Verena E. Müller - Liebe und Vernunft

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Linas unerwarteter Tod 1910 stürzte Eugen Huber in eine Sinnkrise. Über sieben Jahre schrieb der Verfasser des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs seiner verstorbenen Frau täglich einen Brief. Er berichtete, was er erlebte und was ihn bewegte. Diese persönlichen Dokumente eröffnen eine einmalige Sicht auf den bürgerlichen Alltag um die Jahrhundertwende und auf eine höchst ungewöhnliche Ehe. Das biografische Porträt zeichnet eine symbiotische Verbindung auf Augenhöhe – zwischen einem der bekanntesten Schweizer Juristen und der ehemaligen Kellnerin Lina Weissert.
Anfangs unsterblich verliebt, schätzte Eugen Huber seine Frau über viele Jahre auch als Mitarbeiterin. Sie war massgeblich an seinen Hauptwerken beteiligt. Lina ihrerseits, die aus Vernunftgründen in die Ehe einwilligte, entwickelte im Lauf der Zeit eine tiefe Zuneigung. Diese Liebe, die 1873 in Zürich ihren Anfang nahm, trug den prominenten Juristen und Nationalrat durch manche Phase der Depression und Selbstzweifel.

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Vorwort VORWORT Eugen Huber der Schöpfer des Schweizerischen - фото 1 Vorwort VORWORT Eugen Huber der Schöpfer des Schweizerischen - фото 2

Vorwort VORWORT Eugen Huber, der Schöpfer des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, war eine Persönlichkeit des öffentlichen Interesses und sein Nachlass fand Eingang ins Schweizerische Bundesarchiv in Bern. Unter den Dokumenten befindet sich ein reicher Schatz von Briefen sowie Hubers Agenden mit allerlei privaten Notizen. Linas Tagebücher dagegen sind verschollen und es sind einzig Briefe überliefert, die sie an ihren Verlobten und späteren Gatten schrieb. Keine Biografie ist objektiv, doch in diesem Fall kommt erschwerend hinzu, dass Lina aufgrund der überlieferten Papiere stets durch Eugen Hubers Brille gesehen wird. Ihrem Mann berichtete sie Dinge, von denen sie annahm, sie würden ihn interessieren. Was Lina sonst beschäftigte, wissen wir nicht. Einen Briefwechsel zwischen den beiden gab es zudem nur in Zeiten der Trennung. Bestimmte Lebensabschnitte sind deshalb weniger gut dokumentiert als andere. So kennen wir die schwierigen Kämpfe der Verlobungszeit, während die glücklichen Jahre in Halle kaum schriftliche Spuren hinterliessen. Nach Linas Tod schrieb der einsame Witwer über sieben Jahre lang Lina täglich einen Brief – auch ein Ersatz für die gemeinsamen Gespräche am Mittagstisch. Sie geben einen vielleicht einseitigen, aber faszinierenden Einblick in die Alltagsgeschichte jener Epoche, und sie spiegeln darüber hinaus die Gedanken und Gefühle eines Mannes zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

AUFTAKT AUFTAKT

Hinterlist mit Folgen

TEIL I

Lina Weissert aus Heilbronn

Ausbruch aus Altstetten: Die Grossfamilie Huber

Der Stammheimer «lingg Hauptmä»

Hans Conrad Huber und Anna Widmer – eine tumultuöse Beziehung

TEIL II

Sturm und Drang in Zürich

Bewegtes Familienleben in Zürich und Mutters Tod

Die Bollerei: Linas Lebensschule und zweite Heimat

Frau Keller oder Frau Huber? Werben um Lina

«Ihr Wille allein fehlt noch zur Ausführung»

Zwischen Ebbe und Flut, Hoffnung und Katastrophen

TEIL III

Die «Genferin» oder die Frau nach seinem Bilde

Der «unruhige Schwärmer»

Liebe – Freundschaft –Eifersucht: Otto Stoll

Linas Genfer Alltag

Wissenschaft – nichts als ein ferner Traum?

Verkümmerter Arm und kranke Füsse

Steiniger Weg zum Hochzeitsfest

TEIL IV

Frostiges Zürcher Intermezzo

«Du warst niemals so gerne in Trogen wie ich»

Zwischen Chance und Enttäuschung: die ersten Basler Jahre

Missstimmungen und neue Chancen: die letzten Basler Jahre

Endlose Geldnöte oder: wo blieb die «Besoldung, aus der man in unsern Kreisen leben kann»

Ihre glücklichste Zeit? Lina und Eugen Huber in Halle

TEIL V

Auf der Zielgeraden zum ZGB: die Berner Jahre

Eine ganz und gar unerwartete Tragödie

Lina oder die Sünderin von Bethanien

Dienstbare Geister und die Bewältigung des huberschen Alltags

TEIL VI

Gespräche mit der verstorbenen Lina – Blick durchs Schlüsselloch in Hubers Alltag

Im Schatten der Heimlichkeit – Marieli zwischen Hochschule, Ehe und Tochterpflichten

Hubers zweites Glück: Maria Schuler aus Glarus

Epilog: Leben im Korsett der Konvention – auf dem Weg in eine neue Zeit

Anhang

Anmerkungen

Zeittafel

Bibliografie

Namensregister

Stammbaum

Dank

VORWORT

Eugen Huber, der Schöpfer des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, war eine Persönlichkeit des öffentlichen Interesses und sein Nachlass fand Eingang ins Schweizerische Bundesarchiv in Bern. Unter den Dokumenten befindet sich ein reicher Schatz von Briefen sowie Hubers Agenden mit allerlei privaten Notizen. Linas Tagebücher dagegen sind verschollen und es sind einzig Briefe überliefert, die sie an ihren Verlobten und späteren Gatten schrieb.

