1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 So beschoss die Pazifikflotte der GCF Tokio am 20. September 2051 mit fünf Atombomben. Drei weitere wurden auf Kawasaki, zwei auf die Industriestadt Yokohama abgefeuert. Das von Matsumotos Wissenschaftlern konstruierte Raketenabwehrschild konnte lediglich drei der zehn Kernwaffen außer Gefecht setzen, die anderen trafen ihre Ziele und brachten dem urbanen Herzen Japans eine apokalyptische Verwüstung. Tokios Innenstadt wurde vollkommen zerstört und insgesamt starben, trotz der vorher von Matsumoto durchgeführten Evakuierungsmaßnahmen, nicht weniger als 8 Millionen Menschen.
Doch das genügte den Logenbrüdern noch immer nicht. Einen Tag später ließen sie weitere sechs Atombomben auf Sapporo niedergehen; sie wurden exakt so platziert, dass nicht nur die Innenstadt der ihnen so verhassten Metropole, sondern auch sämtliche Außenbezirke vom atomaren Vernichtungsfeuer eingeäschert wurden. So gut wie alle Einwohner der Stadt, die Sapporo nicht schon vorher in weiser Voraussicht verlassen hatten, wurden bei diesem Angriff getötet. Insgesamt waren es fast zwei Millionen Menschen, die bei dem Atomschlag ihr Ende fanden.
Nur wenige Stunden später folgten die Städte Hiroshima und Nagasaki, die aufgrund ihrer symbolischen Bedeutung ausgewählt worden waren. Jeweils zwei Wasserstoffbomben machten sie dem Erdboden gleich. Am 22. September endete der Atomwaffenangriff auf Japan schließlich mit einem letzten Bombenabwurf auf Kagoshima im Süden der Inselgruppe.
„Ihr seid im Wald gewesen und habt Pilze gesammelt?“, fragte Frank schmunzelnd.
„Ja, und wir haben sogar ein paar leckere Steinpilze gefunden. Sieglinde ist noch ganz aufgeregt“, erklärte Bäumer.
„Und sonst, Alf?“
„Alles klar soweit – bis auf einen kleinen Weltkrieg.“
„Sehr witzig!“
„Ja, finde ich auch …“
„Aber es geht dir wieder gut, oder?“
„Alles bestens!“
„Super! Das freut mich, Alf!“
„Und bei dir?“
„Immer das Gleiche. In den letzten Tagen war es aber recht ruhig. Gott sei Dank.“
„Hör bloß auf, ich muss auch bald wieder raus.“
„An die Front?“
„Ja! Wohin sonst?“
„Kommst du zu uns?“
„Ich glaube eher, dass man mich an die Balkanfront schicken wird. Dort unten brennt es an jeder Ecke, Frank.“
„An die Balkanfront?“
„Ja, irgendwo da unten. Das Oberkommando plant scheinbar eine Gegenoffensive. Was weiß ich …“
„Fuck!“
„Das kannst du laut sagen!“
„Aber Svetlana und Sieglinde geht es gut?“
„Im Prinzip schon, aber wem geht es in diesen Tagen schon gut?“
„Niemandem!“
„So ist es.“
„Und was habt ihr so in den letzten Tagen gemacht, Alter?“
„Nicht viel! Ich verschlafe den halben Tag oder spaziere mit Frau und Kind durch Ivas. Die Glotze lasse ich grundsätzlich aus. Ich kann die ganze Scheiße nicht mehr sehen.“
„Du meinst Arturs zahlreiche Volksreden?“
„Alles eben! Diesen ganzen verdammten Krieg.“
„Geht mir auch so, mein Lieber. Ich bin froh, wenn sie mich alle in Ruhe lassen“, sagte Frank müde.
„Wir waren gestern bei Steffen de Vries. Das war total nett, ich soll dich übrigens grüßen.“
„Ach? Und wie geht es dem so?“
„Der macht halt sein Ding und hält sich raus. Sieglinde liebt seine Milchshakes und hat gestern …“
„Moment mal, Alf. Da kommt einer in den Unterstand!“, unterbrach Frank seinen Freund.
Ein hochgewachsener Offizier der Warägergarde salutierte und winkte Kohlhaas zu sich. „Verzeihen Sie die Störung, Herr General, aber es gibt schreckliche Neuigkeiten.“
„Ich rufe dich später wieder an. Bis dann!“, sagte Frank und legte auf.
„Ich habe keine schönen Nachrichten für Sie, Herr General. Haben Sie schon die neuesten E-Mails auf Ihrem DC-Stick gelesen?“
„Nein! Wenn ich ehrlich bin, habe ich seit drei Tagen nicht mehr in mein Postfach geschaut“, gestand Frank genervt.
