Diese vier Sendungen oder Grundtypen sind für Balthasar ein vierfacher Weg, jeweils eine „Überantwortung in das Wunder“ 265der Liebe Gottes, die in der Welt konket in Jesus Christus und im Heiligen Geist wurde. Das Wunder, das zur Freiheit der Liebe führt und das Loslassen von persönlicher Egozentritk verlangt. Manchmal wird von „einer gegenseitigen Osmose“ 266oder einer Perichorese, beziehungsweise Korrelation 267der einzelnen Grundsendungen gesprochen. Tatsächlich beschreibt Balthasar die vier Grundtypen als den „Weg für alle Gemeinden und für alle einzelnen Christen in der Catholica“ 268, so dass die Sendung der Christinnen und Christen heute auch innerhalb der vier Modelle Zurücktreten/Charisma, Versachlichung/kirchliche Tradition, Liebe und Exzentrität zu suchen wäre. Was für Balthasar nicht denkbar ist, wäre eine Zuordnung, in der das Institutionelle in der Kirche christologisch und das Charismatische pneumatologisch begründet werden würde 269.
Das Amt in der Kirche geht auf die Apostel zurück, die alles zurücklassen mussten, um Jesus nachzufolgen, denen in diese Leere die Amtsgnade eingegossen wurde und die als Einzelne berufen sind, nicht als ein Kollektiv 270. Auf dieser Grundlage beschreibt Balthasar auch die Charismen, denn diese sind „jedem zugeteilte «Form» oder «Funktion» im lebendigen Organismus der Kirche“ 271. Damit ist die Metapher vom Leib Christi letztlich der gemeinsame Grund für die Charismen und das kirchliche Amt.
Diese Gemeinsamkeit liegt auch in der Sendung des Heiligen Geistes, denn „er ist der Überschwang der subjektiven Liebe zwischen Vater und Sohn, aber er ist auch deren objektiver Zeuge und deren Verwandlung in eine an die Welt verschenkbare objektive Gabe: hierin ist er, die subjektive Liebe mitvermittelnd, die wahrheitsgemäße (gehorsame) Aktualisierung der göttlichen Liebe in der Welt“ 272. Ob die Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Heiligen Geist wirklich statthaft ist 273, erscheint im Zusammenhang mit der Firmtheologie weniger entscheidend. Balthasar geht es jedenfalls um die Frage, wie man christliches Leben begründen kann. Denn Gott selbst kann nur als personale Liebe verstanden werden. Und christliches Leben kann nur verstanden werden durch die Aussendung des Sohnes und die Sendung des Heiligen Geistes 274. Letztlich geht es also um die eschatologische Vollendung, in der Gottes subjektive Liebe als objektive Gabe die Welt verwandelt hat und in diese Verwandlung ist der Christ / die Christin in seiner persönlichen Existenz schon jetzt mit hineingenommen.
Gnade (im Griechischen charis) und Charisma gehören damit für Balthasar in die Kirche und damit in den gegliederten Leib Christi hinein. Damit wird auch der Dienst jedes Einzelnen an der Gemeinschaft unterstrichen. Das hat weniger mit Funktionalität zu tun als vielmehr mit der Zusammengehörigkeit der einzelnen Grundtypen der Kirche, die Balthasar auch als Charismen bezeichnet 275. Umgekehrt bedeutet dies, dass Charisma und alles Charismatische mit dem „Gliedcharakter des Einzelnen zusammenhängt“ 276und nichts mit einer subjektiven Schwärmerei zu hat. Es ist in der Kirche schon immer gegeben und zwar aufgrund der gnadenhaften Zuwendung Gottes zur Welt und als Ausfluss der Liebe, die Gott selbst ist und die in Jesus Christus konkret greifbar und im Heiligen Geist subjektiv erfahrbar wurde.
Ein Christ / eine Christin ist für Balthasar also jemand, der / die das persönliche Charisma entdeckt hat, weil er / sie zum Leib Christi gehört und in dieser Einheit mit dem universale concretum, Jesus Christus, in Kontakt steht. Dass kein Christ sich selbst zum Maßstab darüber machen darf, was Gott und seine immanierende Gnade betrifft, heißt, dass kein Mensch Gottes Transzendenz mit der eigenen transzendierenden Vernunft zu umfassen vermag. Es heißt aber auch, dass nicht jede persönlich hervorragende Fähigkeit oder jedes subjektiv vorhandene Talent schon gleich ein Charisma wäre. Es sind die vier Grundtypen personaler Glaubenserfahrung, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen: Charisma zeichnet sich als Zurücktreten oder Rezeptivität dem Wort Gottes gegenüber aus (marianisch); als Aktiv-werden aus der Autorität Christi selbst heraus (petrinisch) zeigt sie die eschatologisch gültige Gegenwart Gottes in der Kirche; als Liebe muss sie auf die Liebe Christi selbst verweisen können, um als Charisma verstanden werden zu können (johanneisch); und als Bewusstsein für alles und alle, die außerhalb des Zentrums, sozusagen exzentrisch, stehen (paulinisch) ist sie auf Sendung und Universalität hin angelegt. Bei Balthasar wird das Charisma aber auch verstanden als Loslassen von persönlicher Egozentrik. Das bedeutet noch einmal, dass nicht jede persönliche Vorliebe und jedes persönliches Tun schon gleich charismatisch genannt werden kann. Der eigene Alltag muss vielmehr von einer grundlegenden Beziehung zur Kirche und zu Christus her verstanden werden. Gottes Liebe fordert den Menschen dazu heraus, über sich selbst hinauszuwachsen. Vielleicht ist es auch nicht falsch, zu behaupten, dass in dieser charismatischen Beziehung die immanierende Gnade Gottes die transzendierende Vernunft des Menschen zu Gott hin führt. Dadurch wird aber das Charisma bei Balthasar erklärt durch Worte wie Zugehörigkeit zur Kirche und Gehorsam, was sonst seltener in diesem Zusammenhang in Erscheinung tritt.
1.4.2 Firmung ist Kommen und Mitgehen
Durch die strikte Trennung von Gottes Besonderheit und der Allgemeinheit der Welt ist jeder Christ und jede Christin damit aber auch vor die Frage gestellt, wie sie ihr Charisma entdecken können, das vom Heiligen Geist geschenkt ist und wie sie es in der Kirche und im Gehorsam ausleben können. Der Hinweis auf ein „Tun der Liebe“ 277genügt Balthasar nicht, wenn man einige wirkliche Anhaltspunkte für christliches Leben finden möchte. Er greift deshalb auch auf ein weiteres Bild zurück, das den Laien in der Kirche auszeichnet: das Urbild des Laien in der Kirche wäre der christliche Künstler, besonders der Kirchenbauer 278. Ein solcher Künstler versucht, mit den Mitteln, die er zur Verfügung hat, und die allesamt aus dem materiellen Bereich stammen, das Heilige darzustellen. Damit gibt er auch der Kirche eine Form – für die Kirche selbst und für jeden, der sie ansieht. Das Bild vom Künstler zeigt, dass mit weltlicher Technik und mit weltlichem Material ein Bild von der Kirche zu erstellen möglich ist. Und dass dies im übertragenen Sinn nicht nur von jedem christlichen Künstler gilt, sondern von jedem Christen / von jeder Christin. Genau genommen sollte man bei jedem alltäglichen Handeln gar nicht genau unterscheiden können, ob es nur geistlich oder weltlich wäre. Es ist die „Inkarnation der unsichtbaren Gnade in die weltliche Sichtbarkeit“ 279, die damit eigentlich die Welt zu einem charismatischen Ort machen könnte. Wie dies im Einzelnen geschehen kann, überlässt Balthasar der Mündigkeit der Christinnen und Christen. Entscheidend ist für ihn lediglich, dass alles, was den Menschen auszeichnet in Jesus Christus seine Erklärung findet. Denn: „Alles bleibt abstrakt, solange es nicht auf das Concretissimum […] zurückgeführt und von ihm her erklärt worden ist“ 280. Lässt Balthasar damit aber nicht die Christen alleine in der schwierigen Suche nach dem, was das persönliche Charisma auszeichnet?
Es sind gerade die einfachsten Bilder, die Balthasars Gedanken am anschaulichsten werden lassen. In Bewegung zu Gott vergleicht er die Beziehung eines Kleinkindes zu seiner Mutter mit der Relation des Menschen zu Gott 281. In der personalen Beziehung eines Ich zu einem Du wird Wirklichkeit erschlossen und zwar vor allem in der Liebe zwischen Ich und Du . Alle späteren Erfahrungen im Leben wären von dieser Beziehung abhängig, auch die leidvollen und mit Sünde behafteten, denn auch Gott wird in dieser Beziehung mit eingeschlossen. Im Grunde genommen geht es also darum, dass in diesem Bild der Mutter und des Kleinkindes auch schon eine größere Wirklichkeit mit erschlossen wird und sich die Perspektive weiten muss, wenn man das Bild in seiner Gänze verstehen will. Tut man dies nicht, dann begnügt man sich mit dem Ausschnitt, der eben gerade verfügbar ist. Es werden keine weiteren Einblicke mehr erwartet, die Quelle des Lebens gilt dann als ein unerreichbares fernes Etwas, das mit dem persönlichen Leben nichts zu tun hat. Und deshalb trennt sich der Mensch in diesem Fall auch von der Liebe, die jeden und jede immer über sich selbst und über den Augenblick erhebt 282. Aufgabe des Christen ist es deshalb, in der jeweils eigens erfahrenen Perspektive eben mehr zu sehen und zu erwarten, als nur Endlichkeit. Die eigenen Eindrücke als Ausdrücke einer größeren Wirklichkeit zu erfahren, gehört zu einem christlichen Leben.
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