Die ursprünglichen Adressaten sind für Johannes Klimakus Mönche. Ihm geht es darum, die Welt zu transzendieren, uns empfänglicher zu machen für die Welt der Ewigkeit. „Es hat zu tun mit einer Vision von Wirklichkeit, die uns von den Sinnen hinsichtlich ihrer weltlichen Funktionen befreit, so dass wir wieder die tiefere, verborgene Bedeutung der Wirklichkeit wahrnehmen“ (Eudes Bamberger 2008, 49).
Wir müssen keine Mönche werden. Wir können aber von den Mönchen lernen. Wir müssen mit dem einen Bein voll im Leben stehen, uns der Wirklichkeit unseres äußeren Lebens stellen, unseren Alltag bewältigen, unserer Verantwortung gegenüber unserer Gemeinschaft, unserer Familie, unserer Gesellschaft nachkommen. Zugleich trägt es aber zu einer Bereicherung unseres Lebens bei, wenn wir neben dem äußeren Leben beziehungsweise zusammen mit ihm ein inneres Leben führen, das uns, dem monastischen Leben vergleichbar, einen Zugang zu der tieferen, verschollenen Wirklichkeit unseres Lebens ermöglicht.
So soll die Leiter, die uns zum Paradies führt, auch als eine Leiter verstanden werden, die uns immer tiefer hineinführt in die verborgene Wirklichkeit unseres Lebens, uns empfänglicher und sensibler macht für die unsichtbare Welt, um jetzt schon einen Vorgeschmack des Himmels verkosten zu dürfen.
Da ich Sie in den folgenden Impulsen ganz persönlich ansprechen möchte, erlaube ich mir, Sie mit du anzusprechen. Die Zitate von Johannes Klimakus, die ich an den Anfang der einzelnen Kapitel stelle, stammen alle aus der Regensburger Ausgabe (1874) seines Werkes.
Heribert Handwerk vom Echter Verlag danke ich für die gute und inspirierende Zusammenarbeit.
Wunibald Müller
Zum Beginn des Aufstieges
Christ ist der, welcher, soweit es einem Menschen möglich ist, Christus nachahmt in Gesinnung wie in Worten und Werken und Gott liebt, insofern er die natürlichen Dinge gebraucht, so weit es ihm durch die Gesetze ohne Sünde gestattet ist, und nicht versäumt, das ihm mögliche Gute zu tun .
Zunächst geht es darum, dass du dich dafür entscheidest, die Leiter, die zum Paradies, zur Herzensruhe, führt, zu besteigen. „Unser Gott hat in seiner unbegreiflichen und unendlichen Güte allen von ihm erschaffenen vernünftigen Wesen das Vorrecht verliehen, sich nach eigenem freien Willen bestimmen zu können“ (22).
Zugleich aber ist niemand davon ausgeschlossen. Denn: „Gott ist das Leben Aller, die Vernunft und Freiheit haben. Er ist das Heil aller Gläubigen und Ungläubigen, der Gerechten und Ungerechten, der Frommen und Gottlosen, der Unschuldigen und Lasterhaften, der Kloster- und der Weltleute, der Gelehrten und Ungelehrten, der Gesunden und der Kranken, der Jungen und Alten, das Heil, an dem Alle gemeinschaftlich Teil haben an dem einströmenden Lichte, an dem Anblicke der Sonne und an dem Wechsel der Zeiten, denn bei Gott ist kein Ansehen der Person“ (24).
„Die heiligen Tugenden lassen sich mit den Stufen der Leiter Jakobs vergleichen, die schändlichen Laster aber mit der Kette“ (153), mein Johannes Klimakus. Die heiligen Tugenden führen von der einen Stufe zur anderen und heben den, der sie befolgt, in den Himmel, die Laster aber blockieren sich gegenseitig.
Also folge den Tugenden! Je mehr du ihnen folgst, desto leichter wird der Aufstieg ins Paradies, desto früher wird sich die ersehnte Herzensruhe einstellen.
1. STUFE
Entsage und ziehe dich zurück
Wir sind mit Geschäften überhäuft, die uns nach Außen ziehen, wann können wir zu einem einsamen innerlichen Leben kommen? Ich sage: Tut alles Gute, was euch zu tun möglich ist. Tut ihr das, so seid ihr nicht mehr fern vom Himmelreiche .
Die erste Stufe der Leiter, die zur Herzensruhe führt, besteigt, wer wieder wird wie die Kinder. „Bei den Kindern findet man keine Bosheit und Hinterlist, ihre Begierde und ihr Magen ist nicht unersättlich, ihr Leib nicht zu unreiner Liebe entflammt“ (27).
Wieder werden wie die Kinder meint, das Leben nicht nur von äußeren Maßstäben wie Erfolg, Reichtum, Macht her zu gestalten und zu bewerten. Es meint weiter, zu einer Weisheit zurückzufinden, von der es bei Jesus Sirach (1,14) heißt: Die Weisheit wird dem Getreuen im Mutterschoß anerschaffen .
Das kann heißen, unser technisches, von Vernunft und Intellekt bestimmtes und gefülltes Wissen um die Offenheit für das „Wissen“ der ewigen Wahrheit zu ergänzen. Zu werden wie die Kinder kann weiter heißen, zu jener Ursprünglichkeit zurückzufinden, die es uns ermöglicht, mit der nach wie vor in uns deponierten natürlichen Weisheit wieder in Beziehung zu treten.
Abraham Cook vergleicht die Wiedergewinnung dieser Fähigkeit, Dinge zu sehen, wie wir sie als Kinder sehen konnten, mit der Kohle, die, wenn sie glüht, die Energie freisetzt, die sich in ihr zur Zeit ihrer Entstehung ansammelte. „Neue Weisen des Sehens entstehen aus der Weisheit, die im Schoße der Mutter in uns geformt wurde“ (in: Newell 2000,27).
Entsagung und Verzicht sind also angesagt: der Verzicht darauf, allein der Weisheit der Welt zu trauen; der Verzicht auf Boni; der Verzicht auf Ehrenstellungen; der Verzicht auf Macht und Reichtum; der Verzicht auf zu viel Essen und Trinken; der Verzicht auf Sex, dem es an Liebe und Respekt mangelt. Alles Dinge, die wir oft mit einer Selbstverständlichkeit für uns beanspruchen.
Das klingt zunächst nach alten Losungen und Forderungen, die man längst oft mit Recht hinter sich gebracht hat, weil hinter ihnen eine negative Einstellung zur Welt oder eine ungesunde Lebensverachtung standen. Erst wer im wohlgemerkt freiwilligen Verzicht eine Tugend entdeckt, die ihn näher an sein inneres Leben heranbringt, die eine neue Einstellung zum Leben, ein bewussteres Leben ermöglicht, wird zwar auch dann den Verzicht als schmerzvoll erfahren, zugleich aber auch zumindest anfanghaft ein Interesse daran finden und die Lust dazu spüren, die erste Stufe der Leiter zum Paradies zu besteigen.
Du wirst, wenn du bereit bist, dich zurückzuziehen von dem, was dich in deinem äußeren Leben beeinflusst, manchmal vielleicht sogar beherrscht, mit Seiten von dir in Berührung kommen, die du zugedeckt hast. Du wirst wieder mehr dich selbst spüren. Deine wirklichen Wünsche und Sehnsüchte. Den Ort, wo dich „inmitten von Versuchungen, Fallstricken und Beunruhigungen selige Ruhe“ (24) umgibt. Herzensruhe.
Dabei ist es wichtig, nicht aus Angst und Furcht auf etwas zu verzichten; dem zu entsagen, was dich innerlich unfrei sein lässt. Derjenige, der sich aus Furcht vor dem, was ihn bisher äußerlich bestimmt hat, zurückzieht, „ist brennendem Rauchwerk ähnlich, welches zuerst süße Wohlgerüche verbreitet, dann aber sich in Qualm auflöst“ (28). Wer aber aus Liebe zu Gott sich zurückzieht, „der empfängt gleich am Anfang eine himmlische Flamme, die, wie ein in den Wald geworfenes Feuer, sich immer heftiger entzündet und zu einem großen Brande anwächst“ (28).
Also: Wage, die erste Stufe hochzugehen! Lasse dich dabei entzünden und anstacheln von der himmlischen Flamme! Dann geht es leichter – auch bei der nächsten Stufe.
Gönne dir immer wieder eine Zeit des Rückzuges .
Lasse dich nicht zumüllen durch Werbung und Einflüsse ,
die deiner Seele schaden .
2. STUFE
Lasse los und komme mit
deinem Kerndasein in Berührung
Denen, die auf dem Meer des geistlichen Lebens fahren, ist wohl bekannt, dass der Hafen Rettung bieten, aber auch Gefahr bringen kann. Es ist ein trauriger Anblick, wenn man sieht, dass die, welche dem offenen Meere entrannen, noch im Hafen Schiffbruch erleiden .
Johannes Klimakus findet harte Worte, um die zweite Stufe zu beschreiten. Zunächst klingt das nach totaler Weltverachtung. Und nimmt man seine Worte wörtlich, dann spricht aus ihnen auch Weltverachtung: „Wer den Herrn wahrhaft liebt und wahrhaft das Reich Gottes sucht, der liebt in diesem Leben nichts mehr und ist um nichts mehr bekümmert und besorgt, weder um Geld noch Gut, weder um seine Eltern noch um die eitle Ehre des Lebens, weder um Freunde noch Brüder, kurz das Vergängliche und Irdische beschäftigt ihn nicht mehr, er legt vielmehr jede Begierde nach solchen Dingen ab, verbannt jede Sorge um sie und hasst außerdem seinen eigenen Leib“ (35).
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