Vielleicht hatte Schnyder aber auch gerade Glück, wieder in die Schweiz gekommen zu sein, denn die Lage an den Kammerspielen verschlechterte sich. «Der Krieg […] bestimmte mehr noch als die Erfahrungen mit der behelfsmässigen Wirkungsstätte des Kolosseums manche wesentliche Umstellung und Änderung des angekündigten Spielplans», war im Völkischen Beobachter im Juli 1940 zu lesen. Immerhin konnte man am 12. Februar 1940 wieder in das modernisierte Schauspielhaus zurückkehren. Doch der Krieg verschlimmerte die Arbeitsbedingungen, und der grosse Kleider- und Kostümmangel war nur eine der vielen Sorgen der Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Situation am Schauspielhaus Zürich war gewiss besser.
Rückblickend sagte Schnyder in den 1970er-Jahren, 76dass die Nazis ihn in künstlerischer Hinsicht nicht eingeschränkt hätten. «Das Deutsche Theater und die Münchner Kammerspiele waren ‹Inseln im Sturm.›» Diese Aussage mochte für ihn persönlich vielleicht stimmen, weil er nicht direkt miterlebt hatte, was in den Büros der Direktion geschah oder es ihn schlicht nicht interessierte. Der Einfluss der Nazis auf die Spielplangestaltung – in München ja gar in die baulichen Massnahmen – war offensichtlich, aber solange er die vorgegebenen Stücke frei inszenieren konnte, schien ihn das Geschehen nicht sonderlich beunruhigt zu haben – oder er ignorierte es einfach. 1991 schrieb er: «Die Theaterleute waren ja alle keine Nazis. Doch Op[p]ortunisten – dazu feige. Sie wollten doch gefeierte Stars sein – und da lässt man Gewissen Gewissen sein.»
Rückkehr in die Schweiz
In diversen Texten liest man, und Schnyder sagte es öfters auch selbst, dass der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sein Engagement an den Münchner Kammerspielen vereitelt habe und er zurück in die Schweiz gekommen sei, um in den Militärdienst einzurücken. Probenzettel und Aufführungsanzeigen widerlegen diese Begründung jedoch. Denn zum einen ging er in der zweiten Hälfte des Jahres 1939 direkt ans Schauspielhaus Zürich, wo er regelmässig inszenierte. Auch wenn er bei den Aufführungen, in denen er nicht Teil des Schauspielensembles war, nicht jedes Mal anwesend sein musste, brachten die Inszenierungen doch viele Probentermine mit sich. Zum anderen fanden die Dreharbeiten zu «Gilberte de Courgenay» im Februar und März 1941 statt, also musste er sich spätestens ab Herbst 1940 mit den Vorbereitungen beschäftigen. Somit blieb nicht viel Zeit für Militärdienst. Es könnte höchstens sein, dass er während der Sommerpausen seiner Militärpflicht im Rahmen der obligatorischen Wiederholungskurse nachkam, doch diese hätten ein Engagement in Deutschland nicht verhindert. Wegen des Kriegs zurückzukehren, um seinem Vaterland zu dienen, hört sich natürlich im Nachhinein besser und heroischer an und ist auch nicht grundsätzlich falsch. «Ich musste einrücken. Und ich bin gerne eingerückt. Die Schweiz schien mir ein Paradies. Keine Nazis, jeder konnte seine Meinung sagen und frei leben. Und jeder musste natürlich auch seine Pflichten gegenüber dem Staat erfüllen.» 77
Franz Schnyder liess sich in Zürich an der Hottingerstrasse 30 nieder, wo er die kommenden acht Jahre gewohnt hat. 78Die Zeit am «Pfauentheater», dem Aufführungsort des Zürcher Schauspielhauses, war von entscheidender Bedeutung. Hier traf er viele berühmte jüdische und systemkritische Bühnenkünstler, die seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus dem Deutschen Reich geflohen waren und mit denen er später noch oft zusammenarbeiten sollte. Schauspieler wie Heinrich Gretler, Therese Giese, Anne-Marie Blanc, Erwin Kohlund, Leopold Biberti – aber auch Regiegrössen wie Leonard Steckel oder Leopold Lindtberg, den Musiker Paul Burkhard, den Bühnenbildner Teo Otto und den Dramaturgen Kurt Hirschfeld. Mit der Annexion Österreichs 1938 hatte eine zweite grosse Emigrationswelle eingesetzt. Zürich entwickelte sich damit zum rettenden Hafen der Elite deutschsprachiger Kultur, deren Vertreterinnen und Vertreter der Stadt eine blühende Ausstrahlung verliehen, auch wenn sie zum Teil nur auf der Durchreise waren. An seiner neuen Wirkungsstätte konnte sich Franz Schnyder einer äusserst hochkarätigen Truppe anschliessen, die nicht nur das schweizerische Theater-, sondern auch das Filmgeschehen entscheidend mitprägte.
Bereits am 2. November 1939 feierte Schnyder seine erste Premiere in Zürich. Es handelte sich um das Stück «Das schöne Abenteuer», das er ein Jahr zuvor in Berlin inszeniert hatte. Nachdem er am Stadttheater Basel «Cäsar und Cleopatra» nach George Bernard Shaw und am Stadttheater Bern Goethes «Egmont» inszeniert hatte, konnte er nach der Sommerpause wieder in Zürich arbeiten und spielte dabei auch selbst. Am 10. Oktober 1940 feierte «Die Fassade» von Robert Faesi Premiere, worin er den Jakob Rütschi verkörperte. Daraufhin folgte am 2. November «Der Soldat Tanaka». Das Stück des in der Schweiz lebenden deutschen Autors Georg Kaiser ist in Japan angesiedelt und handelt von einem Soldaten, der in sein Dorf zurückkehrt. Der Autor entlarvt den japanischen Militarismus und thematisiert ganz allgemein die Ohnmacht und das Elend von Unterprivilegierten in einem kriegerischen Regime. Werk und Inszenierung erhielten gute Kritiken. Auf Druck des japanischen Gesandten in Bern, Yutaka Konagaya, wurde jedoch von der Schweizer Bundesregierung auf das Schauspielhaus eingewirkt, das Stück abzusetzen. Am 9. November sagte die Direktion dies zu, jedoch konnten die Vorstellungen vom 10. und 12. November nicht mehr abgesagt werden. Kaiser war über die Absetzung äusserst verbittert, starb am 4. Juni 1945 in Ascona und sollte die Erstaufführung in Deutschland, wenige Jahre später, nicht mehr erleben. 79
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