Laute und grellgrüne Blitze durchzuckten sekundenschnell sein Bewusstsein. Wenn er seinen Arbeitskittel in der Wohnung gehabt hätte, hätte er ihn genau in diesem Augenblick übergezogen. Doch so blieb er nackt und ungeschützt.
Die junge und äußerst hübsche Studentin trug ihre blondmelierten, schulterlangen Haare offen, hatte eine sehr enge Bluejeans an. Darüber hatte sie einen dicken Wollpullover angezogen.
Karl zögerte in Gedanken an die ermahnenden Worte des Präsidenten der Universität zunächst, sie hereinzubitten, und erkundigte sich vorsichtshalber schon an der Tür nach ihrem Anliegen.
Die junge Frau erklärte ihm, dass sie erstens einige Fragen zu den möglichen anstehenden Klausurthemen habe, die er aber nicht unbedingt beantworten müsse, wenn er das als ihr Ausbilder nicht dürfe. Ihr anderes Anliegen sei ihr wichtiger und das sei weder telefonisch zu erklären noch als Mail zu beantworten. Aus diesem Grund habe sie sich auf den Weg zu ihm gemacht und bitte ihn nun darum, sie hereinzulassen oder sich an einem neutralen Ort mit ihr zu treffen, wenn er Befürchtungen habe, dass Menschen seiner Umgebung etwas gegen ihren Aufenthalt in seiner Wohnung einwenden könnten.
Für den gealterten Professor existierten zumindest in seinem Kopf eigentlich keine anderen Menschen, auf die er Rücksicht nehmen musste. Und er war auch emotional weit davon entfernt, sich seinem Chef zu fügen, wollte aber auch nicht für noch mehr Ärger sorgen und schlug Emilia vor, sich in zehn Minuten im Café zu treffen, das fußläufig aus dem Haus kommend die Straße rechts hinunter gehend zu erreichen war.
Emilia nickte ihm zu und machte sich auf den Weg.
Der Mann mit dem grauen Haar war ein wenig verwirrt. Auf der einen Seite schien Emilia so schüchtern zu sein, auf der anderen Seite hatte sie das recht große Selbstbewusstsein, ihn aufzusuchen. Er schloss die Wohnungstür, überlegte noch einmal, ob er das, was er da vorhatte, auch wirklich tun sollte, zog sich aber währenddessen bereits die Schuhe und die Skijacke an und machte sich schlussendlich doch auf den Weg. Schließlich musste ein Dom handeln und durfte sich nicht den Selbstzweifeln ergeben.
Das junge hübsche Mädchen hatte einen Platz in der hinteren Ecke des Cafés freigehalten und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Jede Schüchternheit ihrerseits schien verflogen zu sein.
Leicht verunsichert nahm er ihr gegenüber Platz und bat sie, mit ihren Anliegen loszulegen, noch ehe ihn die Bedienung nach seinem Wunsch gefragt hatte.
Emilia klemmte sich ihre blonden Haare hinter die Ohren, wartete ab, bis er seine Bestellung aufgegeben hatte, und begann mit ihren Fragen zu der bevorstehenden Klausur.
Der Professor konnte ihr neutrale Antworten auf ihre Fragen geben und war sogar insgeheim darüber glücklich, dass er den Mut dazu gehabt hatte, denn er hatte ihr sichtlich helfen können, ohne gegen seine Verschwiegenheitspflicht zu den Klausuren verstoßen zu haben.
Die junge Frau nickte ihm entgegen, als habe er gar nichts erklärt, fragte aber auch nicht weiter nach, sondern bat ihn darum, ihre begonnene Semesterarbeit über die Promiskuität nach Missbrauch zu überfliegen und ihr seine Meinung dazu mitzuteilen.
Karl erinnerte sich daran, ihr das Thema vor einigen Wochen auf ihren Wunsch hin gegeben zu haben, und tat allein deshalb, was sie von ihm gewünscht hatte, denn zu einer kritischen Begleitung beim Erstellen von Hausarbeiten war er von der Universität nicht nur befugt, sondern sogar ausdrücklich aufgefordert. Er las ihre Ausfertigungen quer und erklärte ihr nach einer Viertelstunde, dass er in der Kürze der Zeit ein gewisses Schreibtalent für psychologische Erörterungen in ihrem Text erkennen könne, und bestätigte, dass sie auch psychiatrisch gesehen mit ihrem Erklärungsansatz durchaus richtig liege.
Emilia schossen wie aus heiterem Himmel Tränen in die Augen.
Der alte Mann wartete, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte, und erkundigte sich dann nach ihrem Wohlbefinden und den Gründen für die Tränen.
