Gregory Kramer
Einsichts-Dialog
Gregory Kramer
Einsichts-Dialog
Weisheit und Mitgefühl durch Meditation
im Dialog – eine buddhistische Praxis
Aus dem Amerikanischen von Michael Schaefer
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Arbor VerlagFreiamt im Schwarzwald |
© 2007 Gregory Kramer
© 2009 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH, Freiamt,
by arrangement with Shambala Publications, Inc., 300 Massachusetts Avenue,
Boston, Massachusetts 02115 USA
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:
Inside Dialogue – The Interpersonal Path to Freedom
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2018
Titelfoto: © 2009 plainpicture/whatapicture
Lektorat: Lothar Scholl-Röse
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-247-4
In memoriam
Irving Kramer
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Ich widme dieses Buch meinen großzügigen Lehrern.
Je mehr ich auf dem Weg reife, desto dankbarer werde ich für das, was sie mir schenkten:
Anagarika Dhammadina
Ananda Maitreya Mahanayaka Thero
Achan Sobin Namto (Bhikkhu Sopako Bodhi)
Punnaji Maha Thero
Inhalt
Teil eins Aus dem Leben gegriffen
1. Gemeinsam auf dem Weg
2. Eine Praxis entsteht
3. Ein waches menschliches Wesen
Teil zwei Vier zwischenmenschliche Wahrheiten
4. Die Erste Edle Wahrheit:
Eine nüchterne Einschätzung des Leidens
Zwischenmenschliches Leiden
Ein realistischer erster Schritt
5. Die Zweite Edle Wahrheit
Festhalten am Hunger verursacht Leiden
Drei Arten elementaren Hungers
Wie das Beziehungs-Selbst sich bildet
Der Hunger nach Lustgewinn und der Drang, Schmerz zu vermeiden
Der Hunger nach Dasein und die Angst vor dem Nicht-Sein
Der Hunger, das Dasein zu vermeiden, und die Angst vor dem Gesehen-Werden
Die drei Arten des Hungers vermischen sich
6. Die Dritte Edle Wahrheit:
Allmähliches Aufhören
Gier, Hass und Verblendung nehmen ab
Aufhören und das Glück eines unvergifteten Lebens
7. Die Vierte Edle Wahrheit:
Die Natur des Achtspurigen Weges
Gewöhnliche und außergewöhnliche Ausdrucksformen des Weges
Das volle Spektrum des Weges
Teil drei Praxis
8. Elemente eines wirkungsvollen Weges
9. Meditations-Anleitung zum „Einsichts-Dialog“
10. Innehalten
11. Entspannen
12. Öffnen
13. Dem Entstehen vertrauen
14. Tief zuhören
15. Die Wahrheit sagen
16. Wie die Leitlinien zusammenwirken
17. Die Kontemplationen
Kontemplation im Einsichts-Dialog
Beispiele für Kontemplationen
Das themenzentrierte Retreat Sankhâra
18. Formen der Praxis
Vier Formen der Praxis – gleiche Anweisungen
Das Einsichts-Dialog-Retreat
Wöchentliche Gruppen
Einsichts-Dialog online
Die Praxis im Leben
19. Abwege in der Praxis
Identifikation mit Emotionen
Identifikation mit Gedanken
Gefangen in der Lehrerrolle
Trance, starrer Blick und die Gier nach Erlebnissen
Teil vier Die Tradition leben
20. Die Welt berühren
Arbeit
Paare und Familien
21. Der Einsichts-Dialog und die traditionellen buddhistischen Lehren
Die Leitlinien und Kontemplationen
Der Weg und die Lehren im Allgemeinen
Integration von der Tiefe her
Wie persönliche und zwischenmenschliche Meditation sich gegenseitig befruchten
Der Einsichts-Dialog im Vergleich mit dem traditionellen Retreat
Grundlagen der Achtsamkeit
Abhängiges Entstehen
22. Einfach Mensch
Dank
Über die „Mettâ-Foundation“
Teil eins
Aus dem Leben gegriffen
1
Gemeinsam auf dem Weg
Unser gesamter Weg zum Erwachen, einschließlich des tief greifenden Beitrages, den Meditation dazu leistet, kann vollkommen in das Zusammenleben mit anderen integriert werden. Ein großer Teil unseres Leidens am Leben liegt in den Beziehungen zu anderen. Wir können nicht ernsthaft erwarten, dass individualistische Philosophien und Übungen in der Abgeschiedenheit den Schmerz und die Verwirrung direkt angehen, die zwischen zwei Menschen oder in der Gesellschaft insgesamt entstehen. Und wir können auch nicht erwarten, dass irgendwelche Solo-Unternehmungen uns einen direkten Weg liefern, der uns mit Gelöstheit 1und Verständnis in unseren Beziehungen belohnt. Wir müssen den spirituellen Weg grundsätzlich zwischenmenschlich verstehen lernen und brauchen eine für die Arbeit in zwischenmenschlichen Beziehungen gezielt weiterentwickelte Meditationspraxis. 2Das vorliegende Buch handelt von solch einer Sichtweise und solch einem Weg.
