1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Yu Weiß nickte. »Dann soll es so sein. Sei dir allerdings im Klarem darüber, dass deine Fähigkeiten hier nicht so leicht auszubilden sind, wie in einem Schülerhaus der Schwarzkutten. Mit Nekromantie hat niemand hier Erfahrungen, wir werden dich also nicht auf diesem Gebiet unterrichten. Außerdem wird dich immer jemand bewachen. Nimm es nicht persönlich, aber du bist immer noch eine Schwarzkutte. Nun denn – Sofia, wir sehen uns beim Nachmittagsunterricht. Mary, bleibst du bitte noch kurz hier? Wir müssen über deinen Mentor und über deinen Schlafraum sprechen.«
»Sie kann bei Bea und mir im Zimmer schlafen«, schlug ich vor, bevor ich überhaupt darüber nachgedacht hatte. Alle Blicke richteten sich auf mich und Herr Must hob überrascht die Augenbrauen.
»Na ja, sie kennt ja nur mich und außerdem haben wir auch nicht so viele Zimmer frei«, sagte ich verlegen, aber Yu Weiß nickte zustimmend.
Ich verließ hinter Quandri den Raum (die mich übrigens aus zusammengekniffenen Augen musterte. Das zum Thema patziges-Verhaltenvergessen).
Am Nachmittag ging ich mit einem mulmigen Gefühl zu der Unterrichtsstunde. Ich wollte Bea eigentlich nicht in den Klauen (okay, das war jetzt vielleicht etwas übertrieben) Quandris lassen, aber dennoch wurde mir bewusst, dass ich das Kampftraining ernster nehmen sollte, als ich es am Anfang getan hatte.
Yu Weiß war nicht alleine, als ich den großen Raum mit der Statue des Armet betrat (was er ja auch angekündigt hatte). Neben ihm stand ein Junge, etwa in meinem Alter, mit schwarzen Haaren und dunklen Augen. Er war groß und muskulös, aber seine Gesichtszüge waren weich – ein typischer Mädchenschwarm. (Isabell wäre ihm wahrscheinlich sofort um den Hals geflogen.) In seinen Händen hielt er ein dickes Buch – kein gutes Zeichen! Mein Mentor lächelte mir zu, als ich näher trat. »Das ist Merl Kerner. Er wird dich im Kämpfen unterrichten.«
Ich nickte Merl einmal kurz zu und erkundigte mich dann bei Yu Weiß nach Mary.
»Im Moment passt Herr Must auf sie auf. Mach dir keine Sorgen, Sofia.«
Yu Weiß setzte sich unter die Armetstatue, während Merl näher trat. »Also, wir werden erst einmal mit Taekgyeon anfangen. Das ist eine Kampftechnik, bei der unter anderem Tritte, Schläge und Sprünge eingesetzt werden. Das wichtigste beim Taekgyeon ist eigentlich, dass du immer in Bewegung bist, niemals stehen bleibst und dich fließend bewegst. Auf diesem Bild hier«, er klappte das Buch, das er in der Händen gehalten hatte, auf und deutete auf zwei in einander verknäulte Blaukutten, »zeige ich dir erst einmal den sogenannten Gyeot Chigi, auch gewundener Tritt genannt.«
Wir verbrachten die gesamte Stunde mit Theorie. Merl zeigte mir verschiedene Stellungen auf Arbeitsblättern und in Büchern und bläute mir ein, sie bis zum nächsten Tag nicht zu vergessen. Wir sprachen nur über Kampftechniken, und insgeheim fragte ich mich, wo Merl so gut kämpfen gelernt hatte. Es war nicht üblich, dass eine Rotkutte kämpfen lernte.
Als ich den Trainingsraum schließlich wieder verließ, schwirrte mir der Kopf von all denn Informationen und Techniken.
Als ich in mein Zimmer kam, saß Mary auf einer Matratze, die zwischen Beas und mein Bett gelegt worden war (sodass wir nur über die Betten zu unseren Schränken kamen). Auf der Fensterbank saß Herr Must mit einem Stapel Arbeiten vor sich und begann eifrig mit seinem roten Korrigierstift zu schreiben. Ich warf ihm einen mürrischen Blick zu. (Also ehrlich, musste er denn unbedingt in unser Zimmer, um Mary zu bewachen? Ein bisschen Privatsphäre wäre eigentlich wirklich nicht schlecht, auch vor Lehrern!)
»Hi«, sagte ich demonstrativ nur zu Mary, kletterte über mein Bett und hängte meine (jetzt einzige, schließlich hatte Bea die andere so zugerichtet, dass sie nicht mehr tragbar war) rote Robe in den Schrank. Wieder warf ich einen grimmigen Blick auf Herrn Must. Musste er denn unbedingt im Zimmer sein und mich in Leggins und T-Shirt sehen?!
