Die Zeitenwende brachte übrigens unnachahmlich Joseph Roth zu Papier. In seinem Werk „Radetzkymarsch“ lässt er eine seiner Hauptfiguren Folgendes sagen: „Ja, es scheint, dass Gott selbst die Verantwortung für die Welt nicht mehr tragen will. Es war damals leichter! Alles war gesichert. Jeder Stein lag auf seinem Platz. Die Straßen des Lebens waren wohl gepflastert. Die sicheren Dächer lagen über den Mauern der Häuser. Aber heute, Herr Bezirkshauptmann, heute liegen die Steine auf den Straßen quer und verworren und in gefährlichen Haufen, und die Dächer haben Löcher, und in die Häuser regnet es, und jeder muss selber wissen, welche Straße er geht und in was für ein Haus er zieht.“
Oder, in den Worten einer untergegangenen Sprache: Estote parati. – Seid bereit.
EIN GLEICHNIS ZU WEIHNACHTEN
Für die meisten ist Weihnachten eine liebe Tradition, die an die eigene Kindheit erinnert und einmal im Jahr in schönem Rahmen die religiösen Bedürfnisse befriedigt. Doch nach christlichem Glauben geht es am Heiligen Abend um etwas ganz anderes; um sehr viel mehr: um etwas, das nichts mit Konsum, Wohlfühl-Religion oder der Verharmlosung von Jesus zu tun hat.
Wenn man einem kleinen Kind die Bedeutung des christlichen Weihnachtsfestes erklären wollte, dann vielleicht so:
„Stelle dir einen voll besetzten Reisebus vor. Er rast einen steilen Abhang hinab. Die Bremsen sind defekt; die Insassen des Reisebusses befinden sich in Todesgefahr. Das Unglück scheint kaum noch zu verhindern zu sein. Der Busfahrer hat nur eine einzige Chance, um das Leben der Insassen zu retten: Er muss den Bus auf die nahe gelegene Wiese auslenken und dort zum Stehen bringen. Doch auf dieser Wiese spielt ein kleiner Junge. Er ist der einzige Sohn des Busfahrers, der keine Chance hätte, dem heranrasenden Bus auszuweichen. Sein Leben für das der anderen Menschen. Kurz bevor der Bus die Wiese erreicht, steht der Junge auf. Er hat die Situation blitzschnell erfasst. Er blickt in die Augen seines Vaters und nickt ihm bejahend zu. Kurze Zeit später kommt der Bus im aufgeweichten Boden der Wiese zum Stillstand. Das Leben der Insassen ist gerettet. Alle diese Menschen in dem Reisebus – das sind wir. Der Name des Jungen? Jesus. Und doch gibt es keinen Grund zur Trauer. Ganz im Gegenteil. Das Kind, Jesus, ist nicht tot. Nach christlichem Glauben sitzt es jetzt zur Rechten Gottes.“
Und zu Weihnachten feiert die Welt die Geburt von Jesus.
1 Erpressbar und ängstlich hingegen ist der reine Materialist. Er hat nichts anderes als das eigene „Hiersein“ und seinen Komfort. Wer ihm das nimmt, nimmt ihm alles. Die tief sitzende Angst vieler hat ihren Ursprung darin, dass unsere Konsumgesellschaft als neue Volkskirche in allen Belangen von einer rein materiellen Lebensvorstellung geprägt ist. Je materialistischer Menschen sind, desto auswegloser ist ihre Angst und die Abhängigkeit vom bequemen Leben: Denn ist man Materialist durch und durch, glaubt man also in letzter Konsequenz, dass, wenn dieses Leben vorbei ist, alles zu Ende sei, ist man leicht erpressbar. Für ihre „quasi-paradiesische“ Vorstellung vom bequemen Leben sind die Bürger Europas gegenwärtig sogar bereit, im Kampf gegen den Terror leichtfertig ihre Grund- und Freiheitsrechte aufzugeben; dies, um sich für nur kurze Zeit Sicherheit zu erkaufen und ganz im Sinne des sich formierenden Orwell’schen Überwachungsstaates, der wie so oft in der Geschichte „die Freiheit im Namen der Freiheit abschafft“1. Rein aus Furcht vor dem Ende der Annehmlichkeiten werden auch wiederholt Pleitebanken und Pleitestaaten auf Kosten künftiger Generationen mit gigantischen, nicht mehr vorstellbaren Summen und Haftungen vor dem Bankrott gerettet und als unfähig erwiesene Politiker im Amt belassen oder der irrwitzige Selbstlauf gescheiterter Institutionen, Ämter und Konferenzen nicht gestoppt. Dabei attestierte schon Albert Einstein, dass es wohl „die reinste Form des Wahnsinns ist, alles beim Alten zu lassen, und trotzdem zu hoffen, dass sich etwas ändert“. Die Zeitenwende brachte übrigens unnachahmlich Joseph Roth zu Papier. In seinem Werk „Radetzkymarsch“ lässt er eine seiner Hauptfiguren Folgendes sagen: „Ja, es scheint, dass Gott selbst die Verantwortung für die Welt nicht mehr tragen will. Es war damals leichter! Alles war gesichert. Jeder Stein lag auf seinem Platz. Die Straßen des Lebens waren wohl gepflastert. Die sicheren Dächer lagen über den Mauern der Häuser. Aber heute, Herr Bezirkshauptmann, heute liegen die Steine auf den Straßen quer und verworren und in gefährlichen Haufen, und die Dächer haben Löcher, und in die Häuser regnet es, und jeder muss selber wissen, welche Straße er geht und in was für ein Haus er zieht.“ Oder, in den Worten einer untergegangenen Sprache: Estote parati. – Seid bereit.
Wie anders war da noch die Einstellung des britischen Außenministers John William Ward, 1. Earl of Dudley (1781–1833), der sagte, dass „die Menschen in Paris eine vortreffliche Polizei haben; aber sie bezahlen die Vorteile teuer. Ich will lieber, dass alle drei bis vier Jahre ein halb Dutzend Menschen in Ratcliffe Road erwürgt werden, als dass ich den Haussuchungen, der Spionage und all den anderen Machenschaften Fouchés ausgesetzt bin.“ Joseph Fouché (1759–1820) war ein Politiker der Französischen Revolution und Polizeiminister. Er galt als äußerst brutal und rücksichtslos und etablierte den ersten Überwachungsstaat.
ERSCHIENEN AM 23. 8. 2015
DAS GESCHÄFT MIT DEN GENOSSENSCHAFTSWOHNUNGEN
Mieter von Genossenschaftswohnungen müssen an die Wohnbaugenossenschaft monatlich Raten für längst abbezahlte Kredite zahlen. Was sich wie ein schlechter Witz anhört, ist in Österreich Gesetz und trägt den kryptischen Namen „Auslaufannuität“. Das Wortungetüm soll diesen Skandal vertuschen.
Jeder sechste Bürger Österreichs lebt in einer Genossenschaftswohnung, von denen es landesweit etwa 925.000 gibt. Eine gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft soll einkommensschwachen Menschen günstiges Wohnen ermöglichen. Daher darf die Genossenschaft nur so viel Miete verlangen, um gerade noch die laufenden Kosten zu decken. Einen Gewinn erzielen soll sie nicht; denn genau darin liegt ja die Mietersparnis für den Mieter. Kurzum: Die Genossenschaft soll an der Vermietung nichts verdienen. Wohnen wird dadurch günstig. Soweit das hehre Ideal der gemeinnützigen Genossenschaft.
Doch aufgrund einer skandalösen Gesetzesbestimmung holen sich gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften von ihren einkommensschwachen Mietern – frech – eine Art „Sondergewinn“. Und das funktioniert so: Die Errichtung der Wohnanlage wird fast immer mit einem Bankkredit finanziert. Den haben hinterher die Mieter monatlich abzustottern. In der Mietvorschreibung gibt es dafür den Posten „Annuitäten“ (die Rate des Mieters zur Kreditrückzahlung). Die „Annuitätenzahlungen“ betragen pro Mieter und Jahr oft mehr als 1000 Euro. Die Genossenschaft kassiert das Geld ein und leitet es an die Bank weiter.
Doch sobald der Bankkredit abbezahlt ist, dürfen die Genossenschaften die monatlichen Annuitätenzahlungen von den Mietern einfach weiter einheben und selbst kassieren! Mieter mit niedrigem Einkommen müssen an die Genossenschaft also Raten für einen bereits abbezahlten Kredit zahlen. In der Mietvorschreibung wird kurzerhand aus dem Posten „Annuitäten“ der Posten „Auslaufannuitäten“. Der idiotische Begriff soll diesen Skandal verschleiern. Bei Mieterbeschwerden heißt es von Genossenschaftsseite dann gerne, dass man zur Einhebung gesetzlich berechtigt sei. Das Geld würde für andere Kredite verwendet werden oder ginge in eine Rücklage. Dass es danach ins freie Vermögen der Genossenschaft fällt, wird nicht erwähnt.
Und dass es bei so einem Gebaren naturgemäß zu Fragwürdigkeiten, Misswirtschaft, Bonzentum oder Freunderlwirtschaft kommt, versteht sich von selbst. Man denke an die Zeitungsmeldung über eine Jahresgage der drei Vorstände der Wiener gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft „Sozialbau AG“ in Höhe von 1,013 Millionen Euro oder die Tatsache, dass die drei Chefs in den Jahren 2010 bis 2012 von der Genossenschaft Kredite in Höhe von rund 950.000 Euro erhielten. Es war übrigens auch die „Sozialbau“, die dem Genossen Nationalratsabgeordneten Josef Muchitsch trotz eines Monatsgehaltes von 8800 Euro netto eine Sozialwohnung vermietete. In bester Erinnerung ist auch der Bericht des Rechnungshofes, der bei drei weiteren gemeinnützigen Bauträgern feststellte, dass die Mieten höher als die Kosten waren, es zu hohe Vorstandsgehälter gab, wettbewerbsrechtlich bedenkliche Honorarordnungen im Spiel waren, derselbe Architekt von 18 Bauvorhaben 12 erhielt und die Annuitäten kurz vor der letzten Kreditrate plötzlich sprunghaft anstiegen, um so zu überhöhten Auslaufannuitäten zu werden.
Читать дальше