Da sträubt sich zunächst alles in einem – und das mit Recht. Ich kann seine zweite Stufe zum Paradies, zum Glück, zur Herzensruhe, mitgehen, wenn ich darunter verstehe, mich von den irdischen Dingen nicht bestimmen zu lassen. Mein Glück, meine Sinnerfüllung nicht von diesen oder jenen Dingen oder auch von bestimmten Menschen abhängig zu machen. Ich finde es wichtig, voll im Leben zu stehen und auch die schönen Dinge in unserem Leben zu würdigen und zu genießen. Etwas vom Himmel jetzt schon zu kosten.
Doch das muss und sollte dich nicht davon abhalten, in eine innere Distanz zu Dingen und Menschen treten zu können. Nie zu vergessen, dass wir vergänglich und sterblich sind. Du vergisst dann nicht den Blick zum Himmel, von dem du Hilfe erwartest. Du kannst mit Johannes Klimakus mit Blick auf Gott sagen: „Dir hängt meine Seele an.“
Wie oft bin ich schon Menschen begegnet, die meinen, ohne den Beruf, ohne diesen Erfolg nicht leben zu können. Oder Menschen, deren unsterbliche Liebe nicht erwidert wird und die glauben, ohne den anderen Menschen nicht leben zu können, und darüber fast verzweifeln. Die zweite Stufe auf der Leiter des Paradieses zu besteigen kann daher für dich heißen, mit deinem Kerndasein in Kontakt kommen.
Wenn ich aber aus meinem Kern lebe, dem, was übrig bleibt, wenn ich alle Schichten abgestreift habe, die ich nur anscheinend bin, lebe ich aus meinem Sein, dem, was ich wirklich bin. Dann gilt, was Irvin D. Yalom uns zuspricht: „Du bist nicht deine Karriere, du bist nicht dein herrlicher Körper. Du bist nicht Mutter oder Vater oder ein weiser Mensch oder ewige Krankenschwester. Du bist dein Selbst , dein Kerndasein. Ziehe eine Linie darum: Die anderen Dinge, die Dinge, die außerhalb der Linie sind, die sind nicht du; sie können verschwinden, und du wirst immer noch existieren“ (2005, 98).
Wenn du dich auf dein Kerndasein besinnst, geht es dir nicht wie jenen, die Johannes Klimakus bei der Vorstellung der zweiten Stufe wie folgt beschreibt: „Sie wurden von eitler Ehre wie aus einer Pfütze bewässert, von Ruhmseligkeit gepflegt und von Menschenlob gedüngt; nachher aber, als sie in die Einsamkeit, auf einen dem Weltmenschen und dem schlammigen Wasser der eitlen Ehre unzugänglichen Boden verpflanzt wurden, vertrockneten sie sehr bald“ (37). Wenn du dein Sein nicht von äußeren Dingen und Menschen abhängig machst, vertrocknest du nicht, wenn diese Dinge und Menschen dir nicht länger zur Verfügung stehen.
Du machst die Erfahrung, dass es in dir selbst eine Welt gibt, in die du dich begeben und in die du dich verankern kannst; es in dir einen Kern gibt, der mehr ist als das, was du äußerlich darstellst; es wichtig ist, immer wieder mit deinem Kern in Berührung zu kommen, von dort her dein Leben zu sehen und zu leben.
Komme mit deinem Kern in Berührung .
Du bist mehr als deine Karriere ,
deine Beziehungen, dein Scheitern, deine Defizite .
3. STUFE
Richte den Blick auf den Himmel
in dir und über dir
Die Sehnsucht nach Gott verdrängt die Sehnsucht nach den Eltern .
Der Aufstieg nach oben geht steil aufwärts. Die Richtung, die Johannes Klimakus vorgibt, ist klar. Es ist nichts weniger als der Himmel. Weg vom Irdischen, hin zum Überirdischen. Dabei müssen beide Augen zum Himmel ausgerichtet sein, nicht etwa das eine zum Himmel und das andere zur Erde. Er verlangt einen radikalen Schnitt. Eine radikale Kehrtwendung. „Eine Widmung des Menschen an den Himmel“ (40).
Für mich heißt das: eine Kehrtwendung nach innen. Die Leiter führt, so paradox das klingen mag, über den Abstieg in die Tiefe in die Höhe des Himmels. Johannes Klimakus geht es bei der dritten Stufe um „ein Denken in der Tiefe der Seele“; „einen Verzicht auf den Ruhm der Welt“; „einen Abgrund des Schweigens“. „Die Zurückziehung aus der Welt ist die Mutter der Tugend, durch welche wir keinen Sinn für das Irdische haben“ (42). Rückzug, Exil, um uns von allem zu trennen, was uns daran hindern könnte, um ganz auf Gott ausgerichtet sein zu können.
