Der Unbekannte trat ins Licht, er trug das grün-weiß gestreifte Kostüm eines Gauklers, Glöckchen an Ärmeln und Gürtel, das Gesicht hinter einer gleichzeitig lächelnden und weinenden Maske versteckt. Falkenbergs gezückter Degen schien ihn nicht zu beeindrucken. Eine übertrieben gekünstelte Verbeugung folgte, die wie die Anrede nur einem Zweck diente: Der Provokation.
Tiepolos Geheimnis
von
Jo KILIAN
TIEPOLOS GEHEIMNIS
Ein historischer Residenz-Krimi
von
Jo KILIAN
echter
Jo KILIAN ist das kriminalistische Alter Ego von
ROMANRAUSCH.eu
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1. Auflage 2018
© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg
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Satz: Crossmediabureau – xmediabureau.de
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
Gedicht Seite 104: Theodor Fontane, John Maynard (bearb.)
ISBN
978-3-429-04415-2 (Print)
978-3-429-04947-8 (PDF)
978-3-429-06367-2 (ePub)
Nicht nur sage ich, dass das Hofleben das alleredelste Leben der ganzen Welt sei, sondern ich darf mich erkühnen, es ein göttliches Leben zu nennen.
Es ist unleugbar, dass die großen Herrscher selbst vom Heiligen Geist Götter genannt werden. Denn gleich Gott im Himmel, regieren sie auf Erden. Sind beides nun Götter, so muss auch ihr Leben ein göttliches, demnach, das alleredelste Leben der ganzen Welt sein.
Johann Rist, Das AllerEdelste Leben Der Gantzen Welt
KARNEVAL 1751
Venezianische Maskerade lautete das Motto des Abends. Es war ein Heidenspaß, der für zwei bedauernswerte Seelen bitter enden sollte.
Zwei Dutzend hochrangige Bedienstete seiner fürstlichen Gnaden Carl Philipp von Greiffenclau waren zu einem rauschenden Fest geladen. Darunter befanden sich auch die Neuankömmlinge aus Venedig – der hochverehrte Maestro Giambattista Tiepolo mit seinen Söhnen Domenico und Lorenzo.
Die Gäste waren angehalten eine Maske zu tragen, und nur zu gerne folgte man der Aufforderung. Ein einziges Mal im Jahr durfte man ungestraft seine Herkunft und Stellung unter den insgesamt vierhundert Bediensteten am Hof des Fürstbischofs verschleiern. Jeder war dem anderen gleichgestellt, keiner konnte wissen, wer sich hinter der Maske verbarg. Kammerdiener oder der Leibarzt des Fürsten? Küchenmeisterin oder die bevorzugte Muse eines Mächtigen?
Willkommen im Reich der Narren!
Das Speisezimmer war durch Hoffourier Spielberger, den fürstbischöflichen Quartiermeister, in flackerndes Kerzenlicht getaucht worden, die Luft stickig vom Dampf der Speisen und der Hitze der Gäste. Beschwingt klangen Weingläser aneinander, Gelächter hallte und da-Capo-Rufe überschlugen sich.
Auf der Bühne stand Signora Platti im Kreis der Musikanten, ausnahmsweise nicht im eleganten Kleid, sondern dem Kostüm einer Magd. An ihrer Seite kauerte ein Freiwilliger mit der Maske und in der Pose eines Adeligen, der dem Kommando seiner Dienerin Serpina nichts entgegenzusetzen hatte. Immer wieder setzte er zur Gegenrede an – erfolglos, Serpinas resoluter Sopran zwang ihn zum Schweigen.
„Still, still, Serpina regiert dies Haus!“
Keiner dachte sich etwas Böses dabei und aus über zwanzig Kehlen donnerte es zurück.
„Still, still, Serpina regiert dies Haus!“
Die Magd schwang sich zur Herrin auf, der Herr hatte zu gehorchen. So sah es die lustige Oper La serva padrona vor, in der ein reicher Tölpel von einer Dienerin zur Heirat überlistet wird.
Serpina: „Ihr handelt so, wie ich Euch lenke!“
Und alle wiederholten es lauthals, dass die Becher auf den Tischen tanzten und der rebellische Kanon durch die Hallen der weitläufigen Residenz schallte.