„Seit drei Tagen? Herr General, Sie wissen doch, dass es Vorschrift ist, alle zwei Stunden die neuesten Meldungen …“, bemerkte der Offizier verstört.
„Scheiße! Ja! Was ist denn?“, knurrte Kohlhaas.
„Es hat die Japaner erwischt!“, erklärte der Russe, während Frank erschrocken die Augen aufriss.
Haruto Matsumoto blickte auf das grauenvolle Szenario vor seinen Augen und musste sich bemühen, nicht vor Entsetzen zusammenzubrechen. Der japanische Präsident hatte heute Morgen seinen Atombunker, der bei Akita mehrere Kilometer tief in den Fels gehauen worden war, mit seinem Führungsstab verlassen und war nach Tokio gefahren, um sich die Auswirkungen des Atomwaffenangriffes anzusehen.
Was seine mit Tränen gefüllten Augen erblickten, überstieg sämtliche Schreckensvisionen noch bei weitem. Dichter, schwarzer Qualm lag über dem Trümmermeer, das einst die stolze Hauptstadt Japans gewesen war. Wie von einer riesigen Dampfwalze waren ganze Straßenzüge zermalmt worden und oft ragten nur noch die zerfallenen, versengten Ruinen der großen Wolkenkratzer in den Himmel. Was die Japaner in den letzten Jahren mühsam aufgebaut hatten, war in der Zeit eines Wimpernschlages von ihren Feinden ausgelöscht worden.
Dass sie Japan eines Tages so massiv angreifen und eine solche Zerstörung bringen würden, hatte Matsumoto immer zu verdrängen versucht. Warum ihm seine Gegner seit Jahren mit einem derartigen Hass gegenüberstanden, konnte er sich noch immer nicht erklären. Er selbst wäre nicht einmal im Traum darauf gekommen, einem anderen Land so etwas anzutun.
„Warum haben sie Millionen Menschen vernichtet?“, fragte er sich immer wieder. „Weil sie unabhängig sein wollten? Weil sie die Wirtschaftsinteressen der Weltregierung behindert haben? Weil sie sich keine Scanchips implantieren lassen wollten?“
Er fand keine Antwort. Seinem alten Freund, dem japanischen Außenminister Akira Mori, erging es nicht anders.
„Ich gehe noch weiter …“, sagte Matsumoto und atmete schwer in seinem stickigen Schutzanzug.
„Bitte seien Sie vorsichtig, Herr Präsident! Wir wissen nicht, wie stark hier die Strahlung ist“, warnte einer seiner Berater.
„Wozu haben wir dann diese Anzüge?“, knurrte dieser und ging einige Hundert Meter in Richtung des gigantischen Ruinenmeeres vor sich.
„Das ist die Hölle auf Erden …“, hörte Matsumoto einen seiner Begleiter murmeln.
Die Innenstadt von Tokio lag noch mehrere Kilometer weiter östlich. Diese verbannte Einöde war lediglich ein Außenbezirk, der jedoch ebenfalls die volle Wucht einer atomaren Explosion abbekommen hatte.
Zwischen den rußgeschwärzten Wänden konnte Matsumoto mehrere verkohlte Leichen erkennen, die sich wie Säuglinge zusammengekrümmt hatten. Lediglich ihre weißen Zähne schauten gespenstisch aus dem Haufen gegrilltem Menschenfleisch hervor und der Präsident musste sich zusammenreißen, um sich nicht in seinen Strahlenschutzanzug zu übergeben.
Dennoch ging er weiter durch die zerstörten Straßen, vollkommen verstört und paralysiert. Dieses Grauen war zu viel für seinen Verstand und irgendwann war er froh, dass ihn seine ebenfalls vollkommen entsetzten Begleiter einfach anhielten und zurückschleifen wollten.
Am Ende begann Matsumoto leise zu wimmern und zu schluchzen. Leise brabbelte er einige Wortfetzen unter dem Visier seines Helmes vor sich hin. Man konnte ihn kaum verstehen, und seine Begleiter baten ihn, diesen höllischen Ort wieder so schnell wie möglich zu verlassen.
Der japanische Präsident konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Man hörte ihn angestrengt schnaufen, so sehr hatte ihn das Entsetzen getroffen.
„Komm schon, Haruto! Du hast genug gesehen …“, sagte Akira Mori leise und fasste seinen Freund an der Schulter.
„10 Millionen Tote! Oder noch mehr … in nur drei Tagen“, hörte der Außenminister den Präsidenten flüstern.
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