Wir meditieren allein, aber wir leben unser Leben mit anderen Menschen; eine Kluft ist unvermeidlich. Wenn unser Weg zu weniger Leiden führen soll, und viel von unserem Leiden hat mit anderen Menschen zu tun, dann müssen wir vielleicht unser ausschließliches Engagement für diese individualistischen Praktiken einmal hinterfragen. Allein zu meditieren verstärkt eine unreflektierte Annahme: dass die tief greifende Arbeit des Erwachens eine Privatangelegenheit sei. Von dieser Annahme ausgehend, legen wir uns ein Bild des Weges zurecht – von seiner prinzipiellen Richtung und seinen Details –, das Vereinzelung und Innerlichkeit favorisiert. Weil wir als Individuen meditieren, fehlt uns eine Praxis, die ausdrücklich den zwischenmenschlichen Bereich anspricht. Vielleicht haben wir das vage Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber was fehlt, sehen wir nicht. Wir sind uns nicht im Klaren, dass der persönliche und der zwischenmenschliche Weg grundlegend zusammenhängen, und wir wissen auch nicht, wie leicht und sogar elegant die beiden sich verknüpfen lassen. Eine breitere Perspektive steht uns offen. Es ist so einfach.
Jede Art von Meditation hilft uns, ruhiger zu werden, bewusster zu sehen, was in uns vorgeht, und Schwierigkeiten ehrlich und ohne Widerstand zu begegnen. Meditation beinhaltet sowohl das gezielte Üben von stiller Besinnung 3wie auch einen Lebensstil der Achtsamkeit und Sorgfalt.
Wenn wir alleine meditieren, sind wir vielleicht ein paar Minuten oder ein paar Tage still, wobei wir zum Beispiel beim Atem oder einer Qualität des Herzens verweilen. Wir kommen zur Ruhe; der Geist wird klar und still. In der Ruhe der individuellen Meditation nehmen wir wahr, wie leidvoll unser Verhältnis zu uns selbst ist. Wir bemerken, wie leicht wir uns in automatischen Gedanken und Emotionen verlieren. Wir bemerken körperliches Leiden, unser ganz persönliches Gieren nach etwas, unsere Angst und Verwirrung. Vor dem Hintergrund einfacher Bewusstheit 4werden unsere Sehnsüchte und Ängste – unsere Kämpfe, Lustgewinn zu erreichen und Schmerz zu vermeiden – drastisch sichtbar. Wenn wir den Stress sehen, der mit der Befriedigung unserer Wünsche verbunden ist, ahnen wir, wie wir viele unserer Probleme aus reiner Gewohnheit selbst fabrizieren, und beginnen, diese Gewohnheiten abzubauen. Wenn die individuelle Praxis sich vertieft, kann sie uns echte Ruhe bringen. Wir bekommen einen Vorgeschmack der Freiheit. Aber ob wir Meditation nun in der Abgeschiedenheit oder individuell für uns, aber zusammen mit anderen Meditierenden in einer Meditationsgruppe oder im Retreat praktizieren: Individuelle Meditation spricht die Verwirrung und den Schmerz in unseren Beziehungen nur indirekt an.
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