Nur einer schwieg, der Maestro Giambattista Tiepolo. Nachdenklich zog er an der Zigarre, in Gedanken ein paar Räume weiter, wo die Herrschaften dinierten. Keinesfalls würden ihnen diese aufmüpfigen Worte entgehen. Er schob die unleidige Maske eines Gondoliere beiseite, kratze sich an Nase und Stirn. Mochte das Schicksal gnädig sein. Es war Karneval, ein Scherz der betrunkenen Dienerschaft, nichts weiter. Morgen schon würde alles wieder in gewohnten Bahnen laufen.
„Was schaut Ihr so ernst, Vater?“, fragte Lorenzo, des Maestros jüngster Sohn von vierzehn Jahren. Seine Wangen waren erhitzt vom Singen und Tanzen, auf der Stirn perlte Schweiß. Schwarze Strähnen hingen in die goldfarbene Maske eines Falken.
Der Maestro fuhr ihm zärtlich übers Haupt. „Es ist nichts, mach dir keine Sorgen.“
„Aber, Vater, Ihr könnt mich nicht täuschen. Ich seh es genau: Etwas liegt Euch auf der Seele.“
Ein dankbares Lächeln. „Dem Himmel sei Dank für dein aufmerksames Auge. Es ist wirklich nichts, ich muss nur wieder an die Arbeit.“ Er wandte sich ab, bahnte sich einen Weg durch die Reihen der Maskierten und von der Realität Entrückten.
Lorenzo wollte ihm nachgehen, doch eine Hand auf der Schulter hielt ihn zurück.
„Er ist und bleibt ein alter Griesgram“, zürnte Domenico, des Maestros ältester Sohn von vierundzwanzig Jahren. Anders als der Vater verstand er die ihnen gewährte Ehre als Pflicht, es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, das Fest frühzeitig zu verlassen.
„Sprich nicht so über ihn“, widersprach Lorenzo, „große Kunst wird von ihm erwartet.“
„Von uns!“, korrigierte Domenico und nahm seine schlichte, weiße Maske ab – er war kein Freund des närrischen Treibens und der Verkleidung, niemals gewesen, selbst in der Hochburg des Karnevals nicht, in ihrer Heimatstadt Venedig. „Ohne deine Zeichnungen und meinen wohlfeilen Pinsel ist all sein Ruhm vergebens.“
„Er ist der Maestro. Wir können nur tun, was er uns befiehlt.“
„Was ist ein Herr schon ohne seine Diener wert?“
Noch bevor Lorenzo den Einwand entkräften konnte, schnitt ihm die jubelnde Menge das Wort ab.
„Still, Widerspruch kann nichts gelten!“
Aus der tobenden Menge tauchte Cristina auf, des Maestros bevorzugtes Modell und nicht minder kreative Muse. Sie hielt geradewegs auf Domenico zu, der ahnte, was ihn erwartete. So wich er einen Schritt zurück, prallte aber gegen die breite Brust von Angelo, dem schwarzen Diener der Tiepolos.
„Tritt beiseite“, befahl Domenico, was dieser umgehend tat. Aber es war zu spät, aus den gierigen Fingern Cristinas gab es kein Entrinnen.
„Vieni, balla con me!“ Komm, tanz mit mir!
Zwischen ihren langen Strähnen, die noch eine Spur schwärzer waren als Lorenzos, funkelten zwei Augen, die ein Nein als Antwort nicht gelten ließen.
„Wir sind nicht in Venedig“, war die klägliche Antwort Domenicos, „was sollen die werten Herren von uns denken?“
Sie warf die Mähne in den Nacken und lachte. „Herr? Diener? Niemand kümmert es. Heute sind wir alle gleich.“
„Ihr solltet tun, was sie verlangt“, brummte Angelo, „allein, um ein größeres Aufsehen zu vermeiden.“
Recht hatte er, dachte sich Lorenzo. Cristina war in dieser Stimmung nicht zu bremsen. „Jetzt geh schon, wenn dir so viel an unserem Ruf liegt.“
„Soll ich etwa Angelo bitten“, giftete Cristina, „damit alle sehen, dass wir uns mit Wilden umgeben?“
Mit keiner Wimper zuckte der schwarze Diener, er blieb stoisch, den Blick nach vorne, über alle Köpfe hinweg gerichtet, obwohl Lorenzo wusste, dass die Beleidigung nicht ungesühnt bliebe. Irgendwann würde sich die Gelegenheit ergeben, Angelo vergaß nichts.
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