1So EHLEN, Atheismus, S. 302.
2Siehe COTTIER, Dieux, S. 95-128.
3Siehe den geschichtlichen Überblick bei MARTINA, Storia I, S. 53-123.
4So LEHMANN, Gegenwart, S. 11-34.
5Siehe GREISCH, Buisson I, S. 73-119.
6Siehe METZ/PETERS, Gottespassion, S. 11-62.
7Weitverbreitet ist die Überzeugung einer umgekehrten Proportionalität zwischen Bildungsstand und Religiosität. „Eine Gesellschaft hört wie eine Person auf, religiös zu sein in dem Maße, in dem sie entwickelter und freier ist. Das scheint mir eine der grundlegenden Überzeugungen des heutigen Atheismus zu sein“, schreibt SEBASTIÁN AGUILAR, Fe, S. 335.
8Mittlerweile findet man sogar bei manchen Theologen – etwa BÖTTIGHEIMER, Not, passim – die Ansicht, daß das Bittgebet durch die Entwicklung der Naturwissenschaft obsolet geworden ist. Wir fragen uns, wie sie diese Ansicht vereinbaren können mit Jesu Auftrag, unablässig Gott um alles, was wir verlangen, zu bitten. Böttigheimers Auslassungen irritieren umso mehr, als er offensichtlich kein Bedürfnis, sie durch erkenntnistheoretische und ontologische Analyse zu erhärten, spürt.
9Zur vom Artikel Kardinal von Schönborns von 2005 ausgelösten Kontroverse, siehe unten, S. 392-394.
10Siehe SCHOCKENHOFF, Kosmologie, S. 119-127.
11Denn „alles Theologische ist schließlich metaphysisch“, ja „vielleicht ist alle Metaphysik nur anonym gebliebene Theologie“, meint HENRICI, Philosophie, S. 20.
TEIL I. CHRISTLICHER GLAUBE UND NATURWISSENSCHAFT: EINE HISTORISCHE SKIZZE
KAPITEL 1. DIE ENTWICKLUNG DER NATURERKENNTNIS BIS GALILEO GALILEI
Der Begriff „Naturwissenschaft“ ist nicht univok. Es gibt verschiedene Arten von Naturwissenschaften. Der Unterschied zwischen Physik, Chemie und Biologie ist traditionell. In jeder dieser Wissenschaften sind mehrere, oft hochspezialisierte Subdisziplinen zu unterscheiden. Zugleich fehlt es nicht an Versuchen, die verschiedenen Naturwissenschaften samt ihren Subdisziplinen in Einklang zu bringen. Es läßt sich allerdings neben der synchronen Vielzahl von Naturwissenschaften eine diachrone Differenziertheit der Naturwissenschaft ausmachen. Das 17. Jahrhundert – der Anfang der westlichen „Moderne“ – wird meistens als ein Bruch in der Geschichte der Naturerkenntnis betrachtet. Dank dem Werke Galileo Galileis (1564-1642) wurde in der Physik die Methode von Experiment und mathematischer Berechnung vorherrschend, und diese Dominanz existiert bis heute. Die rationale Naturerkenntnis wie es sie bis zur Zeit Galileis gegeben hatte, war der Form nach eher mit der heutigen Naturphilosophie als mit der heutigen Naturwissenschaft vergleichbar, obwohl das, was heute Physik heißt, im „vormodernen“ Denken nicht ganz fehlte 12. Ein kurzer Blick auf die Geschichte der rationalen Naturerkenntnis wird uns helfen, Einsicht in die charakteristischen Merkmale der wissenschaftlichen Methode Galileis und damit in die Beziehung zwischen christlicher Theologie und zeitgenössischer Naturwissenschaft zu gewinnen.
Die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft steht im Zusammenhang der Geschichte der westlichen Rationalität. Meistens wird die Geburt der Philosophie in Griechenland im 6. Jahrhundert v.Chr. als der Anfang dieser Geschichte gesehen 13. Sie beginnt, wenn Menschen Abstand von den traditionellen mythischen Erklärungen der Welt und des Lebens gewinnen und durch Sinnenerfahrung und unabhängiges Denken einen inneren Zusammenhang zwischen Tatsachen und Ereignissen und schließlich eine innere Ordnung in der Welt suchen. Es besteht insofern eine Spannung zwischen dieser Unternehmung und den Mythen, als diese natürliche Ereignisse durch die willkürlichen Eingriffe übernatürlicher Entitäten, Geister und Götter, in die Welt erklären. Die Mythen stellen diese Entitäten oft vor als das Ergebnis eines genetischen Prozesses und in diesem Sinne als einem anonymen Schicksal unterworfen. Die Geburt der Philosophie wird allgemein als der Übergang der Menschheit vom Stadium der Mythe zu dem der Vernunft gesehen. Traditionelle, unkritisch übernommene volkstümliche Vorstellungen fangen an, Platz zu machen für die Suche nach einem weltimmanenten Zusammenhang zwischen Ereignissen, nach einer inneren Ordnung in der Welt, aufgrund unabhängiger Wahrnehmung und unabhängigen Denkens. Diese Suche schließt nicht per se die Annahme von Transzendentem und Göttlichem aus, möchte sie aber nur durch Denken und Wahrnehmung zu begründen suchen.
