Eine riesige Horde Zombies kam auf sie zu, nutzte sowohl den Gehweg als auch die Gleise der Brücke. Sie waren schnell. Ungewöhnlich schnell. Sie rannten zwar nicht, aber sie schlurften auch nicht so über die Brücke, wie es normale Zombies tun sollten. Die Horde wirkte eher wie eine Truppe von Soldaten auf dem Weg durch besetztes Gebiet. Langsam, unaufhaltsam und zu allem entschlossen. Und an ihrer Spitze marschierte sein spezieller Freund mit dem Hausmeisterhütchen. Noch waren sie erst am anderen Ende der Brücke. Auch Stark bemerkte endlich, was da hinter ihnen los war.
»Allmächtiger!«
»Keine Zeit für fromme Gebete. Laufen ist jetzt die bessere Alternative«, sagte Frank mit einem letzten Blick auf die Horde und trabte los. Keuchend kam er bei Sandra an.
»Ich habe noch deine Handgranaten«, brachte Frank atemlos hervor. Stark schloss schnaufend zu ihnen auf.
»Das wäre eine Möglichkeit«, sagte Sandra. »Aber wir riskieren damit, die Brücke so stark zu beschädigen, dass wir uns unseren einzigen Rückweg selber abschneiden.«
»Sie hat recht«, sagte Stark schwer atmend. Der Regen wurde allmählich stärker. Es blitzte. Ohne ein weiteres Wort ging Sandra zu einer Treppe, die von der Brücke hinunter führte. Frank und Stark folgten ihr. Donner rollte über die leere Stadt.
»Laufen oder Haken schlagen?«, fragte Frank, als sie unten angekommen waren. Er hatte keine Lust zu streiten und überließ Sandra die Führung. Sie sah die Uferstraße in Richtung Innenstadt entlang und deutete auf einen schmalen Weg mitten zwischen üppig wucherndem Grün.
»Da lang. Da können wir beides und sind erstmal außer Sicht.«
Die Drei liefen quer über die Uferstraße, wichen liegengebliebenen Fahrzeugen und anderem Müll aus. Dann erreichten sie den Weg. Ohne innezuhalten, lief Sandra weiter, hieb im Laufen herabhängende Äste und in den Weg gewucherte Büsche zur Seite. Frank riskierte einen Blick zurück. Die Armee der Untoten hatte die Brücke knapp zur Hälfte überquert. Immer noch haftete ihr eine Aura des Unausweichlichen an. Sie rannten nicht, sie torkelten nicht … sie marschierten einfach stumm weiter. Und es waren mehr als noch kurz zuvor. Es sah beinahe so aus, als würden alle rechtsrheinischen Zombies aus ihren Löchern kriechen, um sie zu jagen. Notfalls quer durch die Stadt, wo sie weitere Verstärkung erhalten würden. Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel, dem ein kräftiger Donner umgehend folgte. Frank wandte sich ab und lief Sandra und Pfarrer Stark hinterher.
Sie folgten dem Weg, der durch eine kleine Parkanlage führte. Dann kamen sie an einen Spielplatz. Sandra blieb stehen und sah sich um. Frank dankte ihr im Geiste und stützte sich schwer atmend mit den Händen auf den Knien ab. Auch Stark zeigte erste Probleme mit der Kondition. Sandra atmete nur etwas schneller, schien aber sonst noch fit zu sein. Sie waren alle nass bis auf die Knochen. Eine ganze Batterie von Blitzen zuckte über den tiefdunklen Himmel, einer heller als der andere, und der Donner rollte wie ein himmlisches Artilleriesperrfeuer in rascher Folge über sie hinweg.
»Wir müssen irgendwo Schutz suchen«, sagte sie zwischen zwei himmlischen Paukenschlägen. »Die Frage ist nur, wo.«
»Die Häuser dort?«, fragte Frank.
»Zu unsicher«, brummte Stark. »Wir wissen nicht, wer oder was da noch lebt.«
»Und die Straßen sind total zugeparkt und vermüllt«, sagte Sandra. »Wir haben also die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder weiter bei diesem Unwetter zwischen den Autos herumturnen, oder versuchen in einem Haus Schutz zu finden, ohne die Bewohner zu wecken.«
Frank richtete sich auf, fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht ... und wurde plötzlich zur Seite gerissen. Er roch Fäulnis und spürte kalte Klauen, die sich in sein Gesicht krallen wollten. Ein unbeherrschter Laut der kreatürlichen Angst raste haltlos seinen Hals hoch. Noch im Fallen versuchte er, sich aus dem Griff des Zombies zu winden.
»NEHMTESWEGVONMIRNEHMTESWEGNEHMTESWEG«
»Dreh dich um! Pack seinen Kopf!«
Sandra hatte gut reden! Das Ding, das da auf seiner linken Seite lag, drückte seinen rechten Arm auf den Boden.
»So helft mir doch! HELFT MIR!«
Etwas zerrte an dem Ding, das Gewicht auf Franks Seite wurde leichter. Er drehte sich auf den Rücken. Stark hatte den Zombie von ihm heruntergerissen, doch der Untote war wie ein tollwütiges Tier, dass nur noch ein Ziel kannte. Mit einer nahezu lässigen Bewegung warf er den schwer gepanzerten Pfarrer zur Seite und sprang erneut auf Frank zu, anstatt sich Stark zuzuwenden. Frank hob abwehrend die Hände, als der Schädel des Zombies in einer Wolke aus Haaren und Knochensplittern explodierte. Frank konnte gerade noch seine Füße wegziehen, als der leblose Körper des Zombies zu Boden fiel.
Frank blieb zitternd liegen. Langsam ließ er die Hände sinken und drehte den Kopf. Sandra stand mit gebeugten Knien hinter ihm, ihre rechte Schusshand mit ihrer Linken abstützend. Abwartend fixierte sie die Reste des Zombies.
»Musstest du unbedingt schießen, während das Ding auf mir rumhockte?«, fragte er mit zittriger Stimme.
Sandra entspannte sich.
»Steh auf, Frank. Alles in Ordnung, Vater?«
Stark schob sich seitlich in Franks Blickfeld.
»Ja. Bei Gott, das Ding war unglaublich stark!«
»Und wo eines ist, sind bestimmt noch mehr.« Sandra wandte sich von den beiden ab. »Die haben für uns die Wahl getroffen. Wir nehmen die Pest«, sagte sie und hielt auf die Straße zu. Stark griff nach Franks Hand und half ihm auf.
»Alles okay mein Freund?«
»Ja. Besser wir machen, dass wir hier wegkommen. Die Schnellen von der Brücke werden den Schuss gehört haben.«
Ein Blitz zuckte über den Himmel, gefolgt von einem Donnerschlag, der Frank bis ins Mark erschütterte. Stark bekreuzigte sich. Schweigend folgten die beiden ungleichen Männer Sandra, die fast schon hinter der nächsten Ecke verschwunden war, als plötzlich die Sirenen losheulten. Ihr an- und abschwellendes Heulen wurde immer wieder vom Donnern des Gewitters übertönt. Sandra blieb stehen und sah sich um. Frank und Pfarrer Stark schlossen schwer atmend zu ihr auf.
»Verdammt!«, rief Sandra. »Was soll das?«
»Wie jetzt weiter?«, keuchte Frank. Sandra drehte sich suchend einmal im Kreis. Sie standen kurz vor dem liebevoll Eierplätzchen genannten Kreisverkehr mit dem innen liegenden Parkplatz. Aus allen Richtungen sah sie Bewegungen. Die Reanimierten kamen aus ihren Löchern. Verständnislos blickten sie umher. Zum Glück hatten sie die Drei bisher noch nicht entdeckt.
»Jemand jagt uns«, stellte Sandra fest. »Wer immer es ist, er will, dass wir einen Spießrutenlauf mitmachen.«
Sie deutete die Straße hinunter, die sie gerade entlanggelaufen waren. Ganz am Ende kamen schon die Ersten der Horde, die sie über die Südbrücke verfolgt hatten. Sie blickte noch einmal die vor ihnen liegende Straße entlang. Autos, Müll, Hauseingänge … ihr kam eine Idee.
»Richtung Rheinufer! Los!«
Frank sah sie erschrocken an. Die Zombies, die im Rhein schwammen, kamen ihm in den Sinn.
»Was?«
»Na los!«
Sandra wandte sich ab und legte ein schnelles Dauerlauftempo vor. Frank sah Stark ratlos an.
»Vertraue ihr bitte, Frank. Sie ist eine Kämpferin und weiß, was sie tut.«
»Na hoffentlich«, brummte Frank und lief Sandra hinterher. Pfarrer Stark sah noch einmal die Straße entlang, über die die Zombies ihnen folgten. Er sah durch den nassen Vorhang des Regens den typischen Hut und den grauen Kittel eines Hausmeisters. Aus den Hauseingängen torkelten weitere Untote, schlossen sich dem schweigenden Zug ihrer Verfolger an.
»Selbst im Tod noch zerfressen von dieser unbändigen Wut. Tomasz Adamcyk, ich bete für deine Seele und werde deine Tochter vor dir und deiner unseligen Wut schützen, die dir selbst im Tod keinen Frieden lässt. Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tue. Amen.«
Читать дальше