Jutta Dethlefsenwurde 1946 in Pinneberg/ Schleswig-Holstein geboren und lebt seit 1988 in Flensburg. Ihre Tochter Xenia ist das Wichtigste in ihrem Leben. Dann folgen Schwiegersohn Holger, der Rest der Familie und Kätzchen Paula.
Ihre große Liebe zum Schreiben entdeckte sie schon als Kind bei den ersten Schreib- und Leseversuchen.
Spannende Eindrücke ihrer zahlreichen Auslandsreisen lässt sie gerne in ihre Geschichten einfließen.
Sie bedient die unterschiedlichsten Genres für ihre spannenden Kurzgeschichten.
Die Leidenschaft für die Literatur sei ihr angeboren, glaubt sie.
Weitere Hobbys sind das Entwerfen und Fertigen von Bekleidung und das Aufarbeiten von Antiquitäten.
Sie beginnt gerade ihren ersten Roman zu schreiben.
Jutta Dethlefsen
DELIKATESSEN
FÜR DIE SINNE
Band 1
Kurzgeschichten
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei Jutta Dethlefsen
Coverfoto »Violinista di spalle con guanti rossi«
© lapas77 (Fotolia)
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Für meine Tochter Xenia
Cover
Titel Jutta Dethlefsen DELIKATESSEN FÜR DIE SINNE Band 1 Kurzgeschichten Engelsdorfer Verlag Leipzig 2016
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte bei Jutta Dethlefsen Coverfoto »Violinista di spalle con guanti rossi« © lapas77 (Fotolia) Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Die Kette der Schuld
Boxershorts
Nur ein Foto
Ebbe und Flut
Das kleine Haus
Eine Glasflasche
Fahrendes Volk
Blumenkinder
Sorglos
Wie Sterne
Schwestern
Die Vergangenheit
Fragmente einer Kindheit
Nur eine Affäre
Zuckerbrot
Visionen der Angst
Mein Baum
Abschied
Ein guter Geist
Der Kuss
Der Geschenkkorb
Die Entscheidung
Die Fremde
Die grüne Hibiskusblüte
Ein Neuanfang
Die andere Haut
Die Geliebte
Klara hob den Kopf.
Durch das kleine, hoch angebrachte Fenster konnte sie eilig vorüberziehende, graue Wolkenfetzen erkennen.
Eine selten erlebte Ruhe überkam sie. Die lähmende, alles verschlingende Angst war verschwunden. Ihre Gesichtszüge entspannten sich.
Ihre Hand, die eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob, hielt zögernd inne. Die schweren, blonden Haare waren nun kurz geschnitten. Suchend tastete sie im Nacken nach dem Haarband. Dort, wo das Band den Zopf zusammengehalten hatte, verkrampften sich ihre Finger.
»Das Band zu ihm wird niemand jemals völlig abschneiden oder durchtrennen können«, dachte sie mit Genugtuung.
Trotz der schuldbeladenen Vergangenheit hatte sie sich für das Leben entschieden. Sie legte sich auf das fremde Bett, das ihr seit Wochen oder Monaten als Schlafstatt diente. Noch einmal ließ sie den Blick durch das Zimmer schweifen, dann senkte sie die Augenlider und atmete hörbar ein und aus. Gedankenfetzen, Wolken gleich, zogen eilig vorüber. Müdigkeit überkam sie.
Nach Monaten verspürte sie ein zaghaftes Glücksgefühl. »Nur in der Erinnerung liegt das wahre Erleben, denn die ist nicht zeitlich begrenzt, wie das reale Geschehen«, flüsterte sie in die Stille. Dann tauchte sie in die Traumwelt ein, um dort alles noch einmal zu erfahren.
Die kleine Klara schaute sich ängstlich um. Bestimmt würden ihr die beiden großen Jungen wieder auflauern, um sie dann mit harten Schneebällen zu bewerfen, um sie auszulachen, wenn sie sich davor zu ducken versuchte und hastig davonlief. Gestern hatte der eine von ihnen, der größere den sie Kalle nannten, versucht, sie umzustoßen. Dabei hatte er kräftig an ihren Zöpfen gezogen. Ihre Schultasche war zu Boden gefallen, die Verschlüsse aufgesprungen. Johlend hatten die beiden Jungen Hefte und Bücher im Schnee verstreut. Beim Einsammeln konnte Klara vor Tränen kaum noch etwas erkennen.