»Wie geht’s dir?«
»Ganz gut, danke«, sagte sie und fügte schüchtern hinzu: »Ich habe gehört, dass du keine Magie hast. Stimmt das?« Ich verdrehte die Augen (also so langsam war ich das Thema wirklich leid).
»Ja, das stimmt«, sagte ich etwas patziger als beabsichtigt und schob deshalb noch hinterher: »Aber ich komme hier ganz gut aus, auch wenn ich keine Rotkutte bin. Das wird dir genauso gehen, Mary.« Damit machte ich mich auf den Weg zu Bea. Einerseits wollte ich sie wirklich sehen, andererseits konnte man sich nicht im Zimmer entspannen, wenn Herr Must direkt neben einem hockte. Insbesondere nicht, wenn ich eigentlich vorhatte zu Duschen. Aber darauf, dass der stellvertretende Schulleiter meinen Gesang (na ja, also das Gekreische des Huhns in mir, wie Bea es immer nannte) hörte, konnte ich getrost verzichten.
Die nächsten Tage zogen sich quälend langsam hin. Bea zog wieder in unser Zimmer ein und für Mary wurden ein Bett und ein Schrank gebracht, den wir aus Platzmangel ins Bad bringen mussten. Bea behandelte Mary wie eine Freundin, was wahrscheinlich daran lag, dass sie der Schwarzkutte ihr Leben zu verdanken hatte. Und ich – ich war einfach froh, nicht der einzige Freak hier zu sein. Mary war nett, aber ziemlich eigen. Sie saß die ganze Zeit im Zimmer und las irgendwelche Geschichtsbücher oder so einen Kram (freiwillig übrigens, das muss man sich mal vorstellen) und das besserte sich erst, als Herr Must ihr Mentor wurde. Die anderen Oberstufenschüler behandelten sie wie mich – hinter ihrem Rücken wurde getuschelt, ansonsten hielt sich die Lästerei in Grenzen. Hin und wieder kamen ein paar Sprüche à la »Komm mir nicht zu nah – Schwarzkutten sollen angriffslustig sein!«, aber es war nicht mehr, als ich die letzten Jahre hatte ertragen müssen.
Ich fragte Yu Weiß, ob es wirklich nötig wäre, dass ein Erwachsener in unserem Zimmer Wache hielt und er beschränkte es auf eine Wache vor der Tür und eine im Hof (die armen Lehrer!).
Die Abende verbrachten wir drei eigentlich immer mit Hausaufgaben. Während Mary Fragebögen über Magie, vor allem die der Rotkutten, ausfüllte, ließ Bea Gegenstände durch den Raum fliegen (die leider nicht immer dort landeten, wo sie sollten – ich sag nur blaue Flecke an meinen Beinen und ein grüner Farbklecks auf Marys neuer, roter Robe) und ich las Bücher über die verschiedensten Kampfstellungen.
Die ersten Stunden machten Merl und ich nur Theorie, aber danach fingen wir mit dem Kämpfen an und ich konnte nachvollziehen, dass Yu Weiß Merl als Trainer ausgewählt hatte, auch wenn er noch so jung war.
Bevor ich mich überhaupt nur bewegen konnte, hatte Merl mich schon zu Boden gedrückt. Er hatte viel Geduld mit mir, obwohl ich nicht wirklich besser wurde. Eigentlich wollte ich Bea nicht mit der ganzen Kampfgeschichte belasten, so kurz nach dem Angriff auf sie. Aber die Verletzungen vom Training konnte ich nicht auf ewig geheim halten, und so erzählte ich Bea und Mary schließlich von Merl und meinem (jetzt gebrochenen) Versprechen an Yu Weiß.
»Bei Armet!«, stöhnte Bea, die in ihrem Bett lag und mich mit enttäuschter Miene anstarrte. »Du hättest mir das wirklich erzählen sollen!«
»Sorry«, murmelte ich nur, schließlich hatte ich ihr erklärt, warum ich es zuerst verschwiegen hatte.
»Das ist merkwürdig«, bemerkte Mary, ohne den Blick von ihrem Buch abzuwenden.
Bea und ich schauten sie fragend an. »Na ja …«, sagte Mary gedehnt. »Es sieht ja so aus, als würden sie dir beibringen, dich zu verteidigen. Nachdem was du erzählt hast, übt ihr ja eher das Ausweichen als das Zuschlagen.«
Ich nickte zustimmend und musste feststellen, dass ich das so noch nicht betrachtet hatte. Mary legte ihr Buch über Göttergeschichte (sehr langweilig, ich habe das mal irgendwann vor ein paar Jahren gelesen) zur Seite und schaute uns ratlos an.
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