2.1. 18 Uhr 30: Nachtschicht. Die militärischste. Mir wird wieder gesagt, wie schwer meine erste Nacht war. Zerlege wieder mein Bett. Kann das erste Mal aufstehen, sodass es fixiert werden kann; die eigenen Beine Wohltat. Eine Schwester weckt mich versehentlich, entschuldigt sich. Dass ich schnell reagieren kann, hochschrecken, gibt mir aber ein gutes Gefühl, Kraft. In der Früh der Pfleger: Dass Ihr Bett gehalten hat, ist für mich ein Triumph! Wir lachen. Sagt: Gell, wo ich bin, passiert nichts . Zuerst geglaubt, es sei eine Machopartie, aber die Pfleger haben alle auf die Schwestern gehört wie auf Chefinnen.
3.1. Letzte Schicht: Wieder mein Lieblingspfleger. Erzählt seine Hobbys & dass sein Freund ohne Verfügung, er selber auch. Reden über die Ruhe auf der Intensiv. Als ob sich jede*r auf jede*n wirklich verlassen kann, ist es hier. Wenn eine*r ausfällt, sozusagen fällt, wird ihm, ihr die Genauigkeit & Sorgfalt & Verlässlichkeit zuteil, die er, sie selber aufbringt. Versprechen einander, uns in meinem Ort wiederzusehen. Werde auf die Station gebracht. Auch dort Sorgfalt. Seelsorger schon da. Beten. Reden über Moria. Bildet sich ein, auf EU-Ebene & in den Bundesländern tue sich viel. Glaube das nicht. Dass die Regierung, der Kanzler, den Kindern helfen wird, glaubt er selber nicht.
4.1. Dränge nach Hause, zumal jeder Tag & jede Nacht problemlos. Letzter Abend absurd. Falsch im System, wenn Hilfsschwestern fürs (Menschen-) Putzen, Essen & Spritzen zugleich zuständig sind. Personalmangel: Überforderung, Müdigkeit, unhygienisch, Gefahrenquelle. Mehrmals noch Telefonate mit einem Schulfreund. Klärt mich medizinisch auf & beschwört mich. Verspreche ihm alles, was ich halten werde. Sagt mir wieder, wie viel Glück ich gehabt habe. Ja, eben, diesen Sozialstaat begehre ich! (Für alle.)
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5.1. Dass die Aufgabe darin besteht, sich weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen, von wem ist das?
6.1. Zufluchtsorte. / Haltet ein, ihr Herren! , im seit Tagen ersten Film, den ich mir anschaue. Im nächsten sagt einer Zeithäufen . / Im Juni, Juli & August 2020 habe ich immer & immer wieder versucht, Kontakte aufzunehmen & herzustellen. Aber die Guten waren alle auf Urlaub. Wirklich. In Pension war einer auch gerade gegangen. Um die Pflegeversorgung, Vorsorge, für den Herbst war es mir gegangen & ums Sozialstaatsvolksbegehren als Ganzes. Stattdessen haben die dann was gemacht, das, glaube ich, Österreich hilft Österreich geheißen hat. (Spenden.) Ich war fix & fertig.
7.1. Freiheit heilt, von wem ist das? / Eine sagt zu mir wieder, dass Spinozas Ethik ein Tagebuch sei; wie ein solches zu lesen. / Meine Frau geht mit mir jeden Tag eine Stunde spazieren & jeden Abend spielt sie mit mir in der Wohnung Fußball. / Kreisky hat einmal gesagt, er fürchte sich vor der Zeit, in der eine neue Politikergeneration über die Leben bestimmen werde, welche die Zwischenkriegs- & Kriegszeit nicht erlebt habe. Diese Politiker werden nicht verstehen, was auf dem Spiel steht. Werden weder reagieren können noch präventiv sein. & einmal hat er beklagt, dass es keine öffentlichen Denker mehr gebe wie Otto Neurath. Den Neurath hat Kreisky sehr gemocht, weil der immer gut aufgelegt war & eine gute Idee nach der anderen hatte.
8.1. Freundlich sein, den Boden bereiten für Freundlichkeit.
9.1. Michelangelos Gedicht: Der Stein, der sagt: Weck mich nicht auf. Sprich leise . / Die Tierfilme, Gespräch: Eine Politikerin, die ich mag, verträgt nicht, wie die fremden Jungen umgebracht werden, um damit die eigenen zu füttern. Ich glaube auch, dass die Natur Blödsinn ist. / Die meisten Leute verwenden die Begriffe Helferhilflosigkeit & Helfersyndrom falsch. Jedenfalls nicht im Sinne des Erfinders (= Wolfgang Schmidbauer). In dessen Augen besteht das Problem darin, dass die Helfer & Helferinnen ihre Probleme & die ihrer Einrichtungen, die Arbeitsprobleme, nicht benennen, weil sie als Einzelne & als Ganzes perfekt sein müssen. Daher die Katastrophen.
10.1. Einer sagt, Geheimnisse sind sinnlos. / Gehe davon aus, dass von sozialdemokratischer Seite die Wiederholung des Sozialstaatsvolksbegehrens aus dem Jahr 2002 angedacht wurde im Sommer 2020. Dann hat man es wohl wieder sein lassen. Oder strategisch aufgeschoben. Heute dann ist der IHS-Chef Arbeitsminister geworden. Die Sozialdemokraten werden es also schwer haben. Als Sozialdemokraten. Wie nach dem Krieg am Anfang der Zweiten Republik & in den ersten Jahrzehnten braucht jetzt jeder jeden. Die Arbeitnehmer werden jetzt wirklich gebraucht. Als Konsumenten. Die Arbeitslosen auch. Aber den Sozialdemokraten wird das nichts nützen. Die sind immer hintennach. Die wollen ihre Institutionen halten & verlieren sie dadurch. Fällt nichts ein sonst. (In Ciceros Staatsschrift lautet ein Fragment: Durch Personalmangel haben wir den Staat verloren.)
11.1. Einer sagt, Ideen sind Luftschnapper. / Eine schreibt einem einen hundert Seiten langen Brief. (Mir nicht.) / Einmal hat es ein Ministerium aller Talente gegeben. In Österreich nie. / Gute Nachrichten sammeln & aufnotieren. / Eins teilt sich in zwei. Von wem ist das? / Fälligkeit. /Einmal letzten Sommer habe ich einen gefragt, ob seine Organisation einen Plan habe. Antwort: Nein. Den hat aber niemand . & einer hat im Sommer zu mir gesagt, jetzt werde alles in Ordnung gebracht. Man sei durch die Schnelligkeit der Ereignisse überfordert gewesen, aber die Pflege eben z. B. werde in Ordnung gebracht, alle sagen ihm das so. Ich erwiderte: Das geht nicht. Die können das nicht. Es ist etwas Systemisches . / Mir wird gesagt, ich müsse mich unbedingt impfen lassen, sei gefährdet, hätte im Ernstfall keine Chance. Nichtsdestoweniger war ich, seit ich ein Schreibender & Veröffentlichender & Vortragender bin, immer vorsorgend, für die Vorsorge eben, angesichts dessen, was kommen wird. Das gewesen zu sein, nehme ich tatsächlich in Anspruch. / Beim Spazierengehen, die Leute sind immer sehr freundlich. Viel mehr gegrüßt wird, kommt mir vor. Luft hab ich auch viel mehr. / Bin angewiesen, jeden Morgen vor dem Blutdruckmessen 20 Minuten Ruhe zu geben & zu halten. Bete da immer zwei kurze Hebräische, die ich sehr mag. & dann mache ich Lachyoga, Haha gegen die Angst, Hehe fürs Immun, Hihi, damit mein Kopf wach ist, Hoho gegen den Groll & Huhu für die Verdauung. Gut. Sodann bekomm ich meinen Kakao. Der wird auch jeden Tag besser.
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12.1. Beim Blutdruckmessen steche ich mir mit dem Gerät in den Daumen; glaube nicht, dass sonst wer kann, wozu ich imstande bin. / Beim Spazierengehen: vor einem Haus eigentlich ein Freimaurerkreuz, großes. In den USA die schwarzfarbigen Freimaurer fallen mir ein, wie stolz sie durch die Stadt marschierten.
13.1. Einer redet am Telefon eine halbe Stunde lang auf mich ein; beantworte jede seiner ihm dringlichen Fragen & einmal muss ich aufs Klo. Als ich wieder da bin, sagt er, ich sei sehr geschwächt & er mache sich Sorgen. Fängt wieder an, auf mich einzureden; werde zornig. Vor ein paar Tagen hat er geglaubt, ich könne einfach weitermachen, als sei nichts passiert; aufstehen & weiter geht’s. Tut’s ja eh. Ich muss aber aufpassen. & er hat Angst, z. B. vor der Zukunft, z. B. seiner, z. B. beruflichen. Bemüht sich, guter Dinge & Laune zu sein. Sprudelt vor Lebensfreude. Schön ist das. Ich muss das Telefonat aber beenden, aus Schwäche. In der Nacht heut, 24 h, hat mich aus der BRD ein netter Soziolog’ angerufen zum Tratschen. Ruft mich immer aufs Festnetz an; kapier nie, warum das für ihn billiger ist. Bin zum Telefon gelaufen, hab ja nicht gewusst. Ui, so unhöflich war ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr! Funktioniert noch alles bei mir! Gott sei Dank!
14.1. Einer sagt heute zu mir, ich sei ein Verschwörungstheoretiker. Oder ein Sympathisant. Erwidere: Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, sondern ein Verschwörungspraktiker. Eigentlich bloß Praktikant. Seit Jahrzehnten nur ein Verschwörungspraktikant . Mein Gegenüber erwidert, dass das nicht so lustig sei von mir, wie ich vielleicht glaube. Erkläre daher Erasmus. Die Querela pacis . Bilde mir halt ein, dass dort (vor 30 Jahren gewiss) gestanden ist: Conspirate in nomine Jesu! & Coniurate inter vos in nomine pacis! Oder so ähnlich. Vor Jahrzehnten auch & Jahren hab ich Jean Ziegler & einmal Rupert Neudeck nach Graz einzuladen versucht (& noch ein paar); wollten kommen, hätten nichts, wie man so sagt, gekostet. Ist gescheitert – woran? Pscht! (Geschäftsleute da hier.)
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