Es entspricht meiner Erfahrung, dass Kinder und Jugendliche weit weniger Berührungsängste und Vorbehalte gegenüber anderen Kulturen, Hautfarben und Religionen haben als ihre erwachsenen Mitmenschen. Deshalb ist es wichtig, dass in einer Predigt bei jungen Menschen in der Schule diesem Umstand Rechnung getragen wird. In einer Zeit, in der religiöser Fanatismus, Ausgrenzung und nationalistisches Denken immer mehr Menschen verunsichern und verbale und körperliche Gewalt die ganze Welt in ihren Bann zieht, kann eine gut durchdachte Predigt im Schulgottesdienst, die von biblischen Grundsätzen ausgeht, die Gefühle junger Menschen aufgreift und Alternativen zu gängigen rechten und linken Populismen aufzeigt, ein nicht zu unterschätzender Baustein zur Vorbeugung und zum Verhindern jeglicher Radikalisierung sein. Zusammen zu feiern, sich gemeinsam ansprechen zu lassen, ist ein integrativer Vorgang, der das Miteinander stärkt, ohne die eigene Identität zu verletzen oder aufzuheben.
3.3. Gibt es eine Nachhaltigkeit der Predigt? – Reflexion und gelebte Umsetzung
Eine Predigt, die einem selbst gelungen erscheint, muss noch lange nicht bei den Mitfeiernden so angekommen sein, wie man es sich selbst erhofft hatte. Jede/jeder, die/der Predigterfahrung mitbringt, wird zustimmen, dass das Feedback, egal ob positiv oder negativ, eine wertvolle Hilfestellung für jede weitere Vorbereitung und Predigtarbeit darstellt.
Anders als bei Pfarrgottesdiensten, was meiner Erfahrung entspricht, kommt nach einer Feier in der Schule selten bis nie jemand, der über die Predigt eine Rückmeldung geben möchte. Zumindest gilt das für die Schülerinnen und Schüler, die ja die eigentliche Zielgruppe darstellen. Aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen, der Lehrerinnen und Lehrer, findet sich in der Regel immer jemand, der das Gehörte meist positiv kommentiert. Interessant ist aber das, was die Jugendlichen davon mitgenommen haben.
Aus diesem Grund erscheint es mir unerlässlich, dass die Religionslehrerin und der Religionslehrer – ungeachtet, ob sie es waren, die gepredigt haben oder nicht – die Predigt und ihren Inhalt nach dem Gottesdienst in geeigneter Form im Kreis der jungen Menschen noch einmal zum Thema machen. 15So kann gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern darüber reflektiert werden, ob und wo der Inhalt der Predigt in Bezug zum Leben der Schulgemeinschaft und der/des Einzelnen steht.
Der entscheidende Aspekt, ob die Botschaft der Predigt ankommen kann oder nicht, liegt in der lebbaren und gelebten Umsetzung. Ich bin der Überzeugung, dass jenes berühmte Wort vom Wasser predigen und Wein trinken16 gerade am Ort der Schule niemandem in den Sinn kommen darf, wenn er Predigt und predigende Person nebeneinander stellt. 17Der Inhalt der Predigt, ihr sozialer Anspruch, ihr Sitz im Leben und die Gottbezogenheit müssen am Leben und Handeln der Person, die dafür steht, erkennbar sein. Wo das nicht der Fall ist, wird eine formal noch so gute Predigt ins Leere gehen. Auf Nachhaltigkeit darf dort gehofft werden, wo Authentizität herrscht. Glaubwürdigkeit ist hier die oberste Prämisse.
4. Predigt ist nicht Unterricht – Zusammenfassende Schlussbemerkungen
Zu predigen an sich ist eine der wenigen Möglichkeiten für Seelsorgerinnen und Seelsorger, genuin Theologie zu betreiben, ein eigenes Profil zu entwickeln und mit Hilfe der eigenen Lebens- und Gotteserfahrung anderen eine Wirklichkeit zu erschließen, die das Leben jener Personen maßgeblich positiv zu verändern vermag. 18Ausgehend von der biblischen Grundlage werden bis dato vielleicht unerkannte Lebensmöglichkeiten erschlossen.
Besonders in der Schule beim gemeinsamen Gottesdienst, der den schulischen Alltag aufbricht, eröffnet das Chancen, die nicht ausgelassen werden dürfen, um Gott – Kirche – Religion in einer größtenteils säkularisierten Gesellschaft wieder ins Bewusstsein zu rufen und diese neu und (hoffentlich) ansprechender zu positionieren, als es vielerorts von Jugendlichen erlebt wird. Die Predigt liegt hier in der Mitte der Wortgottesfeier, nicht als belehrende Bibelerklärung, sondern als Medium, welches mir ermöglicht, mich selbst einzubringen und die eigenen Lebenserfahrungen in einem neuen Licht unter Anleitung und Führung einer kompetenten Person anders als bisher zu deuten. Das Wirken Gottes soll im eigenen Leben erkannt werden können.
