1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Schon als Kind wurde Adam Franz Zeuge von Ereignissen und Entwicklungen die ihn tief geprägt haben müssen: Nachdem der Untergang von Erzdiözese und Kurstaat besiegelt waren, suchte die Familie Lennig in den neuen Verhältnissen unter französischer Regie ihren Platz zu finden. Als Kontinuitätsträger blieb nur die Kirche bestehen, die sich allerdings durch die tiefgreifenden politischen Veränderungen nach dem Ausscheiden des Adels in ihrer Führungsstruktur ganz anders darstellte. Der wichtigste Repräsentant des neuen französischen Bistums Mayence war der bürgerliche Bischof Joseph Ludwig Colmar, der auf die Unterstützung der Mainzer Bevölkerung angewiesen war, die sich allerdings erst an die so völlig veränderten Verhältnisse gewöhnen musste. Daher war für ihn der enge Kontakt zu führenden Familien wie etwa den Lennigs sehr wichtig, weshalb er oft in deren Haus zu Gast war. Es war Colmars großes Verdienst, dass er die Mainzer Kirche von Grund auf reorganisierte und das kirchliche Leben wieder erstehen ließ, das in Folge der politischen Umwälzungen und kriegerischen Ereignisse vom Mainzer Kurstaat über die Mainzer Republik hin zum französischen Kaiserreich schwer beeinträchtigt worden war. Neben Colmar weilte insbesondere dessen engster Mitarbeiter, Bruno Franz Leopold Liebermann, der gleichfalls aus dem Elsass stammende Leiter des Priesterseminars, häufig im Hause Lennig.
Beide waren typische Repräsentanten der Erneuerung des kirchlichen Lebens in Frankreich, die im Anschluss an die revolutionären Umwälzungen mit der Schreckensherrschaft des Nationalkonvents 1793/1794 nach der Machtergreifung Napoleon Bonapartes einsetzte. Weite Kreise der Kirche Frankreichs banden sich, befreit von der Instrumentalisierung durch das Königtum, eng an das Papsttum, welches als die alleinige, über allen weltlichen Institutionen und Ansprüchen stehende religiöskirchliche Konstante galt. Dabei wurde die Abhängigkeit von der Gunst Napoleons, dem man sich für die Befriedung der Verhältnisse zu Dank verpflichtet sah, in Anbetracht alles zuvor Erlittenen akzeptiert, ließ er doch genügend Freiheit für diesen innerkirchlichen Erneuerungsprozess.
Von diesen Erfahrungen waren die Gespräche und Beratungen im Hause Lennig bestimmt, und die Anwesenheit führender kirchlicher Persönlichkeiten in seinem Elternhaus dürfte die frühe Bindung von Adam Franz an die Kirche gefördert haben. So überrascht es auch nicht, dass er 1815 nach dem Besuch der Privatschule des Mainzer Bürgers Joseph Seitz und des französischen Lyzeums, in ein Gymnasium nach Bruchsal geschickt wurde, wo er Unterricht bei dem mit seinem Vater befreundeten ehemaligen Jesuiten Lorenz Doller erhielt. Durch ihn wurde der erst zwölfjährige Knabe bereits in das problematische Verhältnis zwischen Staat und Kirche eingeführt. Allerdings wird er selbst auch schon davon einen Eindruck gewonnen haben, als er 1813 aus nächster Nähe die völlige Verwüstung des Domes durch die Truppen Napoleons erlebte, die nach ihrer Niederlage bei Leipzig auf dem Weg nach Frankreich Mainz geradezu überfluteten. Doller hatte im Jahre 1816 eine Streitschrift herausgegeben, in der er sich gegen die in liberalen Kreisen vertretene Auffassung wandte, dass es den Fürsten des Rheinbundes freistehe, nach eigenem Ermessen Landesbischöfe einzusetzen. Er forderte die Freiheit der Kirche von staatlicher Bevormundung, da sie als Stiftung Jesu ein „unabhängiges Reich“ sei, und verlangte die unabhängige und eigenständige Organisation und Ausübung kirchlicher Amtsgewalt. Die Einsetzung von Bischöfen und Geistlichen in ihre Ämter obliege daher allein der Kirche, weshalb sie auch keine Staatsdiener seien, wie auch dem Staat kein Einfluss auf ihre Ausbildung zustehe und kein Recht auf die Zensur von Büchern zu Religionssachen.
Diese Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat sollte prägend werden für Lennigs ganzen weiteren Lebensweg. 1817 kehrte er in Begleitung seines Lehrers Doller in sein Elternhaus zurück. Mainz war inzwischen zur Hauptstadt der Provinz Rheinhessen im Großherzogtum Hessen-Darmstadt geworden, dem Nachfolgestaat der mit Kurmainz konkurrierenden benachbarten Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Dieser Staat war auch auf Kosten des Kurstaats entstanden. Damit sah sich die katholische Einwohnerschaft der Bischofsstadt und der Gebiete der Provinz, die ehemals zum Kurstaat gehörten, nun einem Landesherrn lutherischen Bekenntnisses gegenüber und ging als Minderheit in dieses neue Staatsgebilde ein. Das Verhältnis vieler Mainzer zu ihrer Regierung war folglich keineswegs spannungsfrei, da sich das katholische Bewusstsein eines großen Teils der Bürgerschaft inzwischen wieder deutlich gefestigt hatte.
Marktplatz in Mainz mit dem Haus Markt Nr. 9, dem sogenannten Lennighaus (2. Haus von rechts)
In den Jahren 1818 bis 1820 besuchte Lennig nun das noch als école secondaire eingerichtete Bischöfliche Gymnasium. Dieses war als sogenanntes „Kleines Seminar“ dem Priesterseminar angegliedert, in der Erwartung, dass etliche Absolventen den Weg in das große Seminar nähmen. Dort waren seine Lehrer Nikolaus Weis, ab 1842 Bischof von Speyer, Andreas Räß, ab 1842 Bischof von Straßburg, und Heinrich Klee, der sich in Bonn von 1829 an als Professor für Dogmatik gegen Georg Hermes, den führenden Vertreter einer katholischen Aufklärung, positionierte. Nach dem Abschluss des Gymnasiums folgte Lennigs Eintritt ins Priesterseminar. Hier hörte er Vorlesungen bei Klee zur biblischen Exegese, bei Regens Liebermann zum Kirchenrecht, bei Räß zur Dogmatik und bei dem Mainzer Pfarrer Johann Philipp Kalt zur Moraltheologie. Philosophie und Geschichte zählten zum Fächerkanon des Gymnasiums. Lennigs wichtigste Lehrer gehörten somit zu der später als „Erster Mainzer Kreis“ bezeichneten Gruppe von Theologen, die bestimmt war von einer emphatischen Kirchlichkeit und Wert legte auf eine enge Ausrichtung an der Hl. Schrift sowie eine strenggläubige scholastische Theologie. Als Exponenten der antigallikanischen Richtung orientierten sie sich eng am Papsttum und teilten die von Doller vertretenen Positionen zum Verhältnis von Kirche und Staat in allen Punkten. Zur Verbreitung ihrer Ansichten gaben Räß und Weis 1821 erstmals eine religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung mit dem Titel „Der Katholik“ heraus. Zu ihren Mitarbeitern sollte in späteren Jahren auch Lennig zählen. Regens Liebermann hatte den beschriebenen und von ihm in gleicher Weise vertretenen streng kirchlichkonservativen Kurs in seinem 1819 erschienen Lehrbuch „Institutiones dogmaticae“ entfaltet. Somit war die Atmosphäre im Mainzer Priesterseminar von einer starken Gegnerschaft zum Staatskirchentum geprägt. Liebermann führte die Alumnen mit strenger Hand, wobei er sich am Vorbild des Jesuitenordens orientierte.
Den größten Einfluss auf den jungen Lennig sollte sein Lehrer Räß ausüben, der gleichfalls häufig Gast in seinem Elternhaus war. Da Lennig 1824 nach dem Abschluss seines Studiums für die Zulassung zur Priesterweihe noch nicht das kanonisch vorgeschriebene Alter hatte, setzte er bis 1827 sein Studium in Paris fort, wohin er seinen Lehrer Räß begleitete, der inzwischen Liebermanns Nachfolger als Regens geworden war. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten fand Lennig Aufnahme im Hause des Abbé Martin de Noirlieu. In die orientalischen Sprachen Hebräisch, Syrisch und Arabisch wurde er durch Sylvester de Sarcy eingeführt. Neben seinem Sprachstudium hörte er auch theologische und philosophische Vorlesungen und kam durch Noirlieu mit Abbé Hugo Félicité Robert de Lamennais und mit dem Grafen Charles René Montalambert in Kontakt. Letzterer war ein Wortführer des französischen Katholizismus im Kampf gegen das Staatskirchentum. Inspiriert von der Romantik setzte er sich für eine Koexistenz von Kirche und Staat nach mittelalterlichem Vorbild ein.
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