Es geht dabei um das, was der Tiefenpsychologe C. G. Jung die Person Nr. 2 nennt. Die Person Nr. 1 ist die Person, die ihren Platz in der Welt und in der Gesellschaft hat beziehungsweise sucht, im Unterschied zu der Person Nr. 2, die nach innen hört, ein reiches Innenleben führt, eintaucht in ihre Tiefe, wo sie mit ihrer Sehnsucht nach dem Grenzenlosen, dem Ewigen in Kontakt kommt. Die Pflege dieses inneren Lebens ist nicht weniger wichtig als die Pflege und Gestaltung des äußeren Lebens, ja nach Klimakus sogar wichtiger.
Der Kontakt mit Gott, die Pflege der Beziehung zu Gott, wird von der äußeren Person wahrgenommen etwa durch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder einer Kirche, die Teilnahme an Gottesdiensten, das persönliche Beten. Allein die innere Person trägt dafür Sorge, dass der äußere Versuch, mit Gott in Kontakt zu kommen, zu einem inneren Geschehen wird, bei dem die Verbindung mit Gott innerlich erfahrbar wird. Wir jetzt schon in uns etwas von der Sehnsucht nach dem Himmel, hinter der letztlich die Sehnsucht nach Gott steht, anfanghaft erfahren dürfen. Diese Sehnsucht nach Gott aber verdrängt, so Johannes Klimakus, die Sehnsucht nach dem, was uns an Irdischem geschenkt worden ist, einschließlich unserer Eltern und Freunde.
So wirst du in der dritten Stufe auf der Leiter zum Paradies dazu aufgefordert, dich von der Sehnsucht nach dem Größeren, der Sehnsucht nach Gott, leiten zu lassen. Der Melodie zu folgen, die vom Himmel kommt. Alles zu vermeiden, was dich davon abhält, dieser Melodie zu folgen. Auch nicht von Überzeugungen, die dir einflössen, gebraucht zu werden, die anderen nicht im Stich zu lassen. „Wenn wir uns eine geringe Fähigkeit im Leben oder oberflächliche Kenntnisse erworben haben, so meinen wir, wir müssten nun zur Belehrung und Rettung der Welt in die Welt zurückgehen – ja, damit auf dem Meere wieder verloren gehe, was im Hafen gesammelt ist“ (43).
Das alles könnte auch als Egotrip missverstanden werden, und die Gefahr, dass es zu einem Egotrip wird, besteht. Es geht dann nicht um Egotrip, wenn du dabei das für dich tust, was du für dich tun kannst, um deiner Sehnsucht nach Gott die Bahn zu brechen, um glücklich zu werden. Du nicht glaubst, das Heil und das Glück, gar die Erlösung der anderen hingen von dir ab. Du dich von Allmachtsphantasien frei machst, die dich letztlich von der Auseinandersetzung mit dir selbst abhalten.
Folgst du aber deiner Sehnsucht nach Gott, folgst du der Stimme deiner Seele, angefeuert von der göttlichen Flamme. „Beeile dich also, wenn du die göttliche Flamme erhalten hast, denn du weißt nicht, wann sie erlischt und dich in Finsternis lässt“ (41).
Schenke deinem Innenleben genauso viel
Aufmerksamkeit wie deinem äußeren Leben .
4. STUFE
Höre und gehorche
Aus dem Gehorsam entsteht die Demut und aus ihr die selige Ruhe des Geistes .
Umgürte deine Lenden mit dem Schoßtuche des Gehorsams.“ Mit dieser Aufforderung lädt Johannes Klimakus dazu ein, die vierte Stufe auf der Leiter, die zum Paradies führt, zu besteigen. Man muss, um Johannes Klimakus zu verstehen und sich nicht von seinen drastischen Beispielen geleisteten Gehorsams abschrecken zu lassen, das Ziel immer vor Augen haben, Seelenruhe zu finden und Gott immer näher zu kommen.
Da heißt es bei ihm zum Beispiel: „Der Gehorsam ist das Grab des eigenen Willens“ (41).
Letztlich geht es darum, das eigene Denken und Wollen dem Willen Gottes zu unterstellen. Dabei kommt dem Seelenführer nach Johannes Klimakus eine wichtige Rolle zu. Diesen gilt es, bevor du ihn dir als Begleiter wählst, mit aller Vorsicht zu prüfen und zu beobachten, „damit wir nicht einen gewöhnlichen Matrosen statt eines Steuermanns, einen Kranken für einen Arzt, einen sündhaften für eine sündlosen Mensch, das gefahrvolle Meer für den Hafen der Ruhe in unserer Unwissenheit wählen“ (52).
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