Sie gab auf sein Drängen hin zu, dass sie selbst als Kind missbraucht worden sei und seitdem gelegentlich zu starker Wut oder auch Scham und eben auch zur Promiskuität neige.
Der Psychiater wunderte sich über ihr Selbstbewusstsein, ihm solch intime Dinge anzuvertrauen, riet ihr nach einer Weile aber dazu, den Missbrauch der Polizei trotz der vielen vergangenen Jahre, die dazwischen liegen würden, zu übergeben, um ihre Gefühlslage abzumildern, und wegen ihrer Promiskuität gegebenenfalls einen Psychiater aufzusuchen. Er sei ihr Professor und könne ihr da nicht helfen, sondern sei lediglich dazu berechtigt, etwas zu der fachlichen Qualität ihrer Hausarbeit zu sagen. Eventuell könne er ihr noch einen Kollegen empfehlen, an den sie sich wegen des Missbrauchs und der psychischen Verarbeitung wenden könnte.
Sie bat ihn zunächst noch einmal um seine fachliche Kritik an ihrer Hausarbeit, wiederholte aber ein weiteres Mal, darauf zu hoffen, auch einen persönlichen Ratschlag zu ihrem Problem von ihm zu bekommen, denn sie schätze ihn sehr, und zwar als ihren Professor und als Menschen, dem man Vertrauen schenken könne.
Der Professor brauchte eine ganze Weile, ehe er Luft zu einer Antwort holte. „Noch einmal: Ihr Aufsatz ist im Ansatz wirklich sehr gut. Sie zeigen die Folgen von Kindesmissbrauch hervorragend klar strukturiert auf. Suchen Sie noch nach einem Behandlungsansatz, dann steht einer sehr guten Beurteilung Ihrer Hausarbeit nichts im Wege“, antwortete Karl und trank seinen Cappuccino aus.
„Was sagen Sie im Rahmen meiner Promiskuität zu meinem Wunsch nach SM-Sexspielen?“, hakte sie wiederum völlig offen nach und machte ihn mit ihrem selbstbewussten Auftreten immer verlegener.
„Warum meinen Sie, dass ich da der geeignete Ansprechpartner bin? Glauben Sie mir, ich bin als Ihr Professor wirklich nicht gut geeignet.“
„Ja, das meine ich allerdings trotz Ihrer abwehrenden Worte. Erstens: Ich weiß nicht, mit wem ich sonst darüber reden könnte. Zweitens habe ich eine sehr hohe Meinung von Ihnen. Für mich sind Sie fachlich und menschlich eine ganz große Autorität“, sagte Emilia und blickte nun mal wieder verlegen zu Boden.
Den alten Mann verwirrte der ständige Wechsel zwischen ihrer Schüchternheit und ihrem enormen Selbstbewusstsein immer stärker, aber genau das schien Emilia im Kern ihres Herzens auszumachen. Da hatte er sich wohl ganz einfach dran zu gewöhnen.
„Noch einmal, meine liebe Frau Berger. Das ist eine sehr persönliche Frage, die ich als Ihr Professor nicht beantworten sollte. Sie überfordert mich, sie übersteigt meine Kompetenzen und Befugnisse. Ich würde also höchstens eine allgemeine Lebenserfahrung zum Besten geben können.“
„Tun Sie das bitte!“, bat die bildhübsche junge Frau und schaute ihm fordernd in die Augen.
„Wenn Sie Interesse an SM haben, sollten Sie versuchen, Ihre Neigung auszuleben, um eine befriedigende Sexualität zu erfahren, denn schließlich haben auch Sie nur ein Leben“, gab er ihr zur Antwort und versuchte zu verschweigen, dass er selbst am liebsten sadomasochistischen Sex hatte und tatsächlich überlegte, ob er ihr anbieten sollte, ihr Lehrmeister zu sein. Als Dom müsste er es eigentlich tun, aber vor ihm saß nicht seine Sub, sondern seine Studentin.
„Herr Professor, als Sie letztens den Vorlesungssaal verlassen mussten, war ich neugierig und sah nach, was Sie auf dem Pult liegen lassen hatten. Sie hatten einen Roman von Kurt Hartmann in der Aktentasche. Ich habe ihn mir daraufhin bestellt und inzwischen mehrfach durchgelesen, weil er mich so sehr fasziniert. Ich möchte nun die Erfahrungen machen, die Estelle in diesem Roman machen darf. Ich möchte es, ja, ich finde seitdem keine Ruhe mehr, so sehr sehne ich mich danach“, ließ Emilia nicht locker.
Читать дальше