Keine Biografie ist objektiv, doch in diesem Fall kommt erschwerend hinzu, dass Lina aufgrund der überlieferten Papiere stets durch Eugen Hubers Brille gesehen wird. Ihrem Mann berichtete sie Dinge, von denen sie annahm, sie würden ihn interessieren. Was Lina sonst beschäftigte, wissen wir nicht. Einen Briefwechsel zwischen den beiden gab es zudem nur in Zeiten der Trennung. Bestimmte Lebensabschnitte sind deshalb weniger gut dokumentiert als andere. So kennen wir die schwierigen Kämpfe der Verlobungszeit, während die glücklichen Jahre in Halle kaum schriftliche Spuren hinterliessen.

Nach Linas Tod schrieb der einsame Witwer über sieben Jahre lang Lina täglich einen Brief – auch ein Ersatz für die gemeinsamen Gespräche am Mittagstisch. Sie geben einen vielleicht einseitigen, aber faszinierenden Einblick in die Alltagsgeschichte jener Epoche, und sie spiegeln darüber hinaus die Gedanken und Gefühle eines Mannes zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

AUFTAKT

HINTERLIST MIT FOLGEN

Sonntagmorgen, 16. November 1873, an der Schifflände in Zürich: Am Eingang des «Café Boller» – im Volksmund «Bollerei» genannt – meldet sich in aller Frühe Emil Zürcher bei der 22-jährigen Kellnerin Lina Weissert. Er überbringt ihr eine mündliche «Citation» auf das Obmannamt, die Staatsanwaltschaft. Um kein Aufsehen zu erregen, habe er auf eine formelle Vorladung durch den Weibel 1verzichtet. Lina solle sich um acht Uhr auf sein Büro bemühen, um «in einer eiligen Prozedur Auskunft zu geben». Das Obmannamt, keine zehn Minuten von Linas Arbeitsplatz entfernt, liegt am Rand der Zürcher Altstadt. Mit welchen Gefühlen sie sich wohl auf den kurzen Weg machte? Wie sie auf dem Amt eintrifft, empfängt der Jurist Zürcher Lina mit den Worten: «Fräulein, der Mensch wünscht sie zu sprechen, wollen sie ihm Audienz geben.» 2Verblüfft erkennt sie Eugen Huber und macht Zürcher ein Zeichen, er möge weg gehen.

Der 24-jährige Eugen Huber, auch er Jurist, war als Student regelmässiger Gast in der Bollerei, seit Kurzem arbeitet er in Bern. Über Freund Zürcher erhielt er einige Tage vorher endlich ein Bild von Lina, ein Zeichen ihres Wohlwollens, auf das er Jahre gewartet hatte. Erfüllten sich jetzt seine Hoffnungen? Huber mochte nicht schreiben, er wollte Linas Antwort auf der Stelle hören. Während der Fahrt von Bern nach Zürich überlegte er hin und her: Hätte er seiner Angebeteten nicht doch besser einen Brief gesandt? Was, wenn er sie missverstehen und sie ihm einen Korb geben würde? Kurz vor Zürich fiel ihm der rettende Plan ein, wie es anzustellen wäre, um mit Lina allein sprechen zu können. 3Die Samstagnacht verbrachte Huber bei Zürcher und sie heckten den «fidelen Bubenstreich» 4aus, am frühen Sonntagmorgen steht er dann «im kalten Wind» 5und beobachtet von fern die Szene an der Schifflände.

In der Amtsstube kommt Huber sofort zur Sache, bietet Lina das Du an, gibt ihr «halb elend, halb glücklich» 6den ersten Kuss und bittet sie, seine Frau zu werden. Lina, vom Gang der Ereignisse überrollt, lässt alles mit sich geschehen. Huber «ist selig», 7glaubt sich am Ziel seiner Träume, er ist mit Lina verlobt: «Mir kam es vor», schreibt er ihr einen Tag später, «wir gleichen zwei Heimatlosen [und] wie wir auf dem Bureau unsres Freundes mit Küssen den Schwur besiegelten, zusammen uns eine Heimat zu gründen.» 8

Kaum verlobt, hetzt Lina zur Arbeit zurück. Jetzt erst kommen Huber Zweifel. «Als du die Treppe herunter giengst, kam ich mir ganz elend vor, dass ich dich ins Obmannamt gerufen.» 9Fürs Sinnieren bleibt indessen keine Zeit, Zürcher warnt vor der drohenden Ankunft seines Chefs, des Staatsanwalts, die beiden jungen Männer machen sich aus dem Staub.

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