Impliziert ist hier auch schon der Zusammenhang zwischen eucharistischer Anbetung und geistlicher Kommunion . Rahner weist darauf hin, dass die Lehre der Tradition in der Frage nach der Möglichkeit geistlicher Kommunion eindeutig ist und betont ausdrücklich, dass diese kein „Als-ob“ ist. Im Gegenteil: Sie ist ebenso reale Kommunikation mit Jesus Christus im Heiligen Geist wie es der tatsächliche Empfang des eucharistischen Sakramentes ist 39; natürlich nur, wenn die geistliche Kommunion in ihrem Vollzug wesentlich auf den Empfang der sakramentalen Kommunion bezogen bleibt und dort ihre Vollendung findet. Voraussetzung bleibt außerdem, dass sie sich personal in Glaube und Liebe zum Herrn ereignet: „[…] in und mit dem Wunsch, das Sakrament später zu empfangen, ereignet sich jetzt ein wahres «Essen des himmlischen Brotes»“ 40. Nirgendwo anders aber als in der eucharistischen Anbetung könne geistliche Kommunion ausdrücklicher und sinnvoller sein. Denn hier werde der Christus besucht und betrachtet, der sich uns in liebender Hingabe zur Speise schenkt und sich mit uns vereinigen will. Nirgendwo sonst sei also die Hinordnung auf die reale und personale Kommunikation mit der Liebe Gottes offenbarer als im Verweilen vor dem aufbewahrten eucharistischen Brot. Rahner spricht vom „eigentlichen Ort“ der geistlichen Kommunion. Umgekehrt ist dann aber auch die Anbetung des Allerheiligsten gerechtfertigt, kann sie in ihrem Wesen doch gar nichts anderes sein als geistliche Kommunion 41.
Diese selektiven Anmerkungen verweisen auf verschiedene Dimensionen einer Theologie der eucharistischen Anbetung: Inkarnation bzw. Konkretion; Primat des Empfangens vor dem Geben; Eingestaltung in die Bewegung von oben nach unten; inklusive Stellvertretung; Bestimmung der Schöpfung als Antwort an das Wort des Schöpfers; Bestimmung der Erlösung als Liebe, die sich dem Sünder „aussetzt“; Kirche als sakramentaler Leib des zur „hostia“ gewordenen Christus; Christsein als Eingestaltung des je einzelnen Christen in die Selbstverschenkung des eucharistischen Christus; Durchbrechung des eigenen Begreifens und Planens durch das „Ant-litz“ des „ganz Anderen“; Eingestaltung in das Warten Gottes auf den Letzten der Brüder und Schwestern.
Hans Urs von Balthasar unterscheidet diesbezüglich vier Dimensionen der eucharistischen Anbetung: eine schöpfungstheologische, eine soteriologische, eine ekklesiologische und eine eschatologische. Er bezeichnet nicht nur die Feier der Eucharistie, sondern auch die betende und reflektierende Betrachtung der eucharistischen Gaben als Brennpunkt des christlichen Selbstverständnisses. Wörtlich bemerkt er: „Abrückend von den antiken und orientalischen Kontemplationstheorien lernt die christliche verstehen, dass auch die einsamste Beschaulichkeit, im rechten Geist geübt, eine Funktion im Gefüge der Kirche und damit der Welterlösung ausübt. Dieser Gedanke ist schon bei Origenes und Augustinus da, er bestimmt den Karmel der Großen Theresia (Beschauung als Gebetshilfe für die Kirche im Kampf gegen die Reformation) und gipfelt in der Theorie der Kleinen Therese, dass das beschauliche und sühnende Karmelleben das innerste Triebrad aller kirchlichen Aktion sei.“ 42Während die neuplatonisch bestimmte Mystik von einem „egressus“ des Göttlichen in das Andere seiner selbst spricht und unter Kontemplation die zumindest mentale Rückkehr des Menschen in den göttlichen Ursprung versteht, spricht die Bibel von einer unumkehrbaren Bewegung Gottes von oben nach unten, weshalb die Kontemplation des sich den Menschen im eucharistischen Brot aussetzenden Herrn das Gegenteil einer privatistischen Abkehr von der Welt ist. Denn den eucharistischen Christus versteht nur, wer sich einbeziehen lässt in die besagte Bewegung von oben nach unten. Maurice Blondel fasst diesen Kerngedanken in seinem „Tagebuch vor Gott“ in folgendes Gebet: „Mein Gott, laß mich sein wie gutes Brot und sprich dann über mich die Worte der Wandlung!“ 43
Überblickt man die Forschungsliteratur, dann fällt auf, dass es historische und liturgiewissenschaftliche Studien zum Aufbewahrungsort der Eucharistie, über Formen der eucharistischen Anbetung, über Orden und Gemeinschaften zur Pflege der eucharistischen Anbetung und über deren Zielsetzungen (Sühne, Satisfaktion, Stellvertretung, alternative Lebensformen etc.) gibt, aber nur gelegentlich Aufsätze über die Theologie dieses zentralen geistlichen Vollzuges. In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatten die sogenannten Genitivtheologien Hochkonjunktur, aber unter den entsprechenden Monographien findet sich keine einzige, die das Reden über Gott (= Theo-logie) der eucharistischen Anbetung thematisiert. Man müsste eigentlich von den Anfängen der eucharistischen Anbetung bis heute nach Zeugnissen fragen, in denen Menschen das Reden der Anbetung über Gott (= Theo-logie der eucharistischen Anbetung) thematisieren. Eine flächendeckende Realisierung dieses Vorhabens würde den Rahmen einer Promotionsschrift allerdings in jeder Weise sprengen.
