Ich mag diesen Stephan nicht. Unvermittelt erklang Gabis Stimme in Martins Kopf. Er macht mir Angst. Das buchstabiert man A-N-G-S-T.
Ich mag ihn auch nicht, sandte Martin zurück. Und Sandra geht es anscheinend ebenso. Ich denke nicht, dass sie auf sein Angebot eingeht.
»Also gut«, sagte Sandra in diesem Moment. »Ich bin einverstanden. Aber sobald du irgendwie auch nur ein Bisschen merkwürdig wirst, blase ich dir das Licht aus, verstanden?«
Kapitel IV - Mit Sack und Pack
Stephan hatte nicht zu viel versprochen. Der Vorratskeller des Restaurants glich einer Schatzkammer, nur dass diese nicht mit Gold und Edelsteinen gefüllt war, sondern mit allerlei Köstlichkeiten. Neben den verschiedensten Weinen fanden sich hier Käse, Mehl, haltbare Wurst und andere Dinge, die gut in einem Gewölbekeller gelagert werden konnten.
Die Gruppe hatte aus den Tischtüchern der Gaststube provisorische Tragen gefertigt, und transportierte die Beute nun zu Stephans Haus. Damit dieser ebenfalls bei der Schlepperei helfen konnte, hatte Gabi die Aufgabe übernommen, sein Fahrrad zu schieben.
»Kommt ihr aus Köln?«, wollte Stephan wissen, nachdem sie die Aachener Straße verlassen hatten.
»Und wenn es so wäre?« Sandra kniff die Augen zusammen.
»Dann habt ihr ganz schön Schwein gehabt, aus dem Schlamassel zu entkommen. Der Rauch der brennenden Stadt war gar nicht zu übersehen.«
»Mhm.«
»Ist es irgendwie ein Geheimnis, wo ihr her seid?«
»Dass vielleicht nicht, aber es spielt auch keine Rolle mehr. Oder siehst du das irgendwie anders?«
Stephan zuckte mit den Schultern. »Vermutlich hast du recht.«
»Bist du der einzige Immune in Königsdorf?«, beteiligte sich nun auch Martin an der Unterhaltung.
Sandra sah ihn mit einem schwer zu deutenden Blick an. »Wenn es andere gäbe, hätten sie sich vermutlich zusammengeschlossen. Das Kaff hier ist klein genug, damit man im Laufe der Wochen mitbekommt, was selbst am anderen Ende vor sich geht. Oder etwa nicht?«
Die letzte Frage war an Stephan gerichtet gewesen, woraufhin dieser erneut die Schultern zuckte.
»Kann schon sein. Aber ich wohne ein wenig außerhalb und wusste meine Ruhe bislang zu schätzen.«
»Ach ja?« Sandra hob eine Augenbraue. »Und warum hat sich das auf einmal geändert?«
»Weil mir vorhin mehr als deutlich klar geworden ist, dass ich es auf Dauer nicht alleine schaffen kann. Die Freaks sind einfach zu viele.«
»Und etwas anderes steckt nicht dahinter?«
»Was meinst du?«
»Nichts.« Sandra winkte ab. »Es ist schon gut.«
Martin war sich sicher, dass sie nicht die Wahrheit gesagt hatte. Irgendetwas stimmte mit diesem Stephan nicht, und Sandra spürte das offenbar ebenso wie er. Umso verwunderlicher war es, dass sie ihm trotzdem gestattet hatte, sich der Gruppe anzuschließen. Stephan wusste sich seiner Haut zu wehren, soviel war klar. Von daher konnte er eine wertvolle Bereicherung sein, sofern er aufgrund seiner Wunden nicht ebenfalls zu einem der Knirscher wurde und das Merkwürdige an ihm sich nicht sonst auf irgendeine Weise als Gefahr offenbarte. Sie würden es herausfinden, auf die eine oder andere Weise.
*
Frank hatte sich in den Schatten eines größeren Gebäudes zurückgezogen. Aus sicherer Entfernung beobachtete er die Gruppe um Sandra. Gabriel ließ sich im Moment nicht sehen, und Frank war das nur recht.
Zweimal hatte er versucht mit Hilfe seiner Armee zumindest einen Teilsieg zu erringen, und beide Mal war er gescheitert. Vor dem Supermarkt waren sie seinen Zombies einfach davongerannt, die sich im Licht der Sonne nicht schnell genug bewegen konnten. Da hatte auch die ganze Macht seines kalten Zorns nichts geholfen.
