Martin Schaub - Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?

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Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?: краткое содержание, описание и аннотация

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Inwiefern sind Denkmäler Orte des informellen Geschichts-Erlebens und -Lernens? Konkret: Welches Wissen, welche Vorstellungen bringen Besucherinnen und Besucher mit? Wie nehmen sie das Denkmal wahr? Wie eignen sie sich den Ort an? Was nehmen sie mit? Die vorliegende Untersuchung fragt – am Beispiel des Rütlis – nach dem individuellen und kollektiven Umgang mit einem Denkmal und zugleich nach dessen Gebrauch und Instrumentalisierung. Die im chronologischen Längsschnitt beobachtbare geschichtskulturelle Dynamik prägt auch die Denkmalgestaltung. Deren detaillierte Analyse und Deutung zeigt, wie und mit welcher Wirkungsabsicht der Schauplatz des Gründungsmythos inszeniert wurde und wird, und wie sich Gestaltung und Gebrauch gegenseitig beeinflussen.

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Ein grosser Dank für die finanzielle Unterstützung sei an drei Institutionen gerichtet. Sowohl die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) als auch die Urner Dätwyler Stiftung sprachen grössere finanzielle Beiträge. Die Pädagogische Hochschule FHNW ihrerseits beförderte den Projektfortschritt, indem sie mir grosszügige zeitliche Ressourcen zur Verfügung stellte.

Ein lebhafter Dank geht an die vielen Rütlibesucherinnen und -besucher, die sich auch bei bestem Freizeit- und Wanderwetter Zeit nahmen, Rede und Antwort zu stehen. Dies gilt genauso für die Interviewpartner, mit denen ich längere Expertengespräche führen konnte, wie für die drei Transkriptorinnen, Denise Probst, Märta Tschudin und Simone Dietrich, die wesentlichen Teile des umfangreichen Interviewmaterials verschriftlichten.

Ein kollegialer Dank gebührt den Mitgliedern des Doktorandenkolloquiums von Prof. Dr. Marko Demantowsky, welche die Arbeit vor allem im Rahmen der alljährlichen Kolloquien begleiteten. Auch den zwei Teammitgliedern der Professur, Gaby Sutter und Jan Hodel, sei für ihre Beiträge zum Gelingen der Arbeit gedankt.

Ein institutioneller und persönlicher Dank gebührt meinem viel zu früh verstorbenen, ehemaligen Vorgesetzten Prof. Dr. Viktor Abt, Leiter des Instituts Sekundarstufe I und II der Pädagogischen Hochschule FHNW, sowie seinem Nachfolger, Prof. Dr. Christian Reintjes. Sie waren dem Projekt stets wohlgesinnt und unterstützten mich darin in vielerlei Hinsicht.

Ein herzlicher Dank geht schliesslich an zahlreiche Freunde, deren vielfältiges Interesse für, aber auch distanziert-pragmatische Sicht auf das Projekt zu dessen Gelingen beitrugen.

Zu guter Letzt: Die vorliegende Dissertation ist O. gewidmet – mit gutem Grund.

Anfahrt

Da stand ich nun am Schiffsteg und blickte in Richtung Süden, in Richtung des fjordartigen Urnerseebeckens. Ein erhebendes Panorama. Dort drüben musste das Rütli sein, irgendwo am westlichen Steilufer. Ich bestieg einen historischen Raddampfer, der Kurs nahm auf die steile Bergflanke. Schon bald zog der Schillerstein an mir vorbei, ein eigentümlicher Monolith, den ich von alten Postkarten kannte und dessen Gestalt durch die ebenso reduzierten wie gegensätzlichen Materialien von Stein und Gold fast modern erschien. Gleichzeitig zeichnete sich in südlicher Richtung eine erhöht über dem Seeufer gelegene Waldlichtung ab. Mit Schweizerfahne. Der Dampfer näherte sich dem Ufer und gab die Sicht frei auf eine altertümliche Schiffstation und auf ein weiter oben gelegenes Chalet. Wenige Passagiere stiegen aus. Alles wirkte tadellos: perfekte gehauene Natursteinmauern und eine dazu passende Granitpflästerung, seeseitig begrenzt durch ein massives Geländer aus roh behauenen, dünnen Baumstämmen. Eine metallene Tafel orientierte über das Wegnetz und bezeichnete einige Orte auf dem Gelände. Langsam den Hang hinaufsteigend, versuchte ich mich in eine verhalten feierliche Stimmung zu versetzen. Oder nahm ich eher die dicht gestaltete Natürlichkeit wahr? Oder doch einfach die bilderbuchartig harmonische Landschaft? Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Rütli lediglich im Fernsehen und in der Zeitung gesehen: Die Wiese mit der Fahne, am See, umgeben von hohen Bergen, verbunden mit einem Patriotismus, der sich nicht mit meinem eigenen deckte. Da stand ich also nun – auf dieser Wiese, die zum Hauptgegenstand meines Projektes werden sollte.

