Die im Stile der Birch-Pfeiffer gedachte theatralische Affengestalt übertrug sich also, ähnlich wie Chingachgook, von innerer in äußerliche Wirklichkeit, und zum ersten Mal war dabei Kunst als neuerworbenes Können im Spiele.
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Eine andere Kunst hatte sich damals ohne mein Zutun in mir ausgebildet. Mein dauerndes Leben in freier Natur, besonders vom frühen Frühjahr bis zum späten Herbst, Jahreszeiten, die ich vom ersten Leberblümchen, Himmelsschlüssel und Maiglöckchen bis zur letzten Aster auskostete, machte mich zum Schüler der Singvögel. Seltsamerweise gab es Nachtigallen in Salzbrunn nicht, aber sonst alle möglichen Arten. Um ein Rotkehlchen oder sonst einen Sänger nachzuahmen, bedurfte ich keines Instruments als einer Membrane von Birkenrinde. Langgezogene Laute, Geschmetter und endlose Triller brachte ich mit der Kehle hervor, so täuschend, dass eine Gruppe von Badegästen hin und wieder andächtig stehenblieb, wenn ich meine mich selbst beglückende Kunst im Dämmer des Abends, in einem Gebüsch versteckt, ausübte. Ich hatte damit, wo ich mich herauswagte, bei einfachen Leuten des Orts, auch bei Apotheker Linkes, nicht in der eigenen Familie, eine Art Berühmtheit erlangt und wurde nicht selten gebeten, mich hören zu lassen.
Sinn für die Welt der Vögel und Liebe zu ihr hatte ich allenthalben gewonnen. Mochten es die Scharen von Sperlingen sein, die damals weit zahlreicher als heut Höfe und Straßen mit ihrem lustig frechen Wesen bevölkerten, oder in der Schusterwerkstatt die sprechende Dohle und das Rotkehlchen oder die Stare, die frühjahrs pfeifend ihre alten Starkästen in Besitz nahmen, oder die sommerlichen Singvögel oder bei Fräulein von Randow im Kurländischen Hof der Papagei. Oder in den Glasschränken des Müllers von Wilhelmshöh ausgestopft alle erdenklichen, selten gesehenen heimischen Arten. Oder die Rebhuhnfamilie, die ebenso wie ein balzender Auerhahn, in großen Glaskästen untergebracht, den Eingangsraum unseres Gasthofs schmückte.
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Wer war dieser Müller von Wilhelmshöh? Ein älterer, schweigsamer Mann in grünem Rock, der Wilhelmshöh, einen Ausflugsort, von der Badeverwaltung gepachtet hatte. Wer den Müller von Wilhelmshöh erwähnte, meinte einen geheimnisumwobenen Mann, dem man mancherlei ungewöhnliche Dinge zutraute. Wilhelmshöh war umgeben von Wald. Nie anders als im grünen Rock, die kurze Pfeife im Munde, traf ihn, wer nachmittags dort seinen Kaffee trank. In dem romanisch-gotischen Bau des Vergnügungslokals war seine ornithologische Sammlung untergebracht, auch eine Eiersammlung war dabei, und man konnte modernste Jagdflinten in einem Glasschrank bewundern.
War er ein Freischütz, der Müller von Wilhelmshöh? Gerüchte um ihn, Gemunkel, Geflüster wollten nicht aufhören. Wo kam er her? Wahrscheinlich hatte er eine Farmer- und Pelzjägerschule in der Neuen Welt hinter sich. Auch auf uns Kinder wirkte er als ein Mensch, der in den kleinen Rahmen von Salzbrunn nicht hineinpasste.
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Die Augen meines Vaters blickten durch doppelte Brillengläser. Sie waren hellblau. Er nahm außer des Nachts Brille und Pincenez 1niemals ab.
Sein Gesicht in der Ruhe war ganz Strenge und Ernst, tief eingegraben die senkrechten Stirnfalten, buschig die Brauen, üppig auf der Oberlippe der den Mund verdeckende Bart.
Für Körperpflege brauchte mein Vater Tag für Tag lange Zeit. Seine Anzüge waren vom besten englischen Tuch und beim ersten Schneider in Breslau gefertigt. Eine Sammlung von Schuhwerk wurde von ihm selbst gereinigt und blank geputzt, er hätte sie nie fremder Hand überantwortet.
Den damals üblichen Schlafrock verachtete er. Beim ersten Frühstück bereits war er bis auf die Busennadel tadellos angekleidet.
Jeden Morgen rieb er sich selbst mit einem in kaltes Wasser getauchten, rohen und rauen Leinentuch, in das er sich dabei völlig einwickelte, von oben bis unten ab.
Dagegen war meine Mutter, seit ich sie kannte, gegen ihr Äußeres völlig gleichgültig. Sie nannte den Körper mit Luther einen elenden Madensack, der ja doch schließlich den Würmern anheimfiele.
Die schöne goldene Uhrkette auf meines Vaters Weste und die Berlocken daran sind mir von früh erinnerlich.
Schon sehr zeitig, scheint mir, ist der Scheitel meines Vaters gelichtet gewesen, er ging an den Schläfen in ganz kleine natürliche Löckchen aus.
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Ich artete zunächst mehr der Mutter nach. Mich viel zu waschen oder viel gewaschen zu werden liebte ich nicht, ebensowenig mochte ich, wie schon gesagt, schöne Kleider. Sie bedeuteten Rücksicht auf Flecke, Beengung, ja gewissermaßen Gefangenschaft. In dieser Hinsicht ließ mich der Vater meiner Wege gehen, wogegen er auf meine Wasserscheu keine Rücksicht nahm und mich mit seiner Kaltwasserkur eigenhändig betreute.
Es wurden morgens Schwämme voll eiskalten Wassers über meinen gebeugten Nacken und Kopf ausgedrückt. Manchmal machte mich der Schmerz halb wahnsinnig, aber ich durfte nicht schreien, und auch sonstigen Widerstand gab es nicht, ebensowenig, wenn der Vater mich in das eigens für mich geschnittene nasskalte Abreibtuch wickelte und mich mit kräftigen Fäusten abschrumpelte. Hier war das schlimmste der erste Augenblick.
Der Protest meiner Mutter, die von alledem nichts hielt, half ebensowenig wie die zitternde Ergebung meiner zarten Kindlichkeit. Schön und erquickend war die von meinem Vater beliebte Art des Abtrocknens. Mir wurde ein weiches Bettlaken umgelegt, womit ich mich vor dem offenen Fenster gleichwie mit Flügeln plädern durfte.
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Neues Schuhwerk ließ mir mein Vater in der Werkstatt des Schusters Bliemel zu Hinterhartau, neue Anzüge in der Werkstatt des Schneiders Leo am Ende der Promenade persönlich anmessen. Leo, ein Zwerg, der eine Zwergin geheiratet hatte, saß immer mit gekreuzten Beinen, stichelnd und von Tuchlappen umgeben, in einem winzigen Schaufenster. Heute scheint mir, dass dieses Männchen, sein Betragen und seine Werkstatt noch dem Mittelalter angehört haben.
Mit besonderer Sorgfalt nahm sich der Vater meines Schuhwerks an. Er selber hatte verbildete Füße, wovor er uns Kinder bewahren wollte. Ohne Rücksicht auf die Mode des spitzen Schuhs bestand er auf Breite und Weite.
Mein Vater handelte oder schwieg, Redensarten machte er nicht. Auf seinem Arm habe ich nolens volens 2mit viel Geschrei im Lehmteich hinter der Gasanstalt das erste Bad im Freien genommen. Noch sehe ich das bedrohliche, schwindelerregende Glitzern der kleinen Wellen um mich her.
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