»Weil ich genau weiß, wie du zu dem Projekt stehst«, machte sie ihm klar. »Dir stoßen die neuen Entwicklungen gewaltig auf, du gibst es nur nicht zu. Aber denk bitte ausnahmsweise auch einmal an mich. Das ist eine ideale Möglichkeit, meinen Umsatz sprunghaft zu verbessern.«
Obwohl Leopold daran lag, einen Disput vor dem Schlafengehen zu vermeiden, konnte er Erikas Behauptungen nicht gelten lassen. »Inwiefern?«, fragte er vorsichtig.
»Da sieht man, dass du keine Ahnung vom Unternehmertum hast, Schnucki. So eine neue Sehenswürdigkeit schafft Kaufanreize«, belehrte Erika ihn. »Eichendorff am Bisamberg, Eichendorff in Floridsdorf, Eichendorff überall und in aller Munde. Die Leute werden mehr über ihn wissen wollen, sind neugierig, was er geschrieben hat. Wer ›in‹ sein will, muss sein Buch Aus dem Leben eines Taugenichts gelesen haben, in dem die Reise des Helden nach Wien und seine Tätigkeit als Gärtner im Schloss Seebarn beim Bisamberg genau beschrieben wird.«
»Diese Menschen kommen dann in Scharen ausgerechnet zu dir und kaufen dieses kleine Büchlein«, konnte sich Leopold eines gewissen Sarkasmus nicht enthalten.
»Das und noch viel mehr«, ereiferte sich Erika. »Was glaubst du, welche Möglichkeiten sich erst eröffnen, wenn ich den Begriff ›Romantik‹ gezielt einsetze? Mein Geschäft zur Spezialbuchhandlung für Romantik nördlich der Donau wird? Das sind Dinge, die über dein Begriffsvermögen hinausgehen.«
»Und wie willst du das alles anstellen?«
»Durch gezielte Werbung, durch Vernetzung mit anderen Floridsdorfer Geschäftsleuten. Darum ist unsere Besprechung so wichtig, Schnucki! Wir müssen Synergien schaffen. Dann ergibt sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit automatisch. Vielleicht kommt mich auch eines Tages das Fernsehen besuchen und macht ein Interview mit mir …«
»Ich möchte dir deine Illusionen nicht nehmen«, schnitt ihr Leopold das Wort ab, »ich möchte mir auch nicht deinen Kopf über die Realisierung dieser Träume zerbrechen. Sag mir nur eines: Warum nimmst du an, ich hätte vor, euer Treffen zu sabotieren? Noch dazu, wo meine Chefin höchstpersönlich daran teilnimmt?«
»Leider weiß ich nur zu gut, dass du dich gerne einmischst, wenn es darum geht, dem, was du für Gerechtigkeit hältst, zum Sieg zu verhelfen«, setzte Erika ihm auseinander. »Da ist es dir dann auch egal, ob du dir mit deiner Chefin in die Haare gerätst. Also denk bitte nicht einmal im Traum daran, Spione auszuschicken, die uns belauschen, unsere Diskussion durch kleine Bosheiten zu stören oder sonst etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Wir brauchen unsere Ruhe! Es reicht, dass eine zweite Gruppe in unserer Nähe sitzt. Aber die gehört ja Gott sei Dank zu unserem Thomas Korber. Auf den kann man sich verlassen. Stifte ihn mir nur nicht an, Schnucki!«
»Das ist wieder einmal typisch, dass du Thomas mehr vertraust als mir«, schüttelte Leopold beleidigt den Kopf. »Dabei ist er gerade wieder in einer schwierigen Phase.«
»Schwierig, aber harmlos«, ging Erika darüber hinweg. Im Gegensatz zu Leopold wusste sie über Korbers Avancen bei seiner Tochter Sabine und deren wechselnden Erfolg Bescheid.
»Harmlos? Hast du eine Ahnung«, redete Leopold sofort auf sie ein. »Er will sich mit einer großen Partie amüsieren und nebenbei auf einem Zweiertisch seine neue Flamme vernaschen. Keine unbedingte Schönheit, aber das ist ja egal, wenn man wie er nur auf einen bestimmten Punkt fixiert ist, der bei jeder von euch Frauen an derselben Stelle liegt.«
»Da sind sie schon wieder, deine Verdächtigungen!«
»Verdächtigungen? Tatsachen! Eine Deutsche ist sie obendrein!«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt mit deinen Vorurteilen!«
»Ich könnte dir über deinen lieben Thomas noch viel mehr erzählen. Er trinkt unmäßig, und in der Schule scheint er auch Schwierigkeiten zu haben. Seine Verbesserungsarbeiten macht er bei uns oder beim Heurigen – mit einem Glas Bier oder Wein neben sich. Er vergnügt sich sicher wieder in diversen Spelunken, aus denen ich ihn früher hinausgezerrt habe. Dort müsstest du ihn einmal sehen, wenn er sich ein Pupperl anlacht … Erika?«
Leopold hatte sich so in seine Tirade hineingesteigert, dass er Erikas Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte. Sie war einfach aufgestanden und ins Bad gegangen, um sich abzuschminken. Jetzt gab es nur zwei Möglichkeiten: Kampf bis aufs Messer oder klein beigeben. Leopold entschloss sich für die friedliche Variante. Der morgige Abend würde schwer genug werden.
»Ich pass schon auf, dass ihr bei der Besprechung euren Frieden habt«, sagte er kleinlaut durch die offene Badezimmertür.
»Das will ich dir auch geraten haben«, kam es zurück, und es klang sanfter, als der Wortlaut vermuten ließ.
*
Der restliche Arbeitstag war für Thomas Korber angenehm verlaufen; kurz gesagt, er hatte Monika Aberles Gegenwart genossen. Erwin Bader hatte einen regen Gedankenaustausch mit Walter Kohut, dem hiesigen Administrator, gepflegt und war den beiden nicht weiter in die Quere gekommen. Monika hatte zwar noch die Deutschstunden von zwei seiner Kolleginnen besucht, danach aber ein Schwätzchen mit ihm geführt, bei dem sie ihrer Freude auf den morgigen Abend noch einmal Ausdruck gegeben hatte.
Auf dem Nachhauseweg hatte er noch zwei weiße Spritzer beim Heurigen Fuhrmann gleich bei ihm ums Eck getrunken, dann war Korber aber brav hinauf in seine Wohnung gegangen. Er war zufrieden, beinahe glücklich, und morgen, das fühlte er, musste er seinen Mann stehen. Also begnügte er sich mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher, um am nächsten Tag in Form zu sein.
Kaum hatte er sich gemütlich eingerichtet, läutete sein Handy. Auf dem Display leuchtete der Name »Rita« auf. Im ersten Augenblick konnte Korber nichts damit anfangen. Er glaubte, niemanden zu kennen, der so hieß. Aber aus irgendeinem Grund musste er die Frau ja abgespeichert haben.
»Hallo, Schmusekönig«, hörte er eine sanfte, heisere Stimme, als er das Gespräch entgegennahm.
Oh nein! Rita war also die Unbekannte aus dem Botafogo. »Ja?«, war alles, was er herausbrachte.
»Warum hast du dich nicht gemeldet? Du hast doch versprochen, mich anzurufen!« Rita klang enttäuscht.
»Ich hatte einen schweren Tag … Besuch aus Deutschland …«, stammelte Korber.
»Ich erinnere mich. Du hast gestern etwas in der Richtung erwähnt. Und es als Anlass genommen, dich im entscheidenden Moment zu verdrücken«, warf Rita ihm vor.
Ihr Gedächtnis funktionierte also perfekt. Damit war auch ihr Alkoholisierungsgrad geringer als der seine gewesen. Schlecht für ihn. »Ich musste weg, sonst wäre ich in der Früh nicht rechtzeitig aufgekommen«, druckste Korber herum.
»Dabei war ich schon sooo kribbelig«, geriet Rita ins Schwärmen. »Das ist mir auch noch nie passiert, dass mir einer inmitten so vieler anderer Menschen seelenruhig einen Knopf meiner Bluse öffnet und mir auf den nackten Busen greift. Und mit so viel Gefühl! Und dann das schummrige Licht und die Musik! Und deine Zunge in meinem Mund! Ich kann gar nicht beschreiben, was ich alles gespürt habe. Und plötzlich bist du abgehauen und hast mich ganz aufgewühlt allein gelassen. Das war echt fies.«
Korber versuchte krampfhaft, ein Bild zu Namen und Stimme zu bekommen. Wie sah Rita aus? War sie in seinem Alter, jünger oder älter? Sein Hirn war leer. Er hatte nur blasse, unzusammenhängende Eindrücke, die ihm nicht weiterhalfen. »Es war ein schöner Abend. Aber das war gestern, und …« Noch immer faselte Korber verworrenes Zeug daher, weil ihm nichts Besseres einfiel.
»Wir können es doch jetzt nicht dabei bewenden lassen«, fiel ihm Rita ins Wort. »Das schreit nach einer Fortsetzung, bei der wir uns den weiter unten liegenden Gebieten unseres Körpers widmen sollten. Den besonders empfindlichen Punkten. Du wirst staunen, wie zärtlich ich da sein kann.«
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