„Hier lang!“, dirigiert Eva und ich versinke knietief im Matsch am Ufer eines etwa zwei Meter breiten Baches, der flach genug zu sein scheint, dass man ihn durchwaten kann, wenn man sich nur nicht so blöd anstellt wie ich.
„Vorsicht!“ Sie reißt mich am anderen Ufer zur Seite. Ich verrenke meinen Hals und starre direkt in Kaas sich spiralförmig drehende Pupillen.
Soll ich mir Sorgen machen, weil wir in Mittelamerika einer Cartoonschlange begegnen? Soll ich mir Sorgen machen, weil wir auf einmal Tausende von Kilometern von unserem Ausgangspunkt entfernt sind? NEIN! Zugegeben: So was passiert auch mir nicht alle Tage, aber wenn, dann bin ich jemand der zupackt und keine Fragen stellt.
Währenddessen singt der mittlerweile zu einem gewaltigen Männerchor angewachsene Gesangsverein in meinem Ohr: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“
„Dort ist es“, sagt Eva und kriecht unter einer massiven, mit seltsamen Zeichen verzierten Steinplatte in eine dreieckige Öffnung, die in der Höhe knapp einen Meter misst. Links ist der obere Teil einer Säule zu sehen, von der diese Steinplatte abgestützt wird. Irgendwann einmal muss es weiter rechts ein Gegenstück dazu gegeben haben, das einst den Torsturz in der Waagerechten hielt. Doch diese Säule ist verschwunden, irgendwann umgestürzt, ihre Trümmer wurden überwuchert und vom Dschungel verschlungen. Der von ihr bis zu ihrer Zerstörung getragene steinerne Torsturz hat sich deshalb schräg in den schlammigen Dschungelboden gebohrt. Die noch sichtbaren Reste dieses Eingangs sind dermaßen wuchtig, dass er, wie ich mir vorstelle, seinerzeit groß genug gewesen sein muss, um einem Saurier hindurch zu lassen, falls es damals noch Dinos gab.
Ich folge Eva durch die dreieckige Öffnung und gelange ins Innere einer Tempelanlage.
Als ich zurückblicke, sehe ich, wie es draußen schlagartig dunkel wird. „Erstaunlich, wie schnell in den Tropen die Nacht hereinbricht“, sagt sie und greift nach meiner Hand. „Komm!“
Woher sie auf einmal die Fackel hat, weiß ich nicht mehr. Es gibt aber ohnehin nur einen Weg. Vorwärts. Die Wände des Gangs, der rasch so groß wird, dass wir nicht mehr zu kriechen brauchen, sind über und über mit Bildern und Bilderschriften verziert.
„Mayas“, kommentiert Eva knapp und unterbricht damit für eine wohltuende Sekunde: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“
Wir kommen in einen kreisrunden Raum, dessen Decke mit der ausgestreckten Hand nicht mehr zu erreichen ist. In der Mitte der Decke haben die Erbauer der Anlage eine ebenfalls runde Öffnung mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern gelassen, durch die die Sterne des nächtlichen Himmels blinken. Unterhalb des Deckenfensters zur Nacht steht ein schlichter Steinkubus von vielleicht einem Meter Kantenlänge.
„Ein Altar“, sage ich, um Eva zuvorzukommen. Sie nickt und hebt den Deckel von der Schale, die in der Mitte auf dem Kubus steht. Im Sternenlicht sehen wir kleine blaue Perlen schimmern, mit denen die Schale bis fast zum Rand gefüllt ist. Ich erkenne, dass sich der Altar nicht exakt im Zentrum unterhalb der kreisförmigen Öffnung in der Kuppel befindet. Diesen Platz nimmt eine flache, kaum einen Fußbreit aus dem Boden ragende, an allen Ecken und Kanten abgerundete Lagerstätte ein, quadratisch und in der Fläche doppelt so groß wie der Altar.
„Irgendwie sieht das Ding aus wie ein Futon“, sage ich, während ich darauf Platz nehme. Die flache Erhebung lädt – obwohl aus Stein – zum Lümmeln ein.
Eva hockt sich mir gegenüber. Sie öffnet mit den Fingern zart meine Lippen und legt eine der Perlen auf meine Zungenspitze. Dann streckt sie mir ihre Zunge entgegen, auf der ebenfalls so ein rundes Ding ruht. Wie mechanisch und ohne dass ich von diesem eigentlich höchst prickelnden Vorgang das Geringste mitbekommen hätte, haben wir uns in einem Affentempo ausgezogen und sind jetzt splitterfasernackt. Ich spüre, dass meine Göttin nicht viel Zeit mit Vorspielen vertrödeln will. Nachträglich finde ich es ungemein schade, dass ich mich partout nicht mehr daran erinnern kann, wie ich Eva die Kleider vom Leib gerissen habe, aber manche Schlüsselmomente versacken im Nebel des Vergessens.
