Impressum
© 2019 Begedia Verlag
© 2019 Frank Hebben
Umschlagbild und Innenillustration – Frank Hebben
Lektorat – Armin Rößler
E-Book-Erstellung – Hardy Kettlitz
ISBN – 978-3-95777-125-4 (EPUB)
ISBN – 978-3-95777-126-1 (Mobi)
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http://verlag.begedia.de
Meiner Frau gewidmet.
Just like a gothic girl
Lost in the darken world
My lil’ gothic girl
Darkerside jewel are your razor cuts for real, baby?
— The 69 Eyes
Everything in the world is about sex except sex:
Sex is about power.
— Oscar Wilde
The world is a vampire, sent to drain.
— The Smashing Pumpkins
Es brennt alsdann in mir eine wilde Begierde nach starken Gefühlen, nach Sensationen, eine Wut auf dies abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, irgend etwas kaputt zu schlagen, etwa ein Warenhaus oder eine Kathedrale oder mich selbst, verwegene Dummheiten zu begehen, ein paar verehrten Götzen die Perücken abzureißen, ein paar rebellische Schulbuben mit der ersehnten Fahrkarte nach Hamburg auszurüsten, ein kleines Mädchen zu verführen oder einigen Vertretern der bürgerlichen Weltordnung das Gesicht ins Genick zu drehen.
Denn dies haßte, verabscheute und verfluchte ich von allem doch am innigsten: diese Zufriedenheit, diese Gesundheit, Behaglichkeit, diesen gepflegten Optimismus des Bürgers, diese fette gedeihliche Zucht des Mittelmäßigen, Normalen, Durchschnittlichen.
— Hesse: Der Steppenwolf
EINS
Auf meinen Lippen trocknet dein Blut, ein leichtes Ziehen, fast angenehm. Ich trinke den letzten Schluck Wein.
Ach, Mädchen.
Dein Ecstasy rauscht immer noch in mir: Liebe und Glück, für eine Nacht, und schon vorbei, wenn der nächste Morgen graut … danach die Depression, der Durst, bis der nächste Abend kommt.
Am Fenster: rauchend; ich warte, drehe mich um und betrachte dich, deine Schultern, dein Kinn – diese Skulpturen in Rom, Venedig, Paris; das Elfenbein in Nairobi, Perlen in China. Der Mond und die Knochen, und das Meer raunt Worte ohne Sinn, ein:
Bla, bla, bla.
Unter der Laterne, verfroren im Regen, vor diesem Club in den Schatten, hab ich dich gefunden. Deine Haut so blass wie meine, und deine Haare zerzaust, halb vergraben im Kissen. Sie atmet noch. Möchtest du ewig leben? Kannst du das verkraften?
Nein. Ich trete ans Bett, lehne mich vor wie zum Kuss; lege einen Finger auf deine Stirn, kühl, kämme dir eine Strähne hinters Ohr. Deine Kerze ist abgebrannt, eine Stunde, eine Stunde für dich; die Flamme zwischen meinen Fingern. Vorbei.
+
Mann, wo steckst du? Johanns Stimme schlängelt sich durchs Handy, aalglatt und cool; auf Kokain. Wir warten auf dich …
Bin auf dem Weg. Halte das Ding ans andere Ohr, während ich aus dem Mantel eine der Kreditkarten zücke. Zimmer 361, für eine Nacht. Mir ist Rotwein auf den Teppich gekleckert. Ich schlafe aus.
Sehr gern, lächelt die Empfangsdame, und ich schaue ihr zu, wie sie meine Karte durchs Lesegerät zieht. Unterschreibe die Rechnung. Nehme die Quittung und verlasse das Hotel.
Eisig kalt, ein Winter ohne Schnee. Ein Trinkbecher weht über den Asphalt; denke an Filme in Schwarzweiß. Taxi!
+
Neon, verwaschene Punkte gleiten vorbei. Tropfen an der Windschutzscheibe. Ich sitze hinten, entspanne mich. Die Fahrt ist ruhig, im Radio eine kratzige Stimme, danach ein Geisterlied, dessen Titel ich nicht kenne.
Wer ist das?, frage ich.
Was?
Die Band.
Sagen die gleich noch. Der Taxifahrer dreht den Regler hoch.
Der Schemen einer Kirche. Halten Sie an.
Echo, sagt er.
Was? Ich steige aus, drücke ihm einen Zehner in die Hand.
Die Band.
Ich nicke ihm zu. Gute Fahrt.
