22.11. Der Weltpriester offen, hilfsbereit, Fels in der Brandung; seine Worte Wohltat, seine Handlungen umsichtig, gewissenhaft. Lässt niemanden der ihm Anvertrauten verrecken. Sagt heute, Jesus sei nicht nervös gewesen. & dass man nicht nach Schuldigen suchen soll in der jetzigen Situation, sondern zusammenhalten & das Beste aus allem machen. Damit macht er mich aber wirklich wahr nervös, der ich mir ja wünsch’, dass die Kleriker jetzt einfach bloß sagen, der Ausweg für die Politik jetzt ist die Bergpredigt. & ein paar Schlingensief-Leut’ würd’s brauchen dann nur noch & die Bergpredigt wär’ – Simsalabim! – das Sozialstaatsvolksbegehren. Letzten Sonntag die Predigt von einem anderen vorbildlichen Priester – da war ich auch perplex. Ging um die Evangelienstelle, dass dem, der hat, gegeben, dem, der nicht hat, auch noch das Wenige weggenommen wird. Das Geld & die Banken stehen dort & viel Diktatur. Eine 97-jährige Ärztin hat mich gegen diese ihrer Meinung nach tyrannische Passage aufgehetzt, aufgeherzt, telefonisch. Die Frau ist gläubig, die Messe ihr heilig: das Wandlungssakrament, durch das sie ihres Empfindens immer wieder von neuem wirklich ein Mensch zu sein vermag; aber genauso das Messgeschehen insgesamt als von aller Last befreiende Gegenwart Gottes. Aber wegen genanntem Passus würde sie manchmal am liebsten austreten. Vor ein paar Tagen jetzt Knochenbruch. Verstand & Gewissen unkaputtbar; Seele ruhig, Sohn, Enkeltochter liebevoll, ruhig, da.
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23.11. Seit Wochen, Monaten höre ich das Wort Problem nicht. Alle sagen Herausforderung . Wenn die wenigstens Überforderung sagten, ehrlicherweise! Nehme zurzeit fast nur Führungskräfte wahr, welche sich vor den tatsächlichen Problemen drücken. Meine das ernst. Nehm’s persönlich, wenn die Menschen, für die ich Verantwortung trage, durch die Fehlentscheidungen der jeweils offiziellen Obrigkeit Schaden an Leib, Leben, Existenz nehmen.
24.11. Waldspaziergang, jetzt täglich Massenauflauf. Ein Mann sagt zu mir, dass er früher da hier auch Gämsen gesehen habe. Weiße Elefanten auch? , frag ich. Aber hier gehen jetzt ja wirklich an einem Tag so viele Leut’ wie früher in einem Jahr. Die Rehe, Kitze haben sich heuer auch völlig zurückgezogen, im Frühling schon. Sind sonst insgeheim zu den Häusern gekommen oder in den Wiesen gelegen.
25.11. Die Theaterleut’, die die Arbeit, die Geber & die Nehmer & die Arbeitslosigkeit darstellen, die Erfahrungen, das Empfinden, den Alltag, die Leut’ sich selber. Was wer zu tun versucht in der und der Situation. Wem was einfällt. Augusto Boals Theater der Unterdrückten ist das; in Graz Interact . Die im Theater im Bahnhof machen oft auch ähnliche Sachen. Wie die Marx Brothers. Würd’ die allesamt gern dazu bringen, dass sie das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren durchprobieren, proben. Voraufführen. Wie das sein könnt’, gelingen. Mit der Armutskonferenz zusammen z. B. oder mit den Organisationen, die bei Österreich hilft Österreich dabei sind usf.
26.11. Eine Frau will wissen, ob die weit über 100 Corona-Todesfälle pro Tag die Intensivstationen entlasten, denn so werden ja regelmäßig wieder viele Intensivbetten frei, oder? Ich weiß nicht, wen ich da fragen kann. Trau mich gar nicht.
27.11. Eine andere Kollegin sagt, Gesundheitsminister Anschober habe Tränen in den Augen gehabt & gesagt, dass jetzt durch die Impfung die Hilfe für die Österreicherinnen & Österreicher komme. Die Frau will aber wissen, ob die Menschen unmittelbar vor der Corona-Impfung auf Corona schnell getestet werden & ob man vor der Impfung kurz auf den Gesundheitszustand untersucht werde, damit es keine Komplikationen & ungewollte Nebenwirkungen gibt. Sie sei niemals gegen Impfungen gewesen, aber überzeugt, es müsse mit größter Sorgfalt voruntersucht werden & dass eben der Staat hafte. Bei jeder Impfung sollte das so sein, dann wäre nämlich immer alles ganz einfach. Mit Impfgegnerschaft habe, was sie wolle, nichts zu tun, sondern es gehe um Gewissenhaftigkeit & Professionalität. Dauernd auch sage jetzt irgendein Politiker, dass er sich selbstverständlich gegen Corona impfen lasse, zumal er zu Vorbildlichkeit verpflichtet sei. Sie beeindrucke das nicht & sie verstehe das Argument nicht. Es sei denn, die Politiker lassen sich experimentell als Erste impfen & die Bevölkerung schaut, was dann geschieht. Andererseits, denke ich mir, wäre es nicht gut, würden die Systemerhalter systematisch weggeimpft werden. Wenn die also ausfielen! Das Gesundheitspersonal hierzulande hat jedenfalls verlauten lassen, sie sehen sich als Versuchskaninchen & seien sehr skeptisch! Aufgrund der Verantwortung für die anderen & für sich selber. (Was es alles gibt!)