Der sorgfältig hergerichtete, neuwertige Zustand des Denkmals erwies sich als das Resultat einer umfassenden und kostspieligen Sanierung der gesamten Anlage in den Jahren 2008 bis 2012. Offensichtlich mass – und misst – der Bundesrat als Eigentümer dem Rütli grosse Bedeutung bei als politischem Gedenkort. Diese Bedeutung unterstrich am 1. August 2009 auch Peter von Matt, Germanistik-Professor und Schriftsteller, in seiner Rütli-Rede, in der er der Anlage eine «zeichenhafte Wirklichkeit»[1] zuschrieb. Der gleiche Peter von Matt hatte wenige Jahre zuvor – nicht zuletzt unter dem Eindruck der von rechtsextremen Gruppierungen wiederholt geprägten Bundesfeier auf dem Rütli – das Denkmal und seine Tradition in der Phase eines Endspiels gesehen[2], eine Einschätzung, welche auch die Rütlikommission, die Verwalterin des Denkmals, in ihrem Bericht von 1994 und unter anderen Vorzeichen vorgenommen hatte, als sie festhielt, dass der Ort nicht mehr als patriotisches Sanktuarium, sondern mit «profanen Augen» als Ausflugsziel betrachtet werde.[3] Diese wenigen Schlaglichter verdeutlichen die geschichtskulturelle Veränderbarkeit, die nicht nur das Rütli zu prägen scheint, sondern Denkmäler allgemein, eine Prägung, die sowohl die Denkmalgestalt und die Gestaltungsintentionen umfasst als auch die Art und Weise, wie sie begangen, wahrgenommen, verstanden, benutzt, inszeniert, instrumentalisiert werden.

Statt also nach der Entstehungsgeschichte des Denkmals zu fragen, rückt das vorliegende Projekt vielmehr dessen Gestaltung und Gebrauch, aber auch dessen Wirkung ins Zentrum, und zwar sowohl im diachronen Längsschnitt als auch im aktuellen, synchronen Querschnitt. Dabei fokussiert die Arbeit auf Individualbesuchende, berücksichtigt partiell auch den Besuch von Gruppen und Schulklassen. Für dieses Erkenntnisinteresse hat sich das Rütli in dreifacher Hinsicht als ideal erwiesen. Es hat erstens den Stellenwert eines Nationaldenkmals mit grosser politisch-ideologischer Strahlkraft – dank dem damit verbundenen Gründungsmythos. Zweitens bieten seine abgeschiedene Lage und die kanalisierte Zugänglichkeit günstige Rahmenbedingungen für eine empirische Untersuchung. Denn im Gegensatz zu Denkmälern, die an stark frequentierten Orten im urbanen Raum stehen, kommen die Besucherinnen und Besucher hier nicht zufällig vorbei, sondern suchen den Ort in der Regel absichtlich auf. Drittens fehlt zwar ein Denkmalkörper im engeren Sinne, also ein Objekt auf beschriftetem Sockel, dafür ist das Rütli als Landschaftsdenkmal begehbar, ja erlebbar. Es zeichnet sich durch eine abwechslungsreiche symbolische Gestaltung aus, die sich an mehreren Punkten auf dem Gelände verdichtet und deshalb den idealen Rahmen bietet, um die Benutzung eines Gedenkorts zu erforschen.

Besucherforschung im Denkmalbereich ist immer noch verhältnismässig selten. Zu Wissensbeständen, Motiven oder Erwartungen von Besucherinnen und Besuchern ist nur wenig bekannt – deshalb dominieren normativ und politisch geprägte Vorstellungen zur Wahrnehmung eines Denkmals sowie zu dessen geschichtskulturellem Stellenwert. Gerade aus geschichtsdidaktischer Sicht bieten sich deshalb empirische Gebrauchsanalysen von Denkmälern an, die zu den ausserschulischen Lernorten resp. Orten des informellen Geschichtserlebens und -lernens zu zählen sind. Zur individuellen historischen Konstruktion tragen, wie neuere Forschungen zeigen, sowohl tendenziell wissenschaftlich basiertes historisches Wissen als auch sogenannte subjektive Theorien oder Alltagswissen bei.[4] Während Ersteres idealerweise in formalisierten Settings, beispielsweise im Geschichtsunterricht, vermittelt wird, werden Alltagstheorien in der Regel ausserhalb erworben.[5] Für die Analyse solchen Geschichtserlebens an einem Denkmal hat Manfred Hettling Ende der 1990er-Jahre ein theoretisches, kulturanthropologisch ausgerichtetes Konzept vorgelegt, das bisher kaum rezipiert worden ist. Er fokussiert dabei auf den sogenannten «Erlebnisraum», der aus einem Denkmal, aus dem damit verbundenen politischen Mythos und seinem Gebrauch in Form des Festes oder des Rituals besteht – ein Rahmen, der Gestaltung, Wirkung und Gebrauch eines Denkmals zu untersuchen erlaubt.

Die im Schnittfeld von Geschichtsdidaktik und Kulturanthropologie liegende Fragestellung verlangt nach einer entsprechenden Methodenauswahl, inspiriert von der vielfältigen kulturanthropologischen Forschung und ihren Mixed-Methods-Ansätzen. Dazu gehört die quellenkritische Auswertung von heterogenen und teilweise seriellen Archivmaterialien, wie Reiseführer, Fernseh- und Zeitungsbeiträge oder die bisher kaum ausgewerteten Gästebücher des Rütlihauses, deren früheste Exemplare aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen und als Serie lückenlos erhalten sind. Bildinterpretatorische und sozialwissenschaftliche Analysen basieren ihrerseits unter anderem auf Kurzinterviews, die der Verfasser auf der Rütliwiese führte, auf Kurzfragebogen, die ebenfalls in situ zum Einsatz kamen, oder Postkarten und privaten Bildserien von Flickr, einer populären Online-Fotocommunity. Letztlich zielt das Projekt darauf ab, empirisch gestützte Erkenntnisse zu generieren, auf deren Grundlage sich in einem nächsten Schritt die bisher fehlende Besucherführung adressatengerecht erarbeiten liesse, die dem Landschaftsdenkmal als einem Ort der Information, des Andenkens, der Reflexion und der Auseinandersetzung entspräche.

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