Jetzt dringe ich jedenfalls genau in dem Moment in sie ein, in dem sie mir ihre Zunge samt Perle in den Mund stößt. Wir schlucken beide die kleinen runden Kapseln und unsere Körper bewegen sich im Rhythmus unserer Lust.
Keinen Wimpernschlag später heben wir ab. Wir lassen die Atmosphäre unseres blauen Planeten hinter uns. Wir rasen in einem aberwitzigen Tempo an Mond, Mars und Asteroidengürtel vorbei.
„Bei Jupiter“, stöhne ich, „die Ringe des Saturn!“ und schon taumeln Neptun und der einsam-traurig-degradierte Pluto von uns fort. Die Sonne ist jetzt so winzig, dass ich Mühe habe, sie zu erkennen. Sirius kommt und geht. Wir sehen brennende Schiffe an der Schulter des Orion. Und schließlich wächst uns nach dem Pferdekopfnebel der spektakulärste Ort der ganzen Galaxis entgegen, wird immer größer, immer farbenprächtiger, immer atemberaubender.
Ich kann unmöglich erklären, wie zwei durch die Milchstraße rasende, im Liebestaumel ineinander verschlungene, nackte Körper atmen und zudem nicht augenblicklich zu schockgefrosteten Materieklumpen erstarren können. Muss aber auch gestehen, dass mir dieser Gedanke erst nachträglich in den Sinn kommt. Während unserer überlichtschnellen Schussfahrt durchs Universum sind wir voll und ganz und ausschließlich mit zwei Dingen beschäftigt: bumsen und staunen.
„Lor Els Auge“, flüstert Eva in mein Ohr. „Der jährliche Austragungsort der galaktischen Meisterschaft der besten Space-Surfer von hier bis Andromeda.“
Wir nähern uns der zentralen Raumstation, um die herum, an der vorbei und von der ausgehend die einzelnen Disziplinen ausgetragen werden.
Jetzt ficken wir nicht mehr.
Stattdessen ist der aus der Schwärze geborene Raum vor dieser grandiosen Kulisse mit aggressiven Hiphop-Beats erfüllt und der Männerchor von Wanne-Eickel rapt:
„Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“
Die Station wird langsam größer und dreht sich aus unserer Perspektive zur Seite weg, sodass wir ungehindert auf das größte Naturwunder der Milchstraße glotzen können. Die farbigen Gasnebel erstrahlen in gelben, roten und leuchtend-blauen Farbtönen und sehen wie ein riesiges, Lichtjahre durchmessendes, weit aufgerissenes Auge aus, das gottgleich alles im Kosmos überblickt und unter Beobachtung hält. Selbst die kleinste Kleinigkeit, etwa das Verwehen mikroskopisch kleinsten Blütenstaubs auf einer Wiese am Ufer der Regnitz entgeht diesem allumfassenden Blick nicht.
„Die NSA ist sicher neidisch auf Lor Els Auge“, sage ich und verfalle angesichts der überwältigen Pracht dieses Gebildes in ein andächtig gedämpftes Flüstern. Mir wird, kaum habe ich diese Banalität von mir gegeben, trotz meines gedämpften Tonfalls übel, da ich fürchte, mit meinen Worten den Zauber jäh zu zerstören, der zwischen Eva und mir entstanden ist und der von der gewaltigen Pracht, die das Universum vor uns entfaltet, auf so unbeschreibliche Weise gespiegelt wird.
Gibt es Größeres als Sex in der freien Natur? Ja!
Sex im All und zwar dort, wo der Kosmos am schönsten ist!
„Das schwarze Loch in seinem Zentrum soll das stärkste in der ganzen Galaxis sein“, erwidert Eva in normaler, unbeeindruckt klingender Lautstärke. Ich bin enttäuscht und erleichtert zugleich. Mein mir selbst so unpassend erschienener Kommentar löst zwar keine Abwehr bei ihr aus. Andererseits hat sich auch in ihr eine eher nüchterne Stimmung breit gemacht. „Es erzeugt die besten Gravitationswellen, die man sich als Space-Surfer wünschen kann“, fügt sie hinzu, bevor sie meine Aufmerksamkeit auf ein im wahrsten Sinne des Wortes buntes Treiben an der Station lenkt.
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