Geradezu Wunderbares, lange wie Verschollenes wird uns allen hier vom Konzil im Rückgriff auf die Heilige Schrift wieder zu Bewusstsein gebracht und zugesagt: unser Gemeinsames Priestertum, das uns neu erahnen lässt, wer und was wir durch die „Taufweihe“ (so das Konzil) sind. Wir alle haben Anteil an dem einen Priestertum Christi, sind – Männer wie Frauen – durch unsere Taufe zu Priestern geweiht!
Selbst in der Kirche kann es über lange Zeiträume „verschwundene Flüsse“ geben, unter oder knapp unter ihrer Bewusstseinsgrenze. Das Gemeinsame Priestertum aller Getauften war durch viele Jahrhunderte ein „verschwundener Fluss“. Die Kirche hat ihn im Zweiten Vatikanischen Konzil aus dem Schatz der Heiligen Schrift und ihrer Tradition wieder ans Tageslicht gebracht.
Erstaunlicher- und schmerzlicherweise ist das gemeinsame Priestertum aller Getauften in den 50 Jahren nach dem Konzil weiterhin weithin unter Tage geblieben.
Im April des Jahres 2013, einen guten Monat nach Beginn seines Pontifikates, hat Papst Franziskus in einer Predigt in Santa Marta sehr offene, deutliche Worte bezüglich der Rezeption bzw. mangelnder Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils gefunden:
„ Um es klar zu sagen: Der Heilige Geist ist für uns eine Belästigung. Er bewegt uns, er lässt uns unterwegs sein, er drängt die Kirche, weiterzugehen. Aber wir sind wie Petrus bei der Verklärung: ‚Ah, wie schön ist es doch, gemeinsam hier zu sein.‘ Das fordert uns aber nicht heraus. Wir wollen, dass der Heilige Geist sich beruhigt, wir wollen ihn zähmen. Aber das geht nicht. Denn er ist Gott und ist wie der Wind, der weht, wo er will. Er ist die Kraft Gottes, der uns Trost gibt und auch die Kraft, vorwärtszugehen. Es ist dieses ‚Vorwärtsgehen‘, das für uns so anstrengend ist. Die Bequemlichkeit gefällt uns viel besser … Das Konzil war ein großartiges Werk des Heiligen Geistes. Denkt an Papst Johannes: Er schien ein guter Pfarrer zu sein, aber er war dem Heiligen Geist gehorsam und hat dieses Konzil begonnen. Aber heute, 50 Jahre danach, müssen wir uns fragen: Haben wir da all das getan, was uns der Heilige Geist im Konzil gesagt hat? In der Kontinuität und im Wachstum der Kirche, ist da das Konzil zu spüren gewesen? Nein, im Gegenteil: Wir feiern dieses Jubiläum, und es scheint, dass wir dem Konzil ein Denkmal bauen, aber eines, das nicht unbequem ist, das uns nicht stört. Wir wollen uns nicht verändern und es gibt sogar auch Stimmen, die gar nicht vorwärtswollen, sondern zurück: Das ist dickköpfig, das ist der Versuch, den Heiligen Geist zu zähmen. So bekommt man törichte und lahme Herzen“ (Radio Vatikan 16.4.2013).
Jesus hat um seine Bedeutung gewusst. Auch wir sollen um die Bedeutung wissen, die wir als Kirche und jeder und jede für die Menschen und für die Welt haben. Es gehört zur Pflicht des kirchlichen Amtes, uns wissen zu lassen, wer wir als Christen sind. Und wir alle sind eingeladen und herausgefordert, uns diesem unserem Christsein zu öffnen und uns einem neuen Lernen – etwa aus der Sorge, zu viel ins gemeinsame Leben einbezogen zu werden – nicht zu entziehen. Das vom Konzil „aus der Taufe gehobene“ gemeinsame Priestertum aller Getauften gehört zu der uns für heute und morgen neu geschenkten Weitung unseres christlichen Bewusstseins: für uns selbst und für den Dienst an den Menschen unserer Welt, zu dem Jesus uns alle in seiner Kirche beruft.
Wenn wir ein solches Bewusstsein nicht offen, bereit und lebendig entwickeln, helfen strukturelle Erneuerungen wenig.
Für Reflexion und Austausch
Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören .
Ex 19,4–6
Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, von Gott aber auserwählt und geehrt worden ist. Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen. … Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat .
1 Petr 2,4–5.9
Christus liebt uns …, er hat uns die Würde von Königen gegeben und uns zu Priestern gemacht für den Dienst vor seinem Gott und Vater .
Offb 1,5 f; vgl. 5,10 u. a.
… das christliche Volk, „das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum [regale sacerdotium], der heilige Stamm, das Eigentumsvolk“ (1 Petr 2,9; vgl. 2,4–5) .
Sacrosanctum Concilium 14
Christus, der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5,1–5), hat das neue Volk „zum Königreich und zu Priestern [sacerdotes] für Gott und seinen Vater gemacht“ (Offb 1,6; vgl. 5,9–10) .
Lumen Gentium 10 (vgl. 9)
Denen nämlich, die er [der ewige Hohepriester Christus Jesus] mit seinem Leben und seiner Sendung innigst verbindet, gibt er auch Anteil an seinem Priesteramt zur Ausübung eines geistlichen Kultes zur Verherrlichung Gottes und zum Heil der Menschen. Deshalb sind die Laien Christus geweiht und mit dem Heiligen Geist gesalbt und dadurch wunderbar dazu berufen und ausgerüstet, dass immer reichere Früchte des Geistes in ihnen hervorgebracht werden .
Lumen Gentium 34
„ Ei nes ist also das auserwählte Volk Gottes: ‚Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Eph 4,5); gemeinsam die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus … eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“ (Lumen Gentium 32). Ganz ähnlich schon Papst Leo der Große († 461) : „In der Einheit des Glaubens und der Taufe genießen wir unterschiedslos Gleichheit und gemeinsame Würde.“
Das Konzil hat eine geschwisterliche Kirche vor Augen. Eine Kirche, in der alle, gleich welcher Stellung, einander ebenbürtig aus der Taufe ein und dieselbe Würde besitzen. Und auch das Tun und das Engagement jeder und jedes Einzelnen in der Kirche und für sie sind von gleichem Wert!
Im Kirchenrecht von 1917 waren die Kleriker noch die allein legitimen Träger des kirchlichen Handelns, und von den Rechten aller Übrigen war darin nur ganz vereinzelt die Rede. Es wurde 1983 durch einen neuen, sich am Geist des Konzils orientierenden Kodex abgelöst. Man kann den Schritt des Konzils hin zur Erklärung einer solchen fundamentalen Gleichheit aller Getauften nicht hoch genug einschätzen. Obwohl zutiefst in der Hl. Schrift verankert und in der Geschichte wieder und wieder angeklungen oder gar gefordert, konnte sie von höchster kirchlicher Autorität erst in unseren Tagen so deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Und diese hat damit zugleich die Bedeutung des Amtes in der Kirche in keiner Weise herabgesetzt! Dennoch wird es noch manche Zeit und mühevolle Wege brauchen, bis diese fundamentale Gleichheit aller in ihrer „gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“ selbstverständliches Gemeingut der Kirche wird.
Menschenwürde – Christenwürde
Das Konzil hat ausdrücklich im Sinn der Menschenwürde aller gedacht und gesprochen – ein Denken, wie es sich (durchaus auch aus christlichen Wurzeln) in der Neuzeit, insbesondere seit der „Aufklärung“, bis hin zur Charta der Vereinten Nationen 1948 entfaltet hatte. Was in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen zum Ausdruck gebracht wurde, erlebt in den Aussagen des Zweiten Vatikanums innerhalb der Kirche einen Höhepunkt. Der leidenschaftliche Sinn für die Gleichheit aller gehört zu den unverwechselbaren Charakteristika dieses Konzils.
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