Gerhart Hauptmann
Drama
Saga
Der Bogen des Odysseus
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont
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ISBN: 9788726956917
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
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Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Eine Gegend auf der Insel Ithaka, bergig, hoch gelegen, zum großen Teil mit Waldungen uralter Eichen bedeckt. Vorn ein felsiger Aufstieg, der an das Tor eines Gehöftes führt, das Gehöft des Eumaios.
Es ist um die Mittagszeit.
Eumaios, der Sauhirt, über die Sechzig, aber noch voller Kraft, sitzt auf der Bank neben dem Tor und beschäftigt sich mit einem schöngearbeiteten Bogen, den er mit Talg einreibt. Die Holzschale mit der Scheibe Talgs darin steht neben ihm, ferner Weinkrug und Becher.
Tiefer unten werden zwei schöngewachsene Mägde sichtbar, die mit Wassergefäßen auf dem Kopf die Felsenstiege hinansteigen. Die vorangehende der Wasserträgerinnen ist Melantho, Tochter des Ziegenhirten Melantheus, die andere Leukone, Enkeltochter des Eumaios.
Beide Mädchen halten eine Rast, indem sie die Wassergefäße von den Köpfen nehmen. Melantho hat rotbraunes Haar und ist rundlich und sinnlich. Leukone, schlank und dunkelhaarig, ist von vollkommenem Wuchs und edelster Schönheit.
Melantho
Schrecklich ist diese Mühsal. Niemals hatt' ich
so schlimme Tage als bei euch! – Nun freilich
gibst du mir keine Antwort. Bin ich etwa
schlechter als du? Mein Vater ist so viel
als dein Großvater: dieser hütet Säue,
mein Vater Ziegen! Das ist alles – und
kein großer Unterschied.
Leukone
Melantho, du
hast recht. Allein, was soll ich tun? Du klagst
und klagst, und doch kann ich die wasserlose Zeit,
die Vater Kronion über uns verhängt,
nicht wandeln, kann die heil'gen Wasserquellen,
die trockenen, nicht wieder springen machen.
Und steig' ich nicht wie du den steilen Pfad
hinab ans Meer zum Born der Arethusa?
Melantho
Es möchte gehn, wenn du nur reden wolltest. –
Ich bin ein Leben im Palast gewöhnt.
Reichlich genoß ich Gunst und gute Worte.
Sind diese Fürsten denn nicht mehr als du,
die um Penelopeias Hand sich streiten
und denen doch Melantho nicht zu schlecht war?
Leukone
seufzt
Nun bleibt mir wieder nur das Schweigen, Mädchen.
Melantho
Schweig, immer schweige nur, Hochmütige!
Die Wahrheit ist doch wahr. Ich könnte reden,
da solltest du erst recht die Augen auftun. –
Das Haupt der Werber ist Eurymachos!
Kein Mann auf Ithaka bestreitet das,
und auch kein Weib: selbst nicht Penelopeia.
Sie lechzt nach ihm wie eine Hündin, aber
das ist's: er gönnt sie dem Antinoos. –
Mir läuft er nach: Eurymachos. Mein Schatten
ist mir nicht halb so treu, das glaube mir.
Leukone
Wollt' ich nun reden, müßt' es dich verdrießen,
Melantho, und so laß uns weitergehn.
Melantho
Und weshalb hat man mich hierher verbannt?
Wer das nicht wüßte, wäre blind, Leukone.
Warum? Du weißt es ebenso wie ich.
Weil nicht allein Eurymachos mich gern hat,
sondern ein jeder, der mich sieht, und dies
Penelopeias Neid nicht dulden mag.
Leukone
Männern wie jenen zu gefallen, die
das Gastrecht schänden unten im Palast,
ist etwa nicht so schwer, als manche meinet:
was mich angeht, der Freier Wohlgefallen
beleidigt bittrer mich als wie ein Steinwurf.
Melantho
Bist du so keusch, Leukone? Ach, man weiß
von deiner Keuschheit, weiß es auch, weshalb
du jene Helden im Palast so sehr
verfolgst mit deinem Haß. Du kostest gern
den schwellenden Mund des noch nicht flüggen Jünglings.
Du liebst den Flaum mehr als den Bart, den Scheuen,
den zage Schüchternen mehr als den Starken,
der ohne viel zu seufzen packt und raubt.
Ich sage dir, dein Muttersöhnlein ist
weichlich und aller ganzen Männer Spott. –
Mag sein, man spürt ein Mitleid, möchte ihm
die runde Wange streicheln wie 'ner Schwester.
»O Telemach, wie bist du doch so hilflos
und dumm in deiner Unschuld«, denkt man wohl,
»wie sollst du gegen Helden dich denn wehren?«
Dann sagt er wohl: »Ruf mir die Schaffnerin,
daß sie – der Sandmann kommt – mich schnell zu Bett bringt.«
Sie will sich ausschütten vor Lachen.
Wie ist dein Schoßkind doch so wunderlich.
Leukone
indem sie Melantho den Wasserkrug auf den Kopf heben hilft
Irrtümer, die du liebst, mußt du behalten,
Melantho. Doch mein Schoßkind, wie du's nennst,
ist dein und mein und unsrer Eltern Herr.
Du wirst dich einstens dran erinnern müssen,
wenn du's auch jetzt vergessen hast. Genug.
Auch Leukone hat ihr Wassergefäß auf den Kopf gehoben, und beide schreiten hintereinander nach oben weiter. Bald sind sie im Begriff, an Eumaios vorüber ins Gehöft zu gehen, als der Hirt sie aufhält.
Eumaios
Melantho!
Melantho
Ja. Und was?
Eumaios
Leukone, eure
Augen sind jünger als meine: steigt dort nicht
ein Mann zu uns herauf?
Leukone
Ich sehe niemand,
Großvater.
Eumaios
Niemand siehst du?
Leukone
Niemand! Nein!
Eumaios
Nun, so verwirrt ein Dämon meine Augen.
Denn immer seh' ich Männer unsre Höh'
erklettern, deutlich! Dieser hatte weißes Haar,
und jener gestern war ein Jüngling. Doch
erheb' ich mich, sie zu begrüßen, ist's,
als löste sie ein Gott in Rauch und Luft.
Melantho schreitet weiter durch das Tor und verschwindet im Gehöft.
Eumaios
Nun sag mir, wie die neue Magd sich anläßt.
Leukone
Nicht gut, Großvater. Hätte doch die Fürstin
uns diese Dirne nicht ins Haus gesetzt!
Sie lästert alles, was uns lieb und wert ist.
Eumaios
Regierte jetzt auf Ithaka ein Mann,
er hätte diese Dirne stäupen lassen
und sie in Ketten den Phöniziern
verkauft für ihre Buhlschaft im Palaste,
nicht aber sie herauf zu uns gesandt.
Anders Penelopeia, die allmilde.
Was ist zu tun? Die Hündin haben wir
nun hier und alle Hunde auf dem Hals,
die hitzigen: jene, denen man sie wegnahm. –
Als jüngst zur Nacht Antinoos die Mauer
mit seinen Spießgesellen überstieg
und wie der Bergwolf einbrach ins Gehöfte,
erkannt' ich deutlich auch Eurymachos:
dieser vor allen ist Melanthos Buhle.
Sie hat ihn zu der frechen Tat verlockt
und er dazu die andern angestiftet.
Nun, sie empfingen einen blutigen Willkomm,
und schmählich endete ihr Bubenstück. –
Wie oft sahst du Antinoos, Leukone?
Leukone
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