Ich treffe daher eine exemplarische – im Nachhinein sich hoffentlich als paradigmatisch erweisende – Auswahl einzelner Gestalten 44der jüngeren Kirchengeschichte (20. Jh.), deren Spiritualität 45(1.) von der eucharistischen Anbetung bestimmt wurde, und die sich – selten genug – (2.) zugleich schriftlich Rechenschaft gegeben haben über Sinn und Bedeutung dieses geistlichen Grundvollzugs.
Im ersten Teil der Arbeit werden Leben und Werk folgender vier Gestalten analysiert: Charles de Foucauld, Charles Péguy, Teilhard de Chardin und Edith Stein, und zwar insofern, als sie zur Entwicklung einer Theologie der eucharistischen Anbetung anregen. Anliegen dieser Arbeit ist nicht die historische Einordnung oder eine lückenlose Berücksichtigung aller zugänglichen Quellen der Gestalten im Sinne der kritischen Biografieforschung; vielmehr geht es um ihren systematischen Vergleich. Die vier ausgewählten Positionen sind theologisch-praktische Fundorte des christlichen Glaubensvollzuges eucharistischer Anbetung. Ihr Zeugnis dient mit anderen Worten als Best-Practice -Beispiel einer „Dogmatik in actu“ bzw. einer Dogmatik der Praxis. Sie sind – exemplarische – Fundorte , die nicht nur die Möglichkeit eröffnen, die stattfindende Praxis theoretisch einzuholen, sondern deren unschätzbarer Wert vor allem darin liegt, dass sich die Praxis gelebten Glaubens als Instanz der Kritik für die nachträgliche Theorie erweisen kann.
Dabei wird unter anderem gezeigt, dass die vier Gestalten sich durch Abgrenzung profilieren lassen und jeweils eine zentrale Dimension der eucharistischen Anbetung repräsentieren bzw. erschließen können. Diese Zuschreibung soll aber keinesfalls als kategorisch verstanden werden. Im Gegenteil: Sie ist ein heuristisch leitendes Konstrukt – ein methodischer Kunstgriff sozusagen, der es ermöglicht, das komplexe Geschehen eucharistischer Anbetung zu ordnen und für den derzeitigen wissenschaftlichdogmatischen Diskurs aufzuschließen. Zugleich wird die Praxis der Anbetung entdeckt als Korrektiv jenes Diskurses. Insofern greifen die beiden Teile dieser Arbeit, Teil I „Vier Gestalten einer gelebten Theologie der eucharistischen Anbetung“ und Teil II „Skizze zu einer Theologie der eucharistischen Anbetung“, auf jene Relationierung von Dogma und Pastoral zurück, die sich schon in der Perichorese der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ und der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils findet. Unwillkürlich stellt sich die Frage nach dem Bedeutungszusammenhang der beiden Teile. Nimmt man nun Teil I als Folie, um Teil II zu lesen oder genau umgekehrt? In beiden Fällen entstünde eine Hierarchie zwischen den Teilen; es fände eine Unterwerfung statt, die aber nicht angemessen wäre.
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