich den Wagen später abgestellt habe, habe ich die Kassette mitgenommen. Womöglich war ja noch ein Zeichen aus der Hölle für mich drauf.
Und ich habe tatsächlich noch eines gefunden. Echt wahr. Das Lied heißt Jumpin’ Jack Flash, und darin geht es nur um mich. Nur dass ich nicht der Jack bin. Ich bin Eva.
Jack und Eva haben beide einen Drachen als Mutter. Wir sind beide verprügelt worden. Wir sind kaputt und am Ende.
Aber wir kommen schon wieder auf die Beine.
Eva rappelt sich auf jeden Fall wieder hoch. Was geht mich der Jack an? Immerhin jammert und weint er nicht. Er schreit und tobt, aber er lässt sich nicht unterkriegen. Genau wie ich.
»Hörf«, sagte Milo.
»Klappe«, sagte ich.
»Eva«, sagte Anna Lee.
»Scheiße«, sagte ich. »Was soll denn das, dass Sie sich so ranschleichen?«
»Wieso schleichen?«, sagte sie. »Ich habe das Tor aufgemacht und bin ganz normal hereingekommen. Du hast mich nur nicht gehört. Milo hat mich gehört. Aber du nicht.«
Milo ist ein echter Schleimi. Er küsste ihr die Hand und wedelte wie blöde mit dem Schwanz.
»Eva«, sagte sie. »Du hast während der Arbeit getrunken.«
»Quatsch«, sagte ich. »Das zählt doch nicht als Trinken. Das hilft gegen die Kälte.« Wenn man mit einer Dose Bier in der Hand erwischt wird, kann man schließlich kaum behaupten, es wäre Kaffee.
»Ich bringe dich nach Hause«, sagte Anna Lee, die Feindin.
»Sie bringen mich nirgendwohin.«
»Nach Hause«, sagte sie.
»Auf der Stelle«, sagte sie.
»Beweg dich«, sagte sie.
Im nächsten Moment hatte sie Milo und mich in ihren weißen Peugeot verfrachtet und raste die Jamaica Road runter. Unterwegs sagte sie: »Es tut mir leid.«
»Was?«
»Das war das Ende der Fahnenstange. Du hast gerade deine letzte Chance verspielt.«
»Ich habe gar nichts verspielt«, sagte ich. »Halten Sie an.«
»Warum?«
»Anhalten!«
Ich wäre fast in die Gosse geflogen, so eilig hatte ich es, aus dem Wagen zu kommen. Diese verkniffene, eingebildete Zicke sollte nicht sehen, wie mir schlecht wurde.
Ich sprang um die nächste Ecke und reiherte einem Jaguar auf die Motorhaube.
Aber ich ging nicht wieder zurück. Ich hatte die Schnauze voll von der Feindin. Sie wollte mich rausschmeißen? Da hatte sie sich geschnitten. Von mir aus konnte sie sich ihren miesen Job in die Haare schmieren. Bevor ich für sie noch einen Finger krumm machte, legte ich eher meinen Kopf unter die S-Bahn.
Ich hätte ihr lieber in den Peugeot reihern sollen. Oder in den Nacken. Oder in ihre Handtasche.
Das muss man sich mal vorstellen! Einer kranken Frau einen Fußtritt zu verpassen. Manche Menschen haben überhaupt kein Herz. Kein Herz. Und wenn sie mich angebettelt hätte, ich wäre nicht wieder angekrochen gekommen.
Milo musste bei der Feindin bleiben. Schließlich war er ja auch nicht von selber mitgekommen. »Nutzlose Töle.«
Wozu war er überhaupt gut? Zum Arbeiten war er noch zu jung und unerfahren, aber dafür konnte er fressen wie ein Pferd.
»Sie kann dich behalten«, sagte ich. »Ich wollte dich sowieso nie haben.«
Ich ging weiter. Mir war alles egal. ALLES EGAL. ALLES.
Aber der Bürgersteig schwankte, und die Mauern blähten sich wie eine Fahne im Wind. Und plötzlich wusste ich den Weg nach Hause nicht mehr. Lachen Sie ruhig, aber so was kann vorkommen. Auch wenn man stocknüchtern ist. Man geht die Straße entlang, macht sich seine Gedanken oder auch nicht, biegt um eine Ecke zu viel oder zu wenig, und schon ist es passiert – man hat sich verlaufen.
Ich hatte mich verirrt.
Ich war auf einer Straße, die ich nicht kannte. Sie sah aus wie jede andere. Sie war gut beleuchtet, aber die Laternen waren verschwommen und schaukelten im Wind. Bloß war es nicht windig. Gerade als mir wieder schlecht werden wollte, entdeckte ich auf der anderen Straßenseite eine Tankstelle, die noch offen war. Vielleicht gab es da Bier für meinen armen Magen.
Ich ging langsam rüber. Obwohl es vier Uhr morgens war, rasten mit einem Affenzahn irgendwelche Irren vorbei. Kein Aas hielt sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Es war eine ziemlich gefährliche Straße, wenn man ein paar Schluck getrunken hatte und sich nicht gut fühlte.
Ein knallroter Carlton zischte an mir vorbei, als ob es mich gar nicht gäbe, und bog genau vor mir in die Tankstelle ein. Er rauschte so nah an mir vorbei, dass er mir fast die Jacke ausgezogen hätte.
»Arschloch!«, schrie ich. Aber keiner hörte mich. Keiner kümmerte sich um mich. Ich hätte genauso gut einen Laternenmast anschreien können.
»Arschloch«, sagte ich noch einmal und sprang auf den Bürgersteig.
»Das zahle ich dir heim«, sagte ich und hüpfte über die Kette, die um das Tankstellengelände gezogen war.
Ich wollte dem Carlton-Fahrer die Meinung geigen. Ich wollte ihn unter den Armen packen, hochheben und sagen: »He, du Eiterbacke, pass auf, wo du hinfährst.« Aber bis ich mich wieder hochgerappelt und der Kette, die mir ein Bein gestellt hatte, einen Tritt verpasst hatte, war der Fahrer längst ausgestiegen und ins Kassenhäuschen gegangen. Die Tür des Carlton stand offen, der Motor lief. Es war genauso gut wie eine Einladung: »Bitte sehr, Eva. Ein schönes rotes Auto, das nur darauf wartet, dich nach Hause zu bringen.«
Also sagte ich: »Schönen Dank. Hiermit nehme ich die Eiterbacke zurück.« Ich sprang rein und legte den ersten Gang ein.
In dem Moment steckte der Fahrer den Kopf aus der Tür und brüllte was. Ich konnte ihn nicht genau verstehen, weil ich gerade voll aufs Gas gestiegen war und mit aufheulendem Motor losdüste. Was als Nächstes passierte, war sehr merkwürdig. Als ich an dem Mann vorbeikam, klappte die Beifahrertür zu. Dabei hatte ich gar keinen Beifahrer bemerkt. Und dann kam ein anderer Typ, den ich vorher noch nicht gesehen hatte, aus dem Kassenhäuschen und zeigte mit einem Stock auf mich.
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