28.11. Einer sagt, dass er sich bei Fernsehfilmen oft schreckt, weil weder Abstand gehalten noch Masken getragen werden. So weit ist es schon mit mir , lacht er, & weil im Radio jetzt einmal Die Luftqualität in Österreichs Städten hat sich dramatisch verbessert gesagt worden ist. Dass Wirtschaftskammerpräsident Mahrer gefleht habe, ohne Weihnachtsgeschäft können wir uns alle in Leintücher einwickeln & auf den Zentralfriedhof spazieren, sei auch witzig. Dann lacht er mich aus: Und du versagst sowieso völlig! Nämlich weil ich entgegen meiner Ankündigung (er sagt Propaganda ) in den Coronatagebüchern das Sozialstaatsvolksbegehren nicht erkläre, z. B. im Zusammenhang mit den Folgen des, meint er, die Wirtschaft & die Existenzen zerstörenden Lockdowns. Kannst nicht, gell? Ich sag was betreffend Jonathan Franzen, Fridays for Future, Freire, Bourdieu, Felber, Schulmeister, Werner Vogt. Nämlich dass ich’s Sozialstaatsvolksbegehren nächste Woche probieren werde zu erklären. Kopfschütteln.
29.11. Ich find’s lustig, was das Bundesheer alles können soll. Mir fällt da immer ein, wie heuer im Sommer die Frau Militärministerin in der Obersteiermark von leitenden Soldaten mittels Körperwackeln darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Ausrüstung, die sie am Leib tragen, sofort auseinanderfällt; zahlen müssen die sich auch die selbstverständlichsten Sachen selber.
30.11. Die Rosen um diese Zeit heuer; blühen von neuem, duften; & die vielen Knospen, Farben. Freundlich. Übermorgen ist wirklich Winter. Da sind die dann weg. Fehlen. Einmal ein Rosenwunder. Zwei Liebende, die sich trennen. Wann werden wir einander Wiedersehen? – Wenn die Rosen im Winter blühen . War dann der Fall.
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1.12. Einer zurück aus der Internen nach etlichen Wochen; immer dünn gewesen, dennoch noch 10 Kilo abgenommen; hat zum Glück keinen Krebs. Sich vormals lustig gemacht & geärgert, wie viel hintangestellt wird wegen Corona. Im Spital dann plötzlich 3 Zusatzzimmer für Coronakranke, auf demselben Gang, da in den vorgesehenen Krankenhäusern kein Platz mehr. Er habe diese Menschen schreien & weinen gehört aus den Zimmern heraus seinem gegenüber. (Österreich.)
2.12. Eine Lehrerin in Istanbul; geträumt, sie halte es nicht mehr in der Wohnung aus, gehe irrtümlich zur falschen Zeit aus der Haustür. Ein Polizist hält sie sofort auf. Sie stößt ihn weg & läuft davon. Schlägt sich zu Fuß zu einer Freundin am Stadtrand durch. Ist jetzt dort. Wie jetzt zurück? Braucht Zugang zu ihrer Arbeit. Hat auch nichts bei sich.
3.12. Einer ruft mich an, sagt, derjenige, mit dem ich soeben telefoniert habe, lasse sich vielmals bei mir entschuldigen, das Ganze sei ein Missverständnis gewesen. Ich glaube nicht, dass sich da wer wirklich entschuldigt hat. Der Freundliche jetzt am Telefon will m. E. (mit allen Mitteln, u.a. durch Erfindung) vermitteln. Gelingt ihm sofort. Toller »Dolmetsch«! Entschuldige mich auch.
4.12. Einer regt sich über die Lehrer auf, die sollen sich, wenn’s ihnen wirklich um die Kinder geht, die Masken notfalls selber kaufen. Verdienen eh so viel . Ich dann: 1 Maske für 3 Stunden = 2–3 Masken pro Arbeitstag; eine kostet zwischen 7 & 9 €, = ca. 400 € im Monat. Viel, oder? Geht nicht durch, mein Argument. Er, Betriebsrat, kein Lehrer, sollte, sag ich dann, schnell im eigenen Dienstleistungsbetrieb schauen, dass seine paar 100 Leute FFP2-Masken bekommen vom Arbeitgeber.
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