»Du bist scheinbar erzürnt, weil das kleine Mädchen, das Du als Madonna verehrt hast, eine höchst gewöhnliche kleine Katze ist. Daß Du diese Deine Enttäuschung so ungerecht in einen Groll gegen mich verwandelst, ist nun sehr töricht. Schließlich war es ihre Sache und Angelegenheit des Gewissens, ob sie Dir treu war oder nicht. Du warst mit ihr nicht verlobt, so war zwischen ihr und mir keine Schranke. Ich möchte nicht durch diesen Brief den Anschein erwecken, als legte ich der Episode irgendwelche tiefere Bedeutung bei. Für mich war das kleine Mädchen (ich habe sogar ihren Namen vergessen!) eine amüsante Nichtigkeit. Auch für Dich hoffe ich, daß Du so reif werden mögest, daß Du eines Tages über die ganze Angelegenheit so herzlich lachen kannst wie ich.« 147
Donndorf beschimpfte Schirach daraufhin als »Judenjüngling«, dieser wiederum forderte im Gegenzug für diese Beleidigung Genugtuung durch ein Pistolenduell mit dreimaligem Kugelwechsel, das aber zwischen Parteiangehörigen verboten war. Donndorf revanchierte sich mit einem Parteigerichtsverfahren, bei dem ein weiterer alter Bekannter aus Weimar, Hans Severus Ziegler, Stellvertretender Gauleiter in Thüringen aus dem Weimarer Netzwerk, gegen Schirach aussagte. Die Beziehung zwischen den beiden war aufgrund »mancherlei Motive«, die nicht näher ausgeführt wurden, getrübt, sodass Ziegler Schirach schließlich vorwarf, seine Machtstellung in der Partei in »abwegiger Weise« zu missbrauchen. 148Letztlich musste Schirach, der gegen Donndorf noch eine »Verrufserklärung« angestrengt hatte, auf einen Vergleich eingehen, da er überdies in Parteikreisen der Feigheit beschuldigt wurde, nachdem er sich bei einer von angeblich kommunistischen Jugendlichen gestürmten Versammlung an der Universität Jena in ein Hinterzimmer geflüchtet hatte.
In der Retrospektive lassen sich alle diese Vorhaltungen und Gerüchte nicht mehr verifizieren, aber in der Dichte zeigen sie doch, dass Schirach in dieser Frühphase seiner Karriere ein selbstbewusstes und auch herrisches Auftreten hatte und einen aufwendigen Lebensstil führte – und das, obwohl er, wie er selbst 1931 in seinem SA-Führerfragebogen angab, auf »Aufwandsentschädigungen« der SA bzw. NSDAP angewiesen war. Bereits damals fuhr er immerhin einen Mercedes-Benz 8/38 – unklar ist aber, ob die viertürige Limousine oder das fünfsitzige Spezial-Cabriolet.
Das palastartige Wohnhaus des Malers Franz von Defregger in der Münchner Königinstraße 31: Die Schirachs wohnten hier ab 1932 im Parterre.
