Es kam sehr viel darauf an, die Wilden sich nicht in der Felsenwindung festsetzen zu lassen, sondern gleich mit ihnen einzudringen; deshalb trieb ich Swallow durch Busch und Dorn, über Stock und Stein an der ganzen Reihe der Verfolgenden vorüber und war bald an der Seite Winnetous, welcher sich immerfort würgend an die Fersen der Flüchtenden geheftet hatte.
Jetzt bogen sie links nach dem Tore ein, und eben wollte der vorderste sein Pferd in die Enge lenken, als aus derselben ein Schuß fiel und er leblos vom Tiere stürzte. Sofort krachte es zum zweitenmal; der nächste ward bügellos, und da die bestürzten Wilden sich auf diese Weise den Eingang verwehrt und zu gleicher Zeit von uns fast umzingelt sahen, so brachen sie in der Richtung nach dem Mankizila durch und flohen, immer wieder verfolgt von den Dragonern, dem Wasserlaufe entlang davon.
Nicht geringer als die Bestürzung der Wilden war auch mein Erstaunen über die Schüsse, welche unsere Absicht so kräftig unterstützten oder vielmehr unnötig machten. Aber ich sollte nicht lange im Zweifel über den mutigen Schützen sein, denn noch war der Hufschlag der Davonreitenden nicht verhallt, so lugte aus einem Walde von struppigen Barthaaren eine gewaltige Nase, über welcher ein Paar kleine, listige Äuglein funkelten, vorsichtig hinter der Felskante hervor, und da kein feindliches Wesen zu bemerken war, so schoben sich die übrigen Körperteile vertrauensvoll hinter dem rekognoszierenden Riechorgane her.
»Segne meine Augen, Sir! Welche Büchse hat denn auch Euch wieder hierhergeschossen, wenn ich mich nicht irre?« fragte der kleine Mann, ebenso erstaunt über meinen Anblick, wie ich über den seinen.
»Sam, Ihr seid’s? Wie kommt denn Ihr in das Tor? Habe Euch doch mit diesen meinen eigenen Augen fortreiten sehen!«
»Fortreiten, Sir? Danke für den Ritt! War eine Bestie, die gar nicht von der Stelle kam und ihre alten Knochen mir so zwischen den Beinen herumschüttelte, daß diesem alten Coon die seinigen auseinander gegangen wären, wenn er das dumme Tier nicht hätte laufen lassen. Bin dann wieder zurückgeschlichen, hihihi; dachte mir, daß die Roten alle hinter euch her seien und die ›Festung‹ leer gelassen haben würden, wie mir scheint. Fand es auch so. Haben sich schön gewundert, als sie wieder zurückkamen, und machten Gesichter, meine ich, Gesichter, hihihi! Aber wo bringt Ihr denn die Kommißleute her, Sir?«
»Wir werden wohl erfahren, welche Absicht sie grad jetzt, so sehr zur richtigen Zeit, in diese abgelegene Gegend führt. Ihr plötzliches Erscheinen kommt mir wie ein Wunder vor, und ich möchte fast sagen, daß sie uns gerettet haben.«
»Das sage ich nicht. Old Shatterhand, Winnetou und Sam Hawkens sind Leute, die sich selbst zu retten verstehen. Aber um diesen roten Ponkas für lange Jahre einen Denkzettel anzuhängen, dazu kamen sie grad zum rechten Augenblicke. Meint Ihr, daß wir ihnen jetzt gleich nachreiten?«
»Wozu? Sie werden auch ohne uns mit den Indsmen fertig. Das hat Winnetou auch gedacht, denn er ist mit Harry hinein in das ›Schloß‹ geritten. Wollen auch hinein, um nach unsern Toten zu sehen.«
Als wir den Eingang passiert hatten und in dem für uns so verhängnisvoll gewordenen Talkessel ankamen, sahen wir an der Stelle, wo in der vergangenen Nacht der Kampf stattgefunden hatte, Winnetou und Harry mit der Leiche Old Firehands beschäftigt. Der weinende Harry hielt den Kopf seines Vaters im Schoße, und der Apache untersuchte die Schußwunde. Grad als wir hinkamen, hörten wir Winnetou rufen:
»Uff, uff, uff! Er ist noch nicht tot – er lebt!«
Das war ein Wort, welches uns förmlich elektrisierte. Harry jauchzte vor Freude hell auf. Wir beteiligten uns natürlich an den Bemühungen des Apachen und hatten wirklich die Genugtuung, daß Old Firehand nach einiger Zeit die Augen öffnete. Er erkannte uns und hatte für seinen Sohn ein leises Lächeln; sprechen aber konnte er nicht; das Bewußtsein schwand ihm sehr bald wieder. Ich untersuchte ihn auch. Die Kugel war ihm rechtsseitig vorn in die Lunge gedrungen und hinten wieder hinausgegangen, eine sehr schwere und mit vielem Blutverluste verbundene Verwundung; aber trotzdem und obgleich er erst vor kurzem an der Bahn verwundet worden war, stimmte ich der Meinung des Apachen bei, daß der Blessierte infolge seiner mehr als kräftigen Natur bei allerdings außerordentlich sorgfältiger Behandlung zu retten sein werde. Er wurde nach Winnetous bewährter Weise verbunden und erhielt ein so vorzügliches Lager, wie die Örtlichkeit und die Umstände es gestatteten.
Dann konnten wir an uns selbst auch denken; es war von uns keiner ohne Verletzung davon gekommen, und so flickten wir einander zusammen, so gut es gehen wollte. Die Andern aber hatten die Mißachtung meiner Warnung alle mit dem Tode bezahlt.
Gegen Mittag stellten sich die Dragoner ein. Sie hatten die Ponkas vollständig zu Paaren getrieben und dabei keinen einzigen Mann eingebüßt. Der kommandierende Offizier teilte uns mit, daß ihr Erscheinen kein zufälliges gewesen sei. Er hatte gehört, daß die Ponkas die Absicht gehabt hätten, den Zug entgleisen zu lassen, und sofort beschlossen, sie dafür zu züchtigen. Er war zu ihnen aufgebrochen und ihnen, als er hörte, daß sie einen Kriegs-und Rachezug unternommen hätten, auf dem Fuße gefolgt. Um seine Pferde ausruhen zu lassen, blieb er mit den Truppen drei Tage in dem Tale, während welcher Zeit die Toten beerdigt wurden, und lud uns ein, Old Firehand, sobald dieser den Transport aushalten könne, nach Wilkes Fort zu bringen, wo er wenn auch keine aufopferndere Pflege, so doch bessere ärztliche Behandlung finden werde. Wir sagten natürlich zu.
Daß mein alter Sam Hawkens über den Tod Dick Stones und Will Parkers tief betrübt war, versteht sich ganz von selbst. Er versicherte wiederholt, jeden Ponka, der ihm begegne, in Zukunft ohne Gnade erschießen zu wollen. Ich aber beurteilte auch diesen Fall anders: Parranoh war ein Weißer; ich stand also vor einer abermaligen Wiederholung meiner alten Erfahrung, daß der Indianer nur durch die Bleichgesichter das geworden ist, was er heute ist. – – -
Inhaltsverzeichnis
Es war drei Monate nach den zuletzt beschriebenen Begebenheiten, deren Folgen trotz dieser langen Zeit noch nicht an uns vorübergegangen waren. Die Hoffnung, Old Firehand retten zu können, hatte sich zwar erfüllt, aber seine Genesung schritt außerordentlich langsam vorwärts; er konnte vor großer Schwäche noch nicht aufstehen, und wir hatten unsern ursprünglichen Gedanken, ihn nach dem Fort zu transportieren, aufgegeben; er sollte bis zu seiner vollständigen Gesundung in der ›Festung‹ bleiben, wo, wie wir uns überzeugt hatten, die Pflege durch uns für ihn hinreichend war.
Harrys Verwundung hatte sich glücklicherweise als nicht bedeutend herausgestellt. Winnetou war an vielen Stellen seines Körpers, doch auch nicht gefährlich, verletzt gewesen, und seine Wunden gingen nun der vollständigen Vernarbung entgegen. Die Schrammen und Kniffe, welche ich erhalten hatte, waren von keiner Bedeutung; sie taten bei der Berührung zwar noch weh, doch war ich gegen Schmerzen wie ein Indianer abgehärtet. Am besten war Sam Hawkens davongekommen; er hatte einige ganz unbedeutende Quetschungen erlitten, welche eigentlich gar nicht erwähnt zu werden brauchen.
Es war vorauszusehen, daß Old Firehand sich selbst nach seiner vollständigen Genesung noch lange, lange Zeit zu schonen haben werde; das Leben eines Westmannes sofort wieder zu beginnen, war für ihn eine Unmöglichkeit; darum hatte er sich entschlossen, sobald er die Reise unternehmen könne, nach dem Osten zu seinem älteren Sohne zu gehen und Harry mitzunehmen. Da verstand es sich denn ganz von selbst, daß die Vorräte von Fellen, welche er mit seiner Pelzjägergesellschaft gesammelt hatte, nicht liegen bleiben konnten; sie mußten verwertet, das heißt also, verkauft werden. Auf dem Fort gab es gegenwärtig leider keine Gelegenheit dazu, und doch war es für Rekonvaleszenten wenn nicht schwer, so doch höchst unbequem, eine solche Menge von Fellen weit fort zu transportieren. Wie war dem abzuhelfen? Da half uns einer der Soldaten, welche für einige Zeit zu unserm Schutze bei uns zurückgelassen worden waren, mit einem guten Rate aus. Er hatte erfahren, daß sich drüben am Turkey-River ein Pedlar aufhielt, welcher alles Mögliche, was ihm angeboten wurde, aufkaufte und dabei nicht bloß Tauschgeschäfte trieb, sondern die erhandelten Waren auch mit barem Gelde bezahlte. Dieser Mann konnte uns aus der Verlegenheit helfen.
Читать дальше