+
Laut! Die künstlichen Endorphine kratzen mich auf. Licht, Schatten, Licht. Ein Bass geht mir durch Mark und Bein. Ich steige die Treppen zur Apsis hoch – das Kuppeldach mit Heiligenbildern, aber schnulzig wie die Achtziger. Johann winkt mir zu, ich erwidere sein Lächeln.
Marty, deine Pupillen, beginnt Ruth, als ich mich zu ihnen setze.
Grabkerzen auf dem Tischtuch; das Sakral ist voll von dem Zeug, eine umgebaute Kirche, deren Bänke sie rausgerissen haben. Unten der Altarraum, daneben die Tanzfläche mit den schwarzen Gestalten. Nebel wabert … Ich will brennen!
Bitte, nennt mich Martin. Das hasse ich, und das weißt du. Starre in ihren Ausschnitt; ein Samtkleid, das knapp ihren Arsch bedeckt. Und die Strapse, natürlich. Rotes Haar, gestern blond, keine einzige Sommersprosse. Sieht wie immer umwerfend aus.
Sie stellt unser Getränk vor mich hin und ruft: Neues Jahrtausend, neuer Name.
Was auch immer, Süße. Gegen ihr Lächeln bin ich immun. Na ja, fast. Übrigens ist 2018 …
Das große Millennium!
Ja, der große Wassermann, alle sind voll ausgerastet, damals. Und davor –
Na dann. Sie setzt mein Glas an die Lippen und trinkt: Bloody Mary, ein Gag, der sich Mitte der Neunziger verselbstständigt hat. Auch einen Schluck?
Danke, lehne ich ab.
+
Mann, was hast du genommen? Hast Augen wie … Löcher. Johann, schon ziemlich breit; sogar hier, im Halbdunkel, erkenne ich seine Pockennarben auf Wangen und Kinn. Er grinst.
Die Kleine hatte was eingeschmissen, erkläre ich, leere doch das Glas, schmeckt scheußlich. Eine Kellnerin kommt. Wodka pur, ohne Eis.
… die ganze Welt ist betäubt, philosophiert Ruth. Liebe, Glaube, Wein, alles der gleiche Scheiß. Und wieder die alte Leier, gleich fängt sie mit den Gefühlen im Bauch an. Wie oft habe ich das schon gehört?
Alles für eine warme Empfindung, die irgendwann geht. Sie greift nach ein paar Erdnüssen. Und dann, dann sind sie wieder auf der Suche nach dem nächsten Schuss Sinn.
Ich schaue sie an: Ihr Ohrring funkelt im Kerzenlicht. Tja, sage ich.
Auch Johann kippt seinen Drink: Whisky, der Bowmore von 1964 – scheiß Jahr. Da ist Sara gestorben, seine Frau. Sein Ritual. Tanzen, Freunde?
+
Wir drei auf der Tanzfläche, die alte Show. Ich lasse den Blick durch die Runde schweifen: junge Mädchen und Männer, die am Haken zappeln … Rüschen, Lack und Leder. Eine Eiskönigin. Eine Frau im Hochzeitskleid: weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie –
Scheiße!
Ruth, nah an meinem Mund. Der Song lässt die Gläser vibrieren. Mein Arm, meine Hand als Metronom im Takt der Musik. Was‽
Ich zeige auf einen Umriss: De Gruyter.
Okay, sagt sie, dicht an meinem Ohr. Sie tanzt. Sicher? Sah der nicht ganz anders aus?
+
Wir sitzen an der Theke, vorne geben sie diese Freigetränke aus: Erdbeerslush mit zu viel Eis. Was willst du hier?, frage ich.
Ein Bier, sagt De Gruyter.
Die Barfrau stellt das Glas hin.
Und?
Und was?, fragt er, nippt am Schaum. Das eisgraue Wolfshaar an den Schläfen, seine gelben Augen. Die Rolex. Er hat den Mantel abgelegt, neben sich auf dem Polsterstuhl.
Ich proste ihm zu. Bist also in der Stadt? Wieso?
Er kramt in seiner Tasche: Ich höre Patronen klimpern, glaube ich, oder Meißel – irgendwo die Haftcreme in der Tube für seine Kieferprothese, die er nachts in ein Glas legt. Seine Schuld. Und das Weihwasser als Spray. Man geht mit der Zeit. Er holt die Kippenschachtel raus, steckt sich eine an. Keine Bange, heute passiert euch nichts.
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