Bis zum ersten Winter nach der Einschulung war sie gerne in die Schule gegangen, dann hatten die beiden Jungen begonnen, sie zu quälen. Sie wurden immer bösartiger, hatten gedroht, ihr die Gurgel durchzuschneiden, falls sie petzen sollte. Der kleinere der beiden führte dabei demonstrativ die flache Hand an seinem Hals entlang.
Bis zum nächsten Tag forderten sie die Herausgabe von Klaras Weihnachtsgeschenk. Den lange ersehnten Puppenwagen, für dessen Anschaffung Mutter zusätzliche Klavierstunden gegeben hatte, sollte sie hergeben. Die Tränen waren über Gesicht und Hals hinunter in den kratzigen Winterpullover gelaufen.
Sie beschleunigte ihre Schritte, gleich war sie zu Hause, gleich war sie in Sicherheit, jedenfalls für heute.
Daheim war niemand. Ein Zettel lag auf dem Küchentisch: »Krümel, ich bin gleich zurück.« Nur Christopher, ihr drei Jahre älterer Bruder, nannte sie so. Er hatte versprochen, ihr irgendwann zu verraten warum. Sie hatte es nie erfahren. Es klang so liebevoll und zärtlich, wenn Christopher Krümel zu ihr sagte. Dann fühlte sie sich geliebt und geborgen.
Mit dem Pulloverärmel fuhr Klara sich über das Gesicht. Sie ging zu ihrem Puppenwagen, nahm Puppe und Kissen heraus und zog den leeren Wagen auf den Hof unter den Dachüberstand. Da kam ihr Bruder auf seinem alten Fahrrad mit beängstigend quietschenden Bremsen um die Hofecke gefahren. Achtlos warf er das Rad gegen die Hauswand, stopfte seine Hände in die Hosentaschen und schlenderte mit besorgtem Blick auf Klara zu.
»Krümel, was machst du da? Warum stellst du den Puppenwagen auf den Hof? Es wird gleich schneien.« Er fasste Klara bei den Schultern und schaute sie fragend an.
Klara schluckte hilflos. Sie musste schon wieder heulen.
Christopher ertrug es nicht, seine kleine Schwester weinen zu sehen. Als er selbst erst vier Jahre alt war, hatte ihr Babyweinen ihn schon traurig gestimmt.
Immer und immer wieder hatte er sie dann gestreichelt und zärtlich auf sie eingeredet. In einer Nacht wurde er von der Mutter auf dem dunklen Flur gefunden, auf dem Fußboden schlafend, den Oberkörper gegen die Wand gelehnt. Klara selig schlummernd in seinem Arm.
»Komm Krümel, wir bringen den Puppenwagen ins Haus zurück. Deine Puppe Ulrike wird ganz traurig sein, wo soll sie denn schlafen?«, fragte Christopher. Klara schmiegte sich fest an ihren Bruder. Sie war so verzweifelt! Sie durfte ja nichts verraten. Die Angst schüttelte ihren schmächtigen Körper so sehr, dass ihr Bruder sie in den Armen zu wiegen begann wie damals, als sie noch ein Baby war..
Dann fasste er nach Klaras Hand. Mit der anderen zog er den Puppenwagen ins Haus.
Sie gingen in die Küche, Klara setzte sich an den Tisch. Christopher wärmte die Suppe auf, die Mutter für sie vorbereitet hatte. Wochentags gab es immer Suppe oder einen anderen Eintopf. Mit dem Aufwärmen kam Christopher gut zurecht und diese Mahlzeiten streckten das karge Haushaltsbudget. Die alleinerziehende Mutter hatte mit erstaunlicher Fantasie Suppenrezepte entwickelt. Es schmeckte den beiden köstlich und immer ein bisschen anders.
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