In seiner Münchner Studentenzeit wohnte Baldur von Schirach, wie erwähnt, in einer Dreizimmerwohnung bei Hugo Bruckmann, der auch Major der Reserve war, in der Leopoldstraße 10 149, 1932 war er dann in der Königinstraße 31 gemeldet. 150Schirach logierte hier im Parterre des palaisartigen Wohnhauses des erfolgreichen Osttiroler Genre- und Historienmalers Franz Defregger, das der Architekt des Neuen Rathauses in München, Georg Hauberrisser, geplant hatte. Im ersten Stock hatte der Maler Carl Theodor von Piloty eine opulente Wohnung mit kleinformatigen Repliken seiner großen Museumsgemälde – wie etwa des berühmten »Seni vor der Leiche Wallensteins« –, die auch Adolf Hitler in Schirachs Wohnung bewunderte, in der sich ebenfalls Piloty-Kopien befanden. Schließlich erwarb auch der »Führer« selbst eine dieser Repliken. 151
Der Kämpfer und das Opfer
Gerne inszenierte sich Baldur von Schirach auch in der Rolle des verfolgten Nationalsozialisten. So nützte er seine Verhaftung bei einer Auseinandersetzung nach einer Anti-Versailles-Kundgebung an der Universität Köln, um sich als Opfer der Weimarer Republik zu stilisieren. Er sei nur deshalb verurteilt worden, weil er gegen Frankreich (d. h. gegen den Friedensvertrag von Versailles, Anm. d. Verf.) gekämpft hätte. Geschickt nützte er den Auftritt vor Gericht – der Staatsanwalt hatte vier Monate Gefängnis gefordert – zu einer Anklage gegen die Republik: »Es steht in ihrer Macht, mich vier Monate festzuhalten und einzusperren, das wird aber an meinem Kampf, der gleichzeitig der Kampf des jungen Deutschlands ist, nichts ändern können. Nach Ablauf dieser vier Monate werde ich von Neuem den Kampf gegen Versailles auf die Fahnen der deutschen Hochschulbewegung schreiben, und Nichts wird mich daran hindern können.« 152Nach acht Tagen in Einzelhaft erhielt Schirach eine dreimonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung. Auch ein Jahr später, am 13. April 1932, berichtete noch das Tagblatt in Linz von diesem Prozess im Juli 1931, um zu zeigen, wie die SA Richter unter Druck setzen konnten. 1931 waren nach einer Enthüllung der Rheinischen Zeitung in Köln per Standartenbefehl sämtliche verfügbaren SA-Männer in Zivil zum Gericht als Zuhörer und zur Demonstration von Macht bestellt worden.
Hier zeigte Schirach – wie viele andere junge Männer seiner Generation, die nicht im Ersten Weltkrieg gedient, aber die Propaganda darüber bereits wahrgenommen hatten – ein typisches Verhaltensmuster: Sie suchten ständig den Kampf – hier konkret den »Kampf gegen Frankreich«. Dies ging bei Baldur von Schirach so weit, dass er selbst gegenüber dem Hamburger Gauleiter und ehemaligen Frontsoldaten Albert Krebs, als ihm dieser einen Fehler in der Kriegsdarstellung aus dem Ersten Weltkrieg nachwies, auf die Schulter klopfte und selbstbewusst meinte: »Glauben Sie mir nur, lieber Doktor Krebs! Das ist doch so gewesen, wie ich es sagte!« 153Krebs nannte Schirach 1959 in seinem Buch über die Frühzeit der NSDAP einen zu jungen »überzüchteten Intellektuellen und Ästheten« 154, der sich damals innerhalb der NSDAP noch nicht wirklich ideologisch festgelegt hatte.
Sinnbildlich für die permanente Sehnsucht, den Ersten Weltkrieg zu wiederholen und selbst erleben zu wollen, waren die in dieser Zeit entstandenen Gedichte Schirachs, die eine metaphysische Verbindung zwischen der Nachkriegsgeneration und den Gefallenen des Ersten Weltkrieges herstellen sollten:
Als wir noch Kinder, dröhnten die Kanonen,
und manches Kinderlachen brach entzwei,
kam eine Meldung von den Todeszonen:
»Dein Vater starb, damit die Jugend frei!«
Aus der Umgebung Hitlers war Schirach bald nicht mehr wegzudenken: Begeisterte Begrüßung durch NS-Anhänger bei einem Auftritt 1930.
Urlaub vom »Führer«: Henriette und Baldur von Schirach bei einem Spaziergang in den Tiroler Bergen.
Wehe dem Sohn, der das je kann verwinden
Und nach so großem Preis vom Kampfe schwieg!
Wir wollen unsres Daseins Sinn verkünden:
Uns hat der Krieg behütet für den Krieg! 155
Baldur von Schirach ging aus den vorhin skizzierten Konflikten gestärkt hervor, hatte er doch Hitlers eindeutige und in dieser Form ungewöhnlich starke Unterstützung erhalten. Meist ließ Hitler gerne seine Funktionäre in Konkurrenz gegeneinander um die Gunst des »Führers« wetteifern und traf häufig erst spät Personalentscheidungen.
Entscheidend für Hitlers Hilfe war sicherlich auch der Umstand, dass sich Schirach im Umfeld der Salonnière Elsa Bruckmann bewegte, die zur Irritation von Joseph Goebbels starken Einfluss auf den Parteivorsitzenden ausübte. 156
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