Beim Restaurant hatte er es für eine gute Idee gehalten, sich zuerst den fremden Einzelgänger vorzunehmen. Obwohl Sandra und dieser andere Kerl ein Tontaubenschießen auf seine Armee veranstaltet hatten, wäre ihm das auch beinahe gelungen. Und dann waren wieder die Köpfe seiner Soldaten geplatzt. Einfach so! Das waren bestimmt wieder diese verfluchten Kinder gewesen.
Ein unangenehmer Schauer rieselte durch seinen ansonsten gefühllosen Körper. Das würde Gabriel gar nicht gefallen. Der dunklen Mann mochte keine Fehler. Wäre Frank doch nur bei seiner ersten Einschätzung geblieben, dass er seine Soldaten würde nicht schnell genug zusammenziehen können.
Aber es war so verlockend gewesen! Nachdem Sandra einen Abstecher zur Autobahn gemacht hatte, hatte er tatsächlich geglaubt, die Zeit würde reichen. Und dann das!
Nun, Fehler waren dazu da, um aus ihnen zu lernen. Und sollte Gabriel ihn dafür bestrafen, so war das nicht zu ändern. Schon einmal hatte sich der »Große Meister« in der Wahl des Anführers für die Truppen der Finsternis geirrt, also war er auch nicht so perfekt, wie er gerne tat. Sollte er Frank ebenfalls schnell wieder aus seinen Diensten entlassen müssen, wäre das ein neuerliches Fehlereingeständnis.
Gut, das würde Frank nichts nützen, denn auf diese Weise würde er um seine Rache gebracht. Aber auch der dunkle Mann wusste, dass das Feuer der Vergeltung tief in ihm brannte und dass sich noch genug Gelegenheiten ergeben würden, diese zu vollenden. Also wäre es dumm von Gabriel, ihm nicht die Chance dafür zu geben.
Und dann war da noch dieser weiße Hund. Irgendetwas stimmte mit dem Vieh nicht. Für ein Tier – selbst für ein gut abgerichtetes – verhielt sich der Köter viel zu intelligent. Den würde er im Auge behalten müssen. So wie jetzt, wo der Hund der Gruppe in einigem Abstand folgte. Sandra und die anderen schienen nichts davon zu bemerken, aber Frank entging es nicht, und nur das zählte.
So schwer es ihm auch fallen mochte, er musste sich in Geduld üben. Vielleicht machte die Gruppe ja nun selbst einen Fehler und übernachtete in der trügerischen Sicherheit, die das Haus des Einzelgängers bot. Nachts waren seine Soldaten viel schneller als am Tag. Und bis Mitternacht sollte es ihm möglich sein, genug von ihnen zu rufen. Dieses Mal würde es kein Entkommen geben.
*
»Willkommen in meinem bescheidenen Heim.« Stephan öffnete das grün lackierte Gartentürchen und umfasste mit einer Geste den Garten mitsamt des schmucken Einfamilienhauses, das darin stand.
Alles machte einen sehr ordentlichen Eindruck. Der Garten war liebevoll gepflegt, das Haus besaß weiße Wände, sein Dach war mit roten Ziegeln gedeckt. Der Anblick wirkte unwirklich, fast wie ein Echo aus einer längst vergangenen Zeit, in der alles besser gewesen war.
»Netter Garten.« Martin feixte und bückte sich, um sich einen der zahlreichen Gartenzwerge näher anzusehen.
»Nicht anfassen!« Stephans Stimme klang wie der Knall einer Peitsche. Bedeutend leiser setzte er hinzu: »Sie mögen das nicht.«
Martin verkniff sich eine Antwort. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Sandra die Augen verdrehte. Dieser Stephan hatte offensichtlich gehörig einen an der Waffel. Aber wenn das Wohlbefinden der Gartenzwerge seine größte Sorge war, dann war er wohl wirklich als harmlos anzusehen. Ein Spinner zwar, aber keiner, der einem gefährlich wurde – zumindest solange man sich von den Bewohnern seines Gartens fernhielt.
»Schau mal, ein Gartenteich.« Begeistert zeigte Rosi auf die betreffende Stelle des Vorgartens. »Im Sommer baden bestimmt Vögel darin.«
Über Stephans Gesicht huschte ein versonnenes Lächeln. »Du bist ein kluges Kind. Wie heißt du denn?«
»Mein Name ist Rosi. Magst Du Vögel auch so sehr wie ich?«
»Ja, sehr sogar.« Stephan nickte. »Wenn du willst, zeige ich dir nachher noch mehr von meinem Garten. Möchtest du?«
»Dafür ist keine Zeit.« Sandra trat mit entschlossener Miene zwischen Stephan und das Mädchen. »Wir sollten zusehen, dass wir nach drinnen kommen und uns um das Zusammenstellen der Ausrüstung kümmern.«
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