»Die Spurensicherung ist jedenfalls schon vor Ort, ein Mann wurde tot in seinem Haus aufgefunden.«
»Der läuft ja dann wohl nicht mehr weg«, kommentierte Siebels süffisant.
»Aber die Pietät trägt ihn weg, wenn Sie nicht in die Gänge kommen. Der Einsatz hat heute Morgen schon um sieben begonnen.«
»Ich brauche aber noch das Passwort für meinen Computer, den Schlüssel für meinen Dienstwagen, meine Dienstwaffe und einen Dienstausweis.« Siebels kam sich fast ein bisschen hilflos vor am ersten Arbeitstag in seinem dritten Arbeitsleben.
»Das erledigen wir heute Mittag, ich kümmere mich um alles. Am besten fahren Sie jetzt erst mal mit Ihrem Privatwagen, das rechne ich dann ab.«
»Haben Sie auch einen Nachnamen, Jasmin?«
»Jasmin Müller, aber nennen Sie mich ruhig Jasmin, das ist schon in Ordnung.«
Siebels reichte Jasmin die Hand. »Hallo, Jasmin, auf eine gute Zusammenarbeit. Sie können mich Steffen nennen. Oder Siebels und Du – das machen alle.«
»Alles klar, Siebels. Ich habe übrigens schon viel von dir gehört und freu mich voll auf die Zusammenarbeit. Aber jetzt mach hin, die haben schon dreimal angerufen, ob da heute noch mal jemand vorbeikommt.«
Siebels erhob sich seufzend von seinem Stuhl, als Till gemütlich mit zwei Papiertüten von der Bäckerei ins Büro geschlendert kam.
»Guten Morgen, Herr Kollege«, begrüßte Siebels seinen alten, neuen Partner und freute sich, ihn endlich wiederzusehen.
»Hey super, jetzt seid ihr ja komplett«, mischte sich Jasmin ein. »Ihr könnt mich jederzeit anrufen, wenn ihr Unterstützung bei den Ermittlungen benötigt. Bis später, tschau.«
»Ich habe Croissants besorgt«, sagte Till und schaute ihr verdutzt hinterher. »Nach frischem Kaffee riecht es hier aber noch nicht.«
»Die Kaffeefrage klären wir später mit Jasmin.«
»Wer ist Jasmin?«
»Na die Kleine von eben. Sie ist unsere Assistentin.«
»Wir haben eine Assistentin? Wow.«
»Ich befürchte, die ist noch schlimmer, als es Jensen früher war«, murrte Siebels.
»Eine Assistentin, die schlimmer als ein Staatsanwalt ist? Hm, die Zeiten haben sich wohl geändert.«
»Wo müssen wir denn hin?«, wollte Till wissen, als sie im Wagen von Siebels saßen.
»Auf den Riedberg. Martin Schlosser wurde in seinem Haus heute früh tot aufgefunden. 49 Jahre alt, Rechtsanwalt von Beruf. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Wahrscheinlich ist Anna auch dort«, überlegte Till. »Die war heute Morgen jedenfalls schon weg, als ich aufgestanden bin.«
»Sehr gut. Ich freue mich über jedes bekannte Gesicht. Als ich heute Morgen ins Präsidium kam und ins Büro gegangen bin, kam ich mir vor wie ein Besucher.«
»Was hast du erwartet? Den Polizeichor, der vor dem Eingang auf dich wartet und ein Willkommensliedchen trällert?«
Siebels behielt seinen merkwürdigen Traum für sich. »Irgendjemand, der mich begrüßt und sich erfreut zeigt, dass ich wieder da bin.«
»Ja, ich wollte ja auch eine halbe Stunde eher da sein und das erledigen. Aber ich bin noch mal eingeschlafen, nachdem der Wecker geklingelt hat. Und Anna war ja schon unterwegs.«
»Ich hatte da eigentlich an jemanden Höherrangiges gedacht«, entgegnete Siebels mit einem Schmunzeln.
»Hey, ich bin nicht mehr der kleine Oberkommissar von damals, sondern ein ehemaliger hochdekorierter LKA-Kommissar. Nicht vergessen, gelle.«
»Ich erinnere mich da an einen vom Dienst suspendierten Kommissar. Aber egal, bin froh, dass du jetzt wieder jeden Tag neben mir sitzt.«
»Ja, kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, als wir zuletzt für die Mordkommission unterwegs waren.«
»Das war der Fall mit der ermordeten Lehrerin und dem schizophrenen Schüler. Ganz schön heftig war das. Was aus dem wohl geworden ist?«
»Keine Ahnung. Schauen wir lieber nach vorne und nicht zurück. Ein ganz simpler Mordfall für den Wiedereinstieg, das wäre doch mal schön.«
»Einen ganz simplen Mordfall, hatten wir so was überhaupt schon mal?«
»Jedenfalls war keiner dabei, den wir nicht aufgeklärt hätten. Beim LKA war ich nicht immer so erfolgreich.«
»Wir sind schon da«, kam Siebels in die Gegenwart zurück. Die Straße auf dem Riedberg, einer Neubausiedlung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, die den Anschein erweckte, als wäre sie aus einem Lego-Baukasten entstanden, hieß Skylineblick. Von hier aus konnte man auf die Frankfurter Innenstadt und weit darüber hinaus blicken. Mehrere Doppelhaushälften mit unterschiedlichen Farbanstrichen lagen am Rande des Stadtteils, eine davon war mit rotweißem Absperrband weiträumig abgesperrt. Zwei Streifenwagen sowie drei Zivilfahrzeuge standen vor dem Haus.
Siebels stellte seinen Wagen dahinter ab. Als die beiden über das Flatterband steigen wollten, wurden sie von einem uniformierten Polizisten zurückgepfiffen.
»Hey, Sie«, rief er mit empörter Stimme. »Machen Sie sich mal ganz schnell vom Acker, das ist ein abgesperrter Bereich. Oder glauben Sie vielleicht, wir veranstalten hier einen Hindernislauf?«
Siebels machte kehrt, hob beschwichtigend die Hände und ging auf den Mann zu. »Wir sind von der Mordkommission, ich bin Steffen Siebels und das ist mein Kollege Till Krüger.«
»Ach so. Na da müsste ich aber trotzdem erst mal einen Blick auf Ihre Dienstausweise werfen.«
»Die liegen noch bei Jasmin«, seufzte Siebels.
»Aha. Veräppeln kann ich mich auch selbst. Wenn Sie nicht gleich verschwinden, bekommen Sie Probleme, haben wir uns verstanden?«
Siebels stand ratlos vor dem Polizisten, er wusste nicht einmal die Durchwahl von Jasmin. Till hatte aber schon das Handy am Ohr und sprach mit seiner Frau Anna, die als zuständige Gerichtsmedizinerin tatsächlich im Haus war. Sie erschien gleich darauf an der Haustür, rief den Polizisten zu sich und redete kurz mit ihm. Der kam dann kopfschüttelnd zu Siebels und Till zurück.
»Dann gehen Sie mal rein. Aber beim nächsten Mal bitte mit Dienstausweisen. Oder bringen Sie meinetwegen Jasmin mit, wenn die sie hat.«
»Mein Kollege war eigentlich der Meinung, dass ihn jeder Polizist in Frankfurt und dem Rest der Welt auf Anhieb erkennt«, flachste Till und ging zum Hauseingang, wo Anna ihn und Siebels erwartete.
»Das geht ja schon wieder gut los mit euch beiden«, zeigte Anna sich amüsiert. »Na, dann kommt mal rein und verschafft euch einen Überblick. Der Tote hieß Martin Schlosser und wohnte seit seiner Scheidung allein hier im Haus. Das habe ich von den Beamten erfahren, die die Nachbarn schon befragt haben. Er wurde erschlagen, wahrscheinlich mit einer Skulptur, die zur Wohnungseinrichtung gehört.«
Siebels und Till streiften sich Überzieher über die Schuhe und standen kurz später vor dem Toten, der mit Anzug, Hemd und Krawatte bekleidet auf dem Rücken lag, um den Kopf eine Blutlache.
»Die Herren von der Mordkommission sind also auch endlich eingetroffen«, seufzte eine Frau mittleren Alters in Uniform und reichte den beiden Kommissaren die Hand. »Ich bin Petra Schlesinger vom 14. Revier. Wir wurden um 6:30 Uhr verständigt, nachdem ein Notruf eingetroffen ist.«
Siebels stellte zunächst sich und Till vor. »Dann lassen Sie mal hören«, forderte er die Beamtin auf.
»Der Notruf kam von einem Kollegen des Opfers.« Petra Schlesinger zog einen kleinen Notizblock aus der Jackentasche und warf einen Blick darauf. »Dieser Kollege ist wie das Opfer von Beruf Rechtsanwalt. Er heißt Nils Brenner. Das Opfer heißt Martin Schlosser. Die beiden wollten mit dem Auto gemeinsam zu einem Seminar nach Stuttgart fahren und waren hier um 6:15 Uhr verabredet. Die Haustür stand zu dieser Zeit einen Spalt weit offen. Als sich auf das Klingeln und Klopfen von Herrn Brenner nichts rührte, ist er durch die geöffnete Haustür ins Haus gekommen und dort auf den Toten getroffen. Er hat dann unverzüglich den Notruf gewählt. Es gibt keine Einbruchspuren, von den unmittelbaren Nachbarn hat niemand etwas Auffälliges bemerkt.«
Читать дальше