Am Ende der Straße wagten beide eine kurze Verschnaufpause. Der Hausmeister und seine Kumpane waren immer noch hinter ihnen her. Aber der Abstand schien gleich geblieben zu sein. Die Hindernisse auf den Straßen machten auch ihnen zu schaffen.
»Weiter«, ächzte Frank.
Sandra nickte nur und deutete nach rechts. Frank lief los. Aus dem Augenwinkel sah er ein Straßenschild.
Tempelstraße.
Für eine Sekunde schoss ihm durch den Kopf, dass hier noch vor ein paar Monaten zu Karneval der Veedelszoch durchgegangen war, dass hier lachende und feiernde Menschen am Straßenrand gestanden hatten ... Die ersten Anzeichen von heftigen Seitenstichen holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Sie hielten die ungefähre Richtung zur Hohenzollernbrücke ein, die er gestern Nacht für ihren Weg über den Rhein ausgesucht hatte. Sie passierten einen Kipplaster, der mit orangefarbenen Beuteln bis oben hin gefüllt war.
Die Beutel zuckten und bewegten sich.
Besser nicht darüber nachdenken, nicht darauf achten, einfach nur die Beine in Bewegung halten, die Luft gleichmäßig in die Lungen saugen und wieder ausstoßen. Die Augen dabei fest auf den Weg gerichtet halten, um alle Hindernisse frühzeitig zu erkennen.
Frank blickte im Laufen über die Schulter zurück.
Die Zombies waren immer noch knapp hundert Meter hinter ihnen, aber wo war Sandra? Frank blieb stehen, drehte sich um, und dann sah er, wie sie um die Ecke der Seitenstraße verschwand, die sie gerade passiert hatten, während er weiter mitten auf der Fahrbahn geradeaus gelaufen war. Frank verkniff sich einen Fluch und rannte weiter. Wollte sie sich von ihm trennen, um ihre Verfolger zu verwirren, oder glaubte sie, alleine eine größere Chance zu haben?
An der nächsten Kreuzung hielt Frank sich ebenfalls links, bog in die schmale Seitenstraße ein, deren Häuser seinen Weg so klaustrophobisch eng erscheinen ließen. Was in seinem alten Leben noch irgendwie beschaulich gewirkt hatte, wurde plötzlich zu einem tödlich engen Pass, den er durchqueren musste. Aus jedem dunklen Hauseingang konnte ihn eins von diesen Dingern anspringen. Kurz bevor er die Ecke passierte, wagte er noch einen Blick zurück. Wurden die Zombies langsamer? Tatsächlich. Hausmeister Krause blieb sogar stehen. Frank gönnte sich einen weiteren keuchenden Atemzug und grinste. Denen ging wohl auch die Puste aus. Plötzlich bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Gestalt am Ende der Straße.
Sandra!
Sie winkte ihm zu, er solle kommen. Dann deutete sie nach rechts. Er verstand. Sandra war durch eine Gasse auf die Siegburger Straße gelaufen, die hier parallel zum Rheinufer verlief. Von dort aus mussten sie sich rechts halten, wenn sie zur Hohenzollernbrücke gelangen wollten. Also hatte sie tatsächlich versucht ihre Verfolger zu verwirren, oder zumindest aufzuteilen.
Er wollte gerade loslaufen, als hinter ihm ein grässliches Geräusch ertönte.
*
Frank blieb stehen. Sein Blick glitt die Straße zurück, die er eben entlanggelaufen war. Hausmeister Krause stand dort, die Hände zu Fäusten geballt.
Der Zombie stöhnte, lauter als ein gewöhnliches Exemplar und schüttelte seine Fäuste in Richtung Frank. Das Stöhnen, das eher nach einem unartikulierten Wutschrei klang, verebbte und die Fäuste sanken nach unten. Nach einem letzten Zähnefletschen und einem hasserfüllt wirkenden Blick, wandte sich der Zombie seinen Artgenossen zu, die ihn gerade erreichten.
Frank erschauerte.
Der Zombie in dem blaugrauen Hausmeisterkittel griff sich den Erstbesten seiner Artgenossen und schlug seine Zähne in dessen Hals? Die anderen bremsten ihren Lauf ab und blieben in respektvollem Abstand stehen.
Frank schluckte trocken.
Die Zombies fielen sich plötzlich auch untereinander an? War es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sie sich alle gegenseitig auffressen würden?
Frank beschloss seine Entdeckung, diesen winzigen Hoffnungsschimmer, vorerst für sich zu behalten. Wenn das da drüben nur eine einmalige Aktion gewesen war, er und Sandra sich aber in Zukunft darauf verlassen würden, wäre das Erwachen vielleicht mehr als böse. Hoffnung war in einer Welt, die von Gott verlassen war, eine gefährliche und trügerische Sache.
Nach einem letzten, zweifelnden Blick wandte er sich ab und lief los.
Kapitel VI - Der gute Hirte
Frank lief weiter, der Siegburger Straße entgegen, der Rheinpromenade der schäl Sick von Köln. Sie schien seltsam frei von verwaisten Autos und Müll. Dabei war dies doch eine der Hauptverkehrsstraßen Kölns gewesen! Die Deutzer Brücke sah auch verdächtig leer aus, soweit er sie schon sehen konnte. Er bog um die Ecke. Sandra stand starr vor einem Kiosk. Neben dem Bordstein parkte ein langer Golfcaddy mit Solarzellen auf dem Dach. Frank erkannte das Fahrzeug. Es hatte hinten Platz für maximal vier Fahrgäste und wurde früher oft für Stadtrundfahrten genutzt. Ein Knirschen und Fluchen drang aus dem Kiosk. Frank erreichte Sandra, blickte auf alles gewappnet in den kleinen Laden hinein … und hob überrascht die Augenbrauen.
In dem kleinen Laden stand ein weißhaariger Hüne, der in eine Stadtkampfausrüstung der Einsatzkräfte gekleidet war und die Regale mit dem Schnaps durchwühlte. Der kugelsichere Schutzpanzer der Ausrüstung hing wie eine Schürze über den Schultern des Riesen, und reichte vorne bis zu seinen Knien. In der linken Hand hielt er einen fast mannshohen Plexiglasschild, an seinem Gürtel baumelte ein … Morgenstern? Frank sah genauer hin.
Tatsächlich.
Der Hüne hatte einen Schlagstock mit einer Kette, an der eine kleine Eisenkugel hing, aufgerüstet. Er ging hinter die Theke und grummelte mit sonorer Stimme vor sich hin.
»Herr im Himmel! Wo haben die denn das wirklich gute Zeug versteckt?«
Frank sah Sandra verständnislos an.
»Ich habe seinen Wagen gesehen. Deswegen bin ich nach links abgebogen. Ich dachte, du hättest es auch bemerkt.«
»Nein. Habe ich nicht.«
»Wo sind die Zombies?«
»Sie haben aufgegeben. Hoffe ich zumindest. Wir sollten so schnell wie möglich verschwinden!«
»HA!«, drang es aus dem Kiosk. Der Gepanzerte drehte sich um, stieg über das Chaos am Boden hinweg und hielt dabei eine Flasche teuren, irischen Whiskey triumphierend in der freien Hand. Erst jetzt schien er seine beiden Beobachter zu bemerken.
»Ah, zwei verlorene Schafe?« Er wedelte mit der Hand ein flüchtiges Kreuzzeichen in die Luft. »Gott segne und beschütze euch auf all euren Wegen. Amen.«
Dann drängelte er sich zwischen Frank und Sandra hindurch und ging zu seinem Wagen. Sie sahen ihm verblüfft nach.
Als der Mann das Schild auf die Passagiersitze gelegt und sich in dem engen Sitz sortiert hatte, öffnete er die Flasche. Er nahm einen tiefen Zug. Schmatzend genoss er seinen Drink.
»So liebe ich es. Nicht zu hart im ersten Eindruck, mit einem weichen Abgang. Lässt das Feuer draußen, aber die Wärme drin.« Der Mann drehte den Kopf und sah die beiden an.
»Ist noch was?«
»Es ist möglich, dass hier gleich eine ganze Horde von Zombies ankommt. Und sie sind verdammt schnell!«, sagte Frank. Der Mann drehte sich um und versuchte über den Nackenschutz seiner Rüstung hinweg hinter sich zu blicken.
»Ich sehe aber keine von diesen armen Kreaturen.«
Frank griff nach Sandras Hand.
»Komm. Wir gehen besser.«
Sandra holte Luft, wollte etwas sagen, doch der Hüne kam ihr zuvor.
*
»Wartet!«, sagte er. Ächzend stieg der Mann aus dem Caddy. »Wo wollt ihr hin? Vielleicht kann ich euch in meinem Gefährt ja ein Stück mitnehmen?«
Sandra sah sich nervös um. Das alles dauerte schon viel zu lange. Wenn diese Dinger weiterhin so schnell waren wie eben, standen sie hier wie auf dem Präsentierteller. Frank bemerkte Sandras Unruhe.
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