Daß es eine innere Ordnung in der Natur gibt, legte sich den Menschen – nicht nur den Griechen – der Antike nahe aufgrund der Regelmäßigkeit von Phänomenen wie den Bewegungen der „Himmelskörper“ und dem Wechsel der Jahreszeiten und den entsprechenden natürlichen Ereignissen (dem Ansteigen von Gewässern, dem Blühen von Bäumen usw.). Die Astronomie ist dementsprechend in verschiedenen alten Kulturen schon weit entwickelt. Ähnliches kann von der Mathematik gesagt werden. Sie wird für die Berechnung der Bewegungen der „Himmelskörper“ gebraucht, aber auch um ihrer selbst willen betrieben.
1 Die westliche Philosophie vor Aristoteles
Die ersten Philosophen sind im wesentlichen „Naturphilosophen“. Die Aufmerksamkeit der Milesier Thales, Anaximander und Anaximenes gilt in erster Linie weniger dem Menschen als der Natur. Sie entwickeln eine Art rationaler Kosmologie. Sie nehmen kritisch Abstand von der mythischen Kosmogonie und streben danach, durch Wahrnehmung und Denken ein umfassendes Weltbild zu entwerfen und der Wirklichkeit – allem, was ist – ein universelles Prinzip ( arché im Sinne „elementarer Materie“ oder „substantialer Materie“) zugrunde zu legen. Die Milesier beschäftigen sich aber auch mit der Erforschung konkreter, bestimmter Phänomene 14.
Für Thales von Milet kann alles, was es gibt, auf Wasser zurückgeführt werden und treibt die Erde auf Wasser. Nach Aristoteles hatte er „empirische“ Gründe für seine Auffassungen. Er scheint festgestellt zu haben, daß alle Lebewesen sich mit feuchten Sachen ernähren. Sein „Weltbild“ ist also – trotz eines bestimmten Grades an Unkontrollierbarkeit – auf Sinneswahrnehmung und rationales Denkens gegründet. Thales beschäftigte sich nicht nur mit der Entwicklung eines Weltbildes, sondern auch mit der Erforschung konkreter, bestimmter Phänomene. Die Geschichte schreibt Thales die korrekte Vorhersage einer Sonnenfinsternis zu. Eine solche Vorhersage ist naturgemäß empirisch überprüfbar. Sie setzt kein globales Weltbild, dafür aber eine gewisse Erkenntnis bestimmter Phänomene voraus, insbesondere die Fähigkeit, die Bewegungen der (oder einiger) „Himmelskörper“ zu berechnen. Wie oben angegeben, gehört diese Art von Erkenntnis zu den frühesten Formen von Naturwissenschaft insgesamt.
Für Thales ist die arché („elementare Materie“ oder „substantiale Materie“) Wasser, für Anaximenes ist sie die Luft. Anaximander hat eine eigentümliche Vorstellung der arché . Sie besteht seiner Ansicht nach nicht in etwas, das als solches in unserer Welt wahrgenommen werden kann. Er bestimmt die arché als das apeiron, das „Unbestimmte”. Es ist nach F. Ricken als der allumfassende Raum zu verstehen. Ricken glaubt, daß Anaximander es wie einen materiellen Körper auffaßt. Das apeiron ist anderer Natur als die Elemente Luft, Wasser und Feuer. Sie kämpfen miteinander, so daß, wenn eines von ihnen absolut gewesen wäre, es die anderen bereits hätte verschwinden lassen. Das apeiron bestimmt alle Vorgänge im Kosmos. Es ist das Göttliche. Alle Dinge kommen aus dem apeiron hervor. Das eine Ding existiert auf Kosten des anderen. In diesem Sinne kommen die Dinge auseinander hervor und es nimmt das eine den Platz des anderen ein. Die Ordnung, die in dieser Weise sich mit der Zeit einstellt, ist gerecht. Die Erde hat die Gestalt eines Zylinders. Die Vorstellung, daß die Welt auf etwas aufruht, wird abgelehnt. Diese Vorstellung ist absurd, denn sie impliziert einen regressus ad infinitum; das, auf dem die Erde aufruhe, ruhte auf etwas anderem auf, dieses auf nochmals anderem usf. Die Erde steht im Mittelpunkt des Kosmos und wird dadurch, daß sie in entgegengesetzte Richtungen (an)gezogen wird, im Gleichgewicht gehalten.
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