Wichtig scheint es mir festzuhalten, dass die Predigt bzw. der Gottesdienst nicht einfach eine zusätzliche Religionsstunde sind. Im Unterricht geht es um die Aufbereitung und Vermittlung von Inhalten, die klar durch den Lehrplan definiert sind. Es geht um (Glaubens-)Wissen, das weitergegeben werden soll. Im schulischen Alltag sprechen wir heute bewusst von Religionsunterricht (Weitergabe von Wissen) und nicht mehr von Katechese (Glaubensunterweisung). Was Schülerinnen und Schüler daraus machen, bleibt in der Regel ihnen überlassen. Es verhält sich ähnlich wie Theorie und Praxis. In den Stunden wird Theorie vermittelt, im Gottesdienst, wenn er gelingt, wird eine mögliche praktische Erfahrung eingeübt oder zumindest ausprobiert. Es verhält sich wie beim Schwimmenlernen. In der Schulstunde wird erklärt, wie es geht. Der Gottesdienst ist jener Moment, wo die Schülerinnen und Schüler das Bad betreten und ihre Füße ins Wasser halten. Bei der Predigt steigt die Predigerin/der Prediger ins Wasser und lädt die Mitfeiernden ein, es ihr/ihm gleichzutun. Wer es ausprobiert, hat die Chance, ein neues Ufer zu erreichen. 19
Auch stellt die Predigt die Möglichkeit dar, Brücken zu anderen Konfessionen zu bauen und integrative Impulse zu setzen, die des Verbindende vor des Trennende setzen, ohne dabei die eigene Identität in Frage zu stellen bzw. die eigenen Wurzeln abzuschwächen.
Für Vorbereitung und Gelingen der Predigt ist es wichtig, die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler zu kennen und ihre Sprache zu sprechen. Die biblischen Texte sind gezielt auszuwählen und so zu erklären, dass es den Jugendlichen von sich aus möglich ist, den Bezug zum eigenen Leben zu erkennen. Christliche Religion und christliche Werte sollen als Bereicherung und Hilfe für das eigene Dasein erschlossen und verstanden werden.
So kann die Predigt am Ort der Schule zu einem missionarischen Geschehen werden, das Menschen, die in einer entscheidenden Phase ihrer Entwicklung stehen, das Christentum als echte, lebensbejahende und sinnstiftende Alternative in einer zerrissenen und oftmals sinnentleerten Welt erschließt.
Literatur und Quellen
Bellmann, Werner, Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Erläuterungen und Dokumente, revidierte Ausgabe, Stuttgart 2005.
Der große Sonntags-Schott für die Lesejahre A – B – C, Freiburg im Breisgau 1975.
Mödl, Ludwig, Art. Homilie. II. Liturgisch, in: LThK 3Bd 5 (Sonderausgabe), Freiburg/Br. 2006, 249.
Müller, Klaus, Art. Predigt. VIII. Praktisch-theologisch, in: LThK 3Bd 8 (Sonderausgabe), Freiburg/Br. 2006, 533-534.
Religionsunterrichtsgesetz in der derzeit geltenden Fassung, nachzulesen auf der Homepage des Bundeskanzleramtes: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundes normen&Gesetzesnummer=10009217&ShowPrintPreview=True [Nov 2016].
1Allerdings lässt es sich beobachten, dass politische Parteien, wenn es in ihr Konzept passt, gerne auf das Thema Religion zurückgreifen. Eine echte Auseinandersetzung mit Religion und religiösen Inhalten ist das, nach meinem Verständnis, aber nicht. Um gelebten Glauben und ein authentisches Glaubenszeugnis handelt es sich hier nicht. Es wird gezielt mit Verunsicherungen und Ängsten von Menschen gespielt, um diese auf die eigene politische Seite zu ziehen.
2Vgl. RUG §1.
3Es sei hier angemerkt, dass andere Kasualien, wie Hochzeiten, Taufen etc., nach meiner Meinung nicht mit Religionsunterricht und Trauerfeier vergleichbar sind. Dass sie ebenfalls pastorale Chancen bieten ist unbestritten. Jedoch ist die Ausgangslage eine völlig andere. Religion ist, wie bereits oben erwähnt, ein Pflichtgegenstand. Der Tod eines (geliebten) Menschen ist eine Realität, der man sich stellen muss und wo man keine Wahl hat.
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