Ich sah ihn unten in der Volksversammlung,
als Telemach das Schiff zu seiner Reise
erbat und er dawiderredete.
Dort sah ich ihn sowie er mich zuerst
und später niemals wieder. Doch er sprach
mich an mit ekelhaftem Blick und Wort.
Eumaios
Richtig! »Der Hirte Paris auf dem Ida«,
so sagte er, »sah dich nicht, schöne Hirtin!
Die heilige Aphrodite hätte sonst
im Wettstreit um den Apfel nicht gesiegt.« –
Leukone
So war's, Großvater. Freier! Räuber! Freier!
Sie alle wollen Telemachens Tod:
doch keiner wütend so wie er, ich weiß es!
so wie Antinoos, der widrige.
Eumaios
Hast du wohl Kunde aus der Stadt, Leukone,
ob Telemach von Pylos schon zurück ist?
Leukone
Schwerlich, denn noch erkenn' ich dort die Späher.
Eumaios
Wo siehst du Späher?
Leukone
Oh, ich sehe sie,
ob sie sich gleich verbergen, ganz genau!
Es sind die Späher des Antinoos.
Sie lauern auf den Vorgebirgen! Lauern
seit Wochen schon! Wie Räuber lauern sie
auf unsern – ihren Herrn, daß sie ihn töten.
Eumaios
der sich erhebt und betrachtet, was er gemacht hat
Vater Kronion, Hort der Unterdrückten!
geleite Telemach auf seiner Fahrt
und gib ihm guten Wind in seine Segel!
Leukone
Und bring ihn sicher durch die Bucht ans Land!
Sie und Eumaios spähen hinaus und hinab übers Meer.
Eumaios
Antinoos! muß man es glauben!? den
Odysseus selber auf den Knieen wiegte
und ihn als einen künft'gen Helden pries,
du trachtest seinem Sohne nach dem Leben,
von andrem zu geschweigen, was du vorhast.
Er steht auf.
O käme doch der mächtige Arm ins Land,
den Bogen hier, die Senne neu zu spannen!
Leukone
mit Bezug auf den Bogen in Eumaios' Hand, ohne die Last vom Kopfe zu nehmen
Ist dies der Bogen des Odysseus?
Eumaios
Ja,
er und kein andrer ist es, Mädchen. Sahst
du jemals einen zweiten so wie ihn?
Ich nicht! Ich niemals! Diesen Bogen spannte
dereinst Apoll, bevor Silen ihn führte,
der kundige Kentaur und Lehrer des
Dionysos. Im grauen Altertum
kam er nach Lakedaimon, und ihn fand
ein Jäger, ein Agid', und endlich kam er
bis auf Iphitos, der ihn unserm Herrn
dereinst als Gastgeschenk bescherte. – Du
blickst fragend, und du sahst die Waffe nie
in meiner Hand. Wisse: ich halte sie
seit Jahr und Tag verschlossen in der Lade.
Und wären nicht die Knechte draußen bei
den Herden, wäre das Gehöfte nicht
verlassen, hätt' ich endlich diese Nacht
nicht wunderlich geträumt, ich säße jetzt
nicht hier, mit dieser Waffe in den Händen.
Leukone
Was hast du wohl geträumt?
Eumaios
Ich weiß nicht. Niemand
darf es erfahren als der Seher, Kind!
Und morgen steig' ich in die Stadt hinab,
ihm alles zu eröffnen. – Sage mir:
Warst du heut nacht an meinem Lager?
Leukone
Ja.
Eumaios
Und hattest einen Speer im Arm?
Leukone
Ich hatte
den Speer ergriffen und im Arm.
Eumaios
Warum
nahmst du den Speer und tratst an meine Ruhstatt?
Leukone
Ich hörte Stimmen rufen und mir war,
die Wölfe kläfften wieder um die Mauer.
Eumaios
So hast du träumend meinen Traum bevölkert,
Leukone, denn auf deiner Schulter saß
der Vogel der Athene, und du sprachst
mit Götterstimme Göttliches. Genug:
Ich tat, was mir befohlen ward; mit Stiertalg
rieb ich den Bogen, auch die frische Senne
aus Schafsdarm liegt bereit. Mag er nun kommen,
der Schütz, dem ich die Pfeile aufbewahrt.
Man hört Hundegebell.
Was gibt's, was für ein Aufruhr?
Leukone
's ist der Bettler,
ich seh' ihn! – dort! – der aus dem Eichwald tritt.
Eumaios
He, Bettelmann! heb einen Stein auf, schleudre!
Er pfeift den Hunden, deren rasendes Gebell näher kommt, nimmt Steine auf und läuft ab.
He, Wächter! Wolf! Saupacker! Halt! Hierher!
Ein Bettler erscheint atemlos, gehetzt und stürzt vor Leukone nieder, ihre Knie umfassend. Es ist Odysseus selbst, unkenntlich vor Alter, Elend und Lumpen.
Odysseus
Du Hohe! Ob du eine Göttin seist,
ob eine von den Töchtern dieser Insel:
schutzflehend siehst du mich zu Füßen dir.
Von Antlitz gleichst du einer Himmlischen!
Selig dein Vater! selig deine Mutter!
Und dreimal selig, wer dereinst dich heimführt!
Leukone
Ich bin nur eine Hirtin, fremder Mann.
Odysseus
So wünscht' ich, dich nach Würde zu erhöhen,
mehr, als ich je es wünschte, das zu sein,
was ich, der beßre Tage sah, einst war.
Er läßt, scheinbar entkräftet, den Kopf sinken.
Leukone
zu Eumaios, der eilig wieder erscheint
Er atmet nicht mehr!
Eumaios
– Atmet nicht mehr?
Leukone
Nein!
Eumaios
Ins Haus, Leukone, eile, bring den Balsam,
den ich, du weißt es, in dem Schiffe der
Phönizier jüngst mir tauschte, und bring Wein.
Wein ist ein Arzt, wenn allzu bittre Mühsal
den Mann, wie diesen hier, entkräftet hat.
Leukone schreitet ins Haus. Odysseus und Eumaios bleiben allein; dieser, um ihn bemüht, fährt fort
Zu spät! Der Pfeile Freundin Artemis
hat ihn mit sanftem Bogenschuß erlöst.
Odysseus
Du irrst! Der hier vor dir im Staube Tränen
vergießt – ihn meidet Artemis' Geschoß!
Taub bleibt die Göttin seinem Flehn! Er muß
das Leben tragen! weitertragen! und
ein Elend schleppen ohne Maß und Ziel,
verhaßt den Himmlischen, von den Geschlechtern
der Menschen ausgestoßen und vergessen.
Eumaios
Wer du auch sein magst, Mann, verzage nicht!
Es ziemt mir nicht zu fragen, ehe du
mit Speise dich und einem Trunk erquickt,
von welcher Art dein Leiden sei und welcher
von allen Göttern dich zumeist verfolgt. –
Doch glaube mir: nur die Unsterblichen
sind frei von Trübsal! ... Ja, auch diese nicht
durchaus! – Steh auf! gedenk der Himmlischen!
und trink.
Leukone hat Wein in einen Becher gegossen und reicht ihn dar.
Odysseus
Soll ich der Himmlischen gedenken,
umringt von Schatten? ich? ein Toter? ein
Vergessener!? der aus Aïdes' Reich,
gewohnt an Finsternis, emportaucht! –? der
sie, die im Lichte wandeln, kaum noch kennt,
verschwornen Auges blinzelnd! – Soll ich opfern?
Wem soll ich opfern? Helios, der mich
mit seinem unbarmherzigen Glanze scheucht?
Poseidaon, dem Unversöhnlichen?
Wem soll ich opfern? – Aïdes und dir,
Persephoneia, opfr' ich, gieß' ich meine Spende aus!!
Er gießt Wein aus dem Becher, ihn mit beiden Händen haltend, dann trinkt er mit Gier. Nachdem er getrunken hat, gibt er das leere Gefäß an Leukone zurück.
Hab Dank, Ehrwürdige, daß du die Seele
mir labst mit diesem Trunk! So goß ich Blut
den Toten in die Grube, schwarz und süß
aufduftend, gleich dem